Gut zu wissen
Faire Chance für alle Kinder?
Neue internationale UNICEF-Studie zeigt starke Ungleichheiten beim Kindeswohl in reichen Ländern – die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
Was ist gerecht?
Kinder scheinen ein gutes Gespür dafür zu haben. Mit Argusaugen beobachten sie, wer wie viele Süßigkeiten bekommt. Sie registrieren genau, wie die Lehrerin Lob und Zuwendung unter den Mitschülern verteilt. Und wenn ein anderes Kind nicht mit auf die Klassenfahrt kann, weil die Eltern arbeitslos sind, sagen sie, dass ist ungerecht. Gerechtigkeit hat für Kinder viel mit Fairness zu tun – also mit Chancen, die eigentlich jedem Kind offen stehen sollten.

Erwachsene haben sehr unterschiedliche Vorstellungen, was unter Gerechtigkeit zu verstehen ist – je nach politischer Auffassung. Trotzdem bestreitet aber wohl kaum jemand, dass alle Kinder ein Recht auf einen guten Start ins Leben haben. Oder das Armut, schlechte Gesundheit und schlechte Bildungschancen tiefgreifende negative Folgen auf das Wohlbefinden und die Zukunft von Kindern haben und bekämpft werden sollten.
Ungleichheit zwischen Kindern in Industrieländern wächst
In der aktuellen politischen Diskussion um soziale Gerechtigkeit steht meist die Frage im Mittelpunkt, wie viel Wohlstand sich in den Händen weniger konzentriert. In der neuen UNICEF-Studie „Fairness for Children“ blicken die Wissenschaftler des Forschungszentrum Innocenti auf die Kinder am unteren Ende der Gesellschaft. Sie fragen, wie gut es die wohlhabenden Industrieländer schaffen, sich um das Wohlbefinden der am stärksten benachteiligten Kinder zu kümmern – und wie weit sie diese gegenüber dem Durchschnitt der Gesellschaft zurückfallen lassen.

Um die Situation von benachteiligten Kindern und ihr Wohlbefinden einzuschätzen, reichen Einkommensstatistiken nicht aus. Ein umfassendere Herangehensweise ist dazu nötig. Die Studie untersucht deshalb neben der materiellen Situation die Gesundheit und Sicherheit der Kinder, ihren Bildungserfolg und wie die Kinder selbst ihr Wohlbefinden einschätzen.
Kindliches Wohlbefinden in 41 Länder der EU und der OECD
Die Auswertung von Daten aus 41 Ländern der Europäischen Union und der OECD sind ernüchternd – obwohl diese im Vergleich zu Entwicklungsländern eigentlich über ausreichende Mittel, Wissen und Institutionen verfügen, um allen Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen:

Alle Kinder profitieren, wenn die Ungleichheit sinkt
Der internationale Vergleich des Kindeswohls benachteiligter Kinder zeigt: Kein Land stellt allen Kindern denselben Start ins Leben bereit. Doch die Kluft zwischen den Kindern beim Wohlbefinden ist in einigen Ländern kleiner als in anderen. Im internationalen Vergleich aller vier Dimensionen steht Dänemark an der Spitze der Tabelle mit der geringsten Ungleichheit zwischen Kindern. Israel und die Türkei stehen am Ende; Deutschland nimmt mit Platz 14 einen Platz im Mittelfeld ein.

Gleichzeitig zeigen die untersuchten Daten, dass in der Regel alle Kinder von einer Reduzierung der Unterschiede beim Kindeswohl profitieren. Eher egalitär ausgerichtete Länder mit geringeren sozialen Unterschieden weisen auch häufiger folgende Merkmale auf:
- Weniger Kinder leben in Armut
- Weniger Kinder erreichen nur niedrige Kompetenzstufen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften
- Weniger Kinder sagen, dass sie sich oft krank fühlen
- Weniger Kinder berichten über eine sehr niedrige Lebenszufriedenheit.
Umgekehrt können sich starke Ungleichheiten gegenseitig verschärfen. So haben Kinder aus den ärmsten Haushalten eher eine niedrige Lebenszufriedenheit, eine schlechtere Bildung und betreiben auch seltener regelmäßigen Sport. Eine niedrige Lebenszufriedenheit steht auch häufig in Zusammenhang mit Risikoverhalten.
Wohlergehen der Kinder ist Maßstab für Politik
Die zentrale Schlussfolgerung der Studie lautet: Starke Ungleichheiten beim Kindeswohl sind nicht unvermeidbar! Deshalb fordern die Autoren von der Politik:
Das Einkommen der ärmsten Kinder schützen.Sozialtransfers spielen eine wesentliche Rolle beim Schutz der ärmsten Kinder. In einigen Ländern mit sehr großen Einkommensunterschieden – so wie in Bulgarien, Griechenland, Italien und Portugal – sind Sozialtransfers innerhalb der ärmsten Haushalte sehr gering.
Bildungschancen für benachteiligte Kinder verbessern.Eine Fokussierung auf schwächere Schüler muss nicht zwangsläufig zu einem allgemeinen Sinkenden Bildungsniveau führen bedeuten. Dies zeigen zum Beispiel Dänemark, Estland und Polen. Dort gelang es die Kluft zwischen den Kindern zu verringern und gleichzeitig das allgemeine Leistungsniveau anzuheben.
Eine gesunde Lebensweise für alle Kinder fördern.Öffentliche Gesundheitskampagnen können Unterschiede bei der Kindergesundheit verringern. Trotzdem sind die Fortschritte in manchen Bereichen noch zu gering. Die weitreichende und andauernde Geschlechterungleichheit bei Gesundheit ist Grund zur Sorge.
Das Subjektive Wohlbefinden ernst nehmen.Die Stimmen der Kinder sollten in der Politik stärker gehört werden. Daten zur Lebenszufriedenheit zeigen auf, dass größere soziale Ungleichheiten das subjektive Wohlbefinden von Kindern deutlich beeinflussen. In allen untersuchten Ländern zeigen Kinder aus den ärmsten Haushalten eine niedrigere Lebenszufriedenheit als jene des Durchschnitts.
Das Wohlbefinden der am stärksten benachteiligten Kinder ist ein Maßstab für faire Lebensbedingungen – auch in Deutschland. Diese sind entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer immer älter werdenden Gesellschaft.
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