Statement

Drohende „Explosion der Kindersterblichkeit" am Horn von Afrika

Statement von Rania Dagash, stellvertretende UNICEF-Regionaldirektorin für das östliche und südliche Afrika, anlässlich des Pressebriefings im Palais des Nations in Genf vom 7. Juni 2022

Genf/ Köln

„Ich möchte Ihnen heute klar und deutlich sagen, dass die Todesfälle bei Kindern explosionsartig steigen werden, wenn die Welt ihren Blick nicht über den Krieg in der Ukraine hinweg ausweitet und handelt.

Somalia: Ein Kind wird mithilfe eines Maßbandes auf Mangelernährung untersucht

Der einjährige Moqadas, der schwer mangelernährt ist, wird in einem Krankenhaus in Mogadishu, Somalia, untersucht.

© UNICEF/UN0644285/Fazel

Schwere akute Mangelernährung

Allein in Somalia benötigen schätzungsweise 386.000 schwer akut mangelernährte Kinder dringend eine Behandlung - mehr als die 340.000 Kinder, die zur Zeit der Hungersnot 2011 behandelt werden mussten.

Die Zahl der lebensbedrohlich mangelernährten Kinder ist innerhalb von fünf Monaten um mehr als 15 Prozent gestiegen.

In Äthiopien, Kenia und Somalia benötigen insgesamt mehr als 1,7 Millionen schwer akut mangelernährte Kinder dringend eine Behandlung.

Vier Regenperioden sind innerhalb von zwei Jahren ausgefallen – Ernten und der Viehbestand wurden vernichtet und Wasserquellen sind ausgetrocknet. Laut Prognosen drohen auch die nächsten Regenfälle von Oktober bis Dezember auszufallen.

In allen drei Ländern ist die Zahl der schwer mangelernährten Kinder, die im ersten Quartal 2022 stationär behandelt wurden, deutlich höher als im Vorjahreszeitraum:

  • In Äthiopien stiegen die Einweisungen um 27 Prozent;
  • In Somalia waren die Aufnahmen um 48 Prozent höher;
  • Kenia verzeichnete einen Anstieg um 71 Prozent.

Auch die Sterberaten sind besorgniserregend. In diesem Jahr sind in einigen der am schlimmsten betroffenen Gebiete am Horn von Afrika bereits dreimal so viele Kinder an schwerer akuter Mangelernährung mit medizinischen Komplikationen in stationärer Behandlung gestorben wie im gesamten Vorjahr.

Wasser

Zwischen Februar und Mai hat sich die Zahl der Haushalte ohne zuverlässigen Zugang zu sauberem und sicherem Wasser fast verdoppelt – von 5,6 Millionen auf 10,5 Millionen.

Krieg in der Ukraine

Das Überleben von Kindern am Horn von Afrika ist auch wegen des Krieges in der Ukraine in erhöhter Gefahr. Allein Somalia importierte 92 Prozent seines Weizens aus Russland und der Ukraine -doch jetzt sind die Versorgungswege blockiert. Der Krieg treibt die weltweiten Preise für Lebensmittel und Treibstoff weiter in die Höhe, so dass sich viele Menschen in Äthiopien, Kenia und Somalia die Grundnahrungsmittel, die sie für ihr Überleben brauchen, nicht mehr leisten können.

Dies wirkt sich auch auf unsere Hilfe aus. Die Kosten für lebensrettende Zusatznahrung, die UNICEF zur Behandlung von Kindern mit schwerer akuter Mangelernährung einsetzt, werden in den nächsten sechs Monaten weltweit voraussichtlich um 16 Prozent steigen. Das bedeutet, dass UNICEF allein am Horn von Afrika schätzungsweise 12 Millionen US-Dollar mehr benötigt als erwartet.

Finanzierung

UNICEF und andere Organisationen haben wiederholt die Alarmglocke wegen dieser Krise geläutet. Wir danken allen Gebern aufrichtig für ihre Unterstützung, die es uns ermöglicht, so zu helfen, wie wir es bisher tun konnten. Aber unser Nothilfeaufruf ist immer noch drastisch unterfinanziert – wir haben weniger als ein Drittel dessen, was wir in diesem Jahr brauchen.

Die internationale Gemeinschaft - allen voran die G7-Staaten, die sich im Juni in Deutschland treffen werden – muss jetzt neue, zusätzliche Mittel bereitstellen, um Leben zu retten. Andere Krisen dürfen wegen dem Krieg in der Ukraine jetzt nicht vernachlässigt werden, sonst werden noch mehr Menschen ihr Leben verlieren.

Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten sollten sich zudem verpflichten, in künftigen Notsituationen frühzeitig zu handeln und in langfristige Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit zu investieren - etwa im Bereich Ernährung, Wasser, Bildung und Geldtransfers. Die Kinder in Somalia leben an der vordersten Front der Klimakrise – das wird sich nicht ändern. Die internationale Gemeinschaft sollte Familien angemessen unterstützen, damit sie diesen wiederkehrenden Klimaschocks etwas entgegensetzen können.

Wenn Sie gestatten, möchte ich Ihnen abschließend von meiner Begegnung mit zwei Kindern erzählen, die von der drohenden Katastrophe betroffen sind, die ich soeben beschrieben habe.

Ich bin gerade aus Somalia zurückgekehrt. In einem Gesundheitszentrum in der Grenzstadt Dollow traf ich Ismayel und ihre einjährigen Zwillinge, Salman und Libaan. Sie ist schwanger, aber die verheerenden Auswirkungen der Dürre hatten sie gezwungen, 120 km zu laufen, um ihre Söhne wegen Mangelernährung behandeln zu lassen.

Viele Kinder werden es nicht so weit schaffen. Ich habe von Kindern gehört, die am Straßenrand begraben wurden, weil ihre Familien verzweifelt lange Wege auf sich genommen haben, um Hilfe zu suchen.

Wir befürchten, dass das Schlimmste noch bevorsteht.“

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Christine Kahmann

Christine KahmannSprecherin - Nothilfe

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