© UNICEF/UNI533131/MohamdeenSudan: Kind spielt mit Zauberwürfel auf dem Boden
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Kind sein im Sudan: 5 Fakten

Seit etwa einem Jahr hält der Konflikt im Sudan an – mit gravierenden Auswirkungen für alle Kinder, die im Land aufwachsen. Lesen Sie, wie es ist, jetzt im Sudan ein Kind zu sein. 


von Caroline Dohmen

Ganz ruhig sitzt das kleine Mädchen, das Sie oben auf dem Foto sehen, mit den anderen Kindern zusammen und tut das, was für Kinder das Normalste der Welt sein sollte: Spielen. Für Millionen Kinder im Sudan ist diese alltägliche Situation jedoch alles andere als selbstverständlich. Seit im Frühjahr 2023 Kämpfe zwischen Regierungstruppen und paramilitärischen Milizen ausgebrochen sind, geraten Kinder immer wieder zwischen die Fronten. Statt Spielzeit, Schulalltag und Treffen mit Freund*innen, müssen sie Gewalt, Hunger und Fluchterfahrungen aushalten. Kind sein im Krieg.

Der Sudan erlebt derzeit eine humanitäre Katastrophe epischen Ausmaßes. Ein wahrgewordener Albtraum für Kinder.

Mandeep O’Brien, Leiterin UNICEF Sudan
Porträt: Mandeep O'Brien, UNICEF-Repräsentative Sudan

Seit Jahrzehnten kommt es im Sudan immer wieder zu bewaffneten Konflikten und Gewalt, die politische Lage ist instabil. Der Sudan ist flächenmäßig der drittgrößte Staat und gleichzeitig eines der ärmsten Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Folgen des Klimawandels wie Dürren und Überschwemmungen treffen Familien im Sudan immer wieder.

Die humanitäre Lage im Land war schon vor dem aktuellen Konflikt dramatisch. Doch die seit etwa einem Jahr anhaltende Gewalt hat die Not der Familien noch einmal massiv verschärft. Circa 14 Millionen Kinder im Sudan benötigen dringend humanitäre Hilfe – so viele wie nie zuvor. Von der Gewalt besonders betroffen sind die Hauptstadt Khartum sowie die Region Darfur im Westen des Landes. Mitte Dezember weiteten sich die Kämpfe zudem auf den Bundesstaat Jezira aus. Jezira war bis dahin Zufluchtsort für rund 500.000 Geflüchtete.

Wie Kinder derzeit im Sudan aufwachsen, erklären wir in fünf Fakten in diesem Blog:

Fakt 1: Millionen Kinder sind auf der Flucht

Aufgrund der anhaltenden Gewalt sehen etliche Familien keinen anderen Ausweg, als unter gefährlichsten Bedingungen zu fliehen. Seit April 2023 haben mehr als acht Millionen Menschen im Sudan ihr Zuhause verlassen, um Schutz zu suchen – darunter rund 4 Millionen Kinder. Der Sudan ist damit das Land mit den meisten geflüchteten Kindern weltweit. Auf der Flucht sind Kinder gefährdet, von ihren Eltern getrennt und Opfer von Menschenhandel, Ausbeutung oder Gewalt zu werden.

Sudan: Vertriebene Kinder stehen an einer Sammelstelle zusammen.

Kein Ort, der sich nach Zuhause anfühlt: Diese Kinder sind mit ihren Familien vor der neu ausgebrochenen Gewalt in Jezira nach Sennar geflohen.

© UNICEF/UNI492316/Mohamdeen

Vor dem Ausbruch der Gewalt letztes Jahr lebten bereits Millionen Menschen im Sudan als Binnenvertriebene in Flüchtlingscamps und Notunterkünften. Die Bedingungen sind meist schlecht. Viele Unterkünfte sind hoffnungslos überfüllt, es mangelt an Hygiene und Wasser und in Zelten gibt es kaum Schutz vor Regen, Hitze oder anderen Wetterextremen.

Ein Großteil der Menschen ist innerhalb des Sudans vertrieben, viele Familien suchen aber auch in den Nachbarländern wie Tschad, Ägypten oder Südsudan einen sicheren Ort, an dem sie erstmal bleiben können. Familien, die alles zurücklassen mussten, stehen vor dem Nichts. Sie brauchen dringend Unterstützung.

Fakt 2: Kinder werden in die brutalen Konflikte hineingezogen

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Kindersoldaten in Afrika und weltweit: Kindheit zwischen Waffen

Bei den brutalen Kämpfen geraten Kinder immer wieder selbst unter Beschuss. Sie werden bei Kämpfen schwer verletzt oder getötet, es kommt zu Angriffen auf Schulen oder zu sexualisierter Gewalt. Auch gibt es Berichte darüber, dass Kinder als Kindersoldat*innen rekrutiert werden – eine schwere Kinderrechtsverletzung, die den Kindern ihrer Kindheit beraubt und traumatischen Erlebnissen aussetzt. Dabei können sie am allerwenigsten für die Auseinandersetzungen.

Durch den aktuellen Konflikt hat die Gewalt gegen Kinder dramatische Ausmaße angenommen: Zwischen 2022 und 2023 gab es einen sechsfachen Anstieg von schweren Kinderrechtsverletzungen. Für die Kinder sind die Erlebnisse traumatisierend. Viele stehen unter Schock.

Sudan: Von einem Kind gemaltes Bild zeigt die Gewalt

Die erlebte Gewalt lässt viele Kinder nicht los: Dieses Bild hat ein Kind im von UNICEF eingerichteten Lernzentrum im Al Salam Camp für Binnenvertriebene gezeichnet.

© UNICEF/UNI533129/Mohamdeen

UNICEF setzt alles daran, Kinder vor Gewalt in jeglicher Form zu schützen und ehemaligen Kindersoldat*innen den Weg zurück in eine normale Kindheit zu ermöglichen. In unseren Programmen unterstützen wir Kinder mit Bildungsangeboten, medizinischer Versorgung und psychosozialer Betreuung. Das hilft ihnen, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Im Jahr 2023 hat UNICEF 94.000 Kinder mit psychosozialer Hilfe erreicht.

Fakt 3: Im Sudan droht eine Hungersnot

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Hungersnot, Ernährungskrise, Mangelernährung – Was ist das?

Die Ernährungssituation im Land ist dramatisch. 730.000 Kinder sind so schwer mangelernährt, dass ihr Leben in Gefahr ist – fast die Hälfte von ihnen lebt in Gebieten, in denen ständig gekämpft wird und die deshalb nur schwer zugänglich sind. Der Sudan weist eine der höchsten Raten von Mangelernährung bei Kindern weltweit auf. Schon vor dem aktuellen Konflikt wussten etliche Familien aufgrund von Wirtschaftskrise und Folgen des Klimawandels nicht, wie sie sich und ihre Kinder ausreichend ernähren sollen. Jetzt droht eine Hungersnot.

Wenn Mangelernährung nicht rechtzeitig behandelt wird, kann sie schwere Folgen für die Entwicklung der Kinder haben und im schlimmsten Falle sterben Kinder. Auch Arafa, eine junge Mutter aus Port Sudan, befürchtete, dass sie ihre Zwillingsmädchen verlieren wird. Beide Mädchen sind mangelernährt, eines davon, Mawada, sogar lebensbedrohlich. In der Gesundheitseinrichtung Dar Al Salam bekommen sie Hilfe.

Sudan: Mutter hält ihre mangelernährten Töchter im Arm

Arafa mit ihren Zwillingen Mawada und Mushtaha. Beide Mädchen sind mangelernährt und müssen behandelt werden.

© UNICEF/UNI492249/Mohamdeen

Unsere UNICEF-Kolleg*innen im Sudan tun alles dafür, um schwer mangelernährte Kinder rasch zu behandeln. Der erste Schritt dafür ist, dass Mangelernährung überhaupt erkannt wird. Dafür untersuchen geschulte Gesundheitshelfer*innen die Kinder. Eltern erhalten die Informationen, wie sie ihre Kinder mit allen wichtigen Nährstoffen versorgen können. Damit die Kinder, die tatsächlich von Mangelernährung betroffen sind, schnell wieder zu Kräften kommen, stellt UNICEF therapeutische Nahrung wie eine spezielle Erdnusspaste bereit. Im Jahr 2023 konnten so 313.000 mangelernährte Kinder behandelt werden.

Mawadas Zustand hat sich schon deutlich verbessert, seit Arafa vor ein paar Wochen das erste Mal mit den Mädchen in die Gesundheitseinrichtung kam. Arafa blickt hoffnungsvoll in die Zukunft: „Ich hoffe, dass ich sie ‘Mama’ und ‘Papa’ sagen höre, dass sie gesund aufwachsen“.

Fakt 4: Krankheiten bedrohen das Leben von Kindern

Immer wieder kommt es zu schweren Krankheitsausbrüchen. Der fehlende Zugang zu sauberem Wasser sowie mangelnde Hygiene bedingen, dass Krankheiten sich leichter ausbreiten können. Fast ein Drittel der Bevölkerung, darunter 7,4 Millionen Kinder, hat keinen Zugang zu Trinkwasser, zwei Drittel mangelt es an Hygiene und Sanitäranlagen. Bis Ende Januar wurden über 10.000 Cholera-Verdachtsfälle gemeldet. In Gebieten, in denen viele vertriebene Kinder leben, sind Masern ausgebrochen.

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11 Dinge, die Sie über Impfungen wissen sollten

Gleichzeitig haben viele Menschen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Das Gesundheitssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch. In den Gebieten, die vom gewaltvollen Konflikt betroffen sind, sind schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der Gesundheitseinrichtungen nicht funktionstüchtig. Viele Ärzt*innen oder Pfleger*innen können aus Sicherheitsgründen nicht ins Krankenhaus kommen. Es fehlt an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung.

Wenn Infektionskrankheiten wie Polio, Masern oder Cholera grassieren, sind Kinder gefährdet lebensbedrohlich zu erkranken, insbesondere mangelernährte Kinder. Denn ihre Körper sind bereits geschwächt und haben der Krankheit wenig entgegenzusetzen.

Sudan: Eine Gesundheitshelferin impft beinen Jungen gegen Masern und Röteln

In Al-Dschazira erhält ein Kind eine Schutzimpfung gegen Masern und Röteln. UNICEF unterstützt die Impfkampagne des sudanesischen Gesundheitsministeriums.

© UNICEF/UNI514463/Mohamdeen

UNICEF tut alles dafür, Kinder vor den Krankheiten zu schützen und trotz der schwierigen Bedingungen Zugang zu Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Um einer Infektion vorzubeugen, führt UNICEF Impfungen für Kinder durch. Im Jahr 2023 haben alleine 960.800 Kinder einen Impfschutz gegen Masern erhalten. Zudem versorgt UNICEF Familien mit sauberem Trinkwasser – im Jahr 2023 insgesamt 5,9 Millionen Menschen.

Fakt 5: Ohne Bildung schwinden Zukunftschancen

Im Sudan herrscht eine der schlimmsten Bildungskrisen weltweit. Über 90 Prozent der Schulen sind aufgrund der anhaltenden Gewalt geschlossen oder werden als Notunterkunft für Menschen auf der Flucht genutzt. Die Folge: Fast 19 Millionen Kinder im schulpflichtigen Alter sind in ihrer Bildung beeinträchtigt. Bereits vor dem aktuellen Konflikt gingen rund sieben Millionen Kinder aufgrund von Armut und der politisch instabilen Lage nicht zur Schule. Eine ganze Generation an Schüler*innen verpasst wichtige Zukunftschancen.

Die Schule ist gerade in Konfliktzeiten mehr als ein Klassenzimmer: Neben Lesen, Schreiben und Rechnen lernen Kinder in der Schule auch soziale und emotionale Kompetenzen, die ihnen helfen, Gewalt, Verlust und Traumata zu bewältigen. Außerdem haben viele Kinder über die Schule Zugang zu wichtigen Dienstleistungen wie Schulmahlzeiten, Impfungen oder psychosoziale Unterstützung. Kinder, die nicht zur Schule gehen, verpassen nicht nur den Unterricht, sie sind zudem unmittelbaren Gefahren ausgesetzt, darunter Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen und sexuelle Gewalt.

Sudan: Kinderrechtsaktivistin Fiyha aus dem Sudan.

Bild 1 von 2 | Fiyha ist Kinderrechtsaktivistin. Die Schülerin setzt sich für den Schutz von Mädchen ein.

© UNICEF/UNI502083/Mohamdeen;
Sudan: Kinderrechtsaktivistin Fiyha klärt Mütter über die Gefahren von FGM auf.

Bild 2 von 2 | Fiyha klärt Mütter und weitere Betreuungspersonen in ihrer Gemeinde über die Gefahren für Mädchen durch eine frühe Heirat und Genitalverstümmlung auf.

© UNICEF/UNI502107/Mohamdeen

Für Mädchen ist die Schule ein sicherer Ort, an dem sie Hilfsangebote zum Schutz vor Kinderheirat oder Genitalverstümmlung erhalten. Jetzt wo die Schulen geschlossen haben, scheint die Unterstützung für viele unerreichbar. Die dreizehnjährige Kinderrechtsaktivistin Fiyha gibt nicht auf: "Viele Leute glauben, dass wir heiraten sollten, weil die Schulen geschlossen sind, weil es keine Bildung gibt. Aber wir sagen: Ob es nun eine Schule gibt oder nicht, wir werden mit den Aufklärungsaktionen in Krankenhäusern, Nachbarschaften, bei gesellschaftlichen Veranstaltungen und überall weitermachen."

UNICEF arbeitet unermüdlich daran, dass alle Kinder Zugang zu Bildung erhalten. Wir richten Lernzentren ein, mehr als 840 sichere Lernorte im Jahr 2023, und verteilen Lernmaterialien wie Stifte und Schulbücher. UNICEF setzt sich zusammen mit Partnern dafür ein, dass Schulen wieder sicher öffnen können. Im Bundesstaat Nahr an-Nil konnte die Mehrzahl der Schulen wieder geöffnet werden, in der Region Darfur vereinzelte Einrichtungen. Viele Schulen sind aber weiterhin geschlossen, wodurch Millionen Kinder immer noch nicht am Unterricht teilnehmen.

Sudan: Kinder lernen mithilfe von Tablets

Im Al Salam Camp für Binnenvertriebene in Kassala hat UNICEF einen sicheren Lernort eingerichtet. Dort lernen Kinder mithilfe von Tablets digital.

© UNICEF/UNI533209/Mohamdeen

Die Kinder im Sudan brauchen dringend Hilfe!

UNICEF ist seit mehr als 70 Jahren im Sudan vor Ort, um die Kinder und ihre Familien zu unterstützen. Auch in der aktuellen schwierigen Situation setzen wir alles daran, die Grundversorgung der Kinder aufrechtzuerhalten.

Wir brauchen Ihre Unterstützung, um den Kindern und Familien ausreichend helfen zu können – gerade jetzt, wo die Not durch den Konflikt immer größer wird. Vielen Dank, dass Sie uns mit Ihrer Spende helfen. Jeder Beitrag zählt!

UNICEF-Autorin Caroline Dohmen
Autor*in Caroline Dohmen

Caroline Dohmen ist Themenredakteurin im UNICEF-Newsroom und bloggt über die aktuelle Situation von Kindern und die Arbeit von UNICEF weltweit.