© Horst Bernhard, Arp Museum 2009Sammlung Rau: Mensch transportiert ein Gemälde auf einem Rollwagen durch einen schmalen Gang.
Menschen für UNICEF

Sehnsucht nach einer besseren Welt

Die Sammlung Rau für UNICEF im Arp-Museum – ein Gespräch


von Rudi Tarneden

Der Arzt, Kunstsammler und Philanthrop Gustav Rau trug eine der ungewöhnlichsten privaten Kunstkollektionen weltweit zusammen. Sie umfasst Werke europäischer Malerei ab dem 15. Jahrhundert bis zum Spätimpressionismus sowie Skulpturen vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert.

Vor seinem Tod im Jahr 2002 vermachte Gustav Rau seine bedeutende Sammlung der Stiftung von UNICEF Deutschland, um dauerhaft armen Familien in Entwicklungsländern zu helfen. Das Arp-Museum in Remagen bei Bonn macht seit 2009 – so wie es Gustav Rau wünschte im fortlaufenden Ausstellungswechsel rund 270 Gemälde und Skulpturen unter immer neuem Blickwinkel der Öffentlichkeit zugänglich.

  • Sammlung Rau: Besucher*innen schauen sich Bilder im Arp-Museum an

    Bild 1 von 4 | Ausstellung mit Werken aus der Sammlung Rau gemeinsam mit dem Museum des Impressionismus in Giverny 2018.

    © Norbert Ittermann, Arp-Museum 2018
  • Sammlung Rau: Bild aus der Ausstellung

    Bild 2 von 4 | Staunen in der Ausstellung „Das Auge des Sammlers“ 2010.

    © Claudia Görres, Arp Museum 2020
  • Ausstellungsstück „Menschenskinder" im Arp-Museum

    Bild 3 von 4 | Dialog von Skulptur und Malerei mit der Sammlung Rau in der Ausstellung „Leibhaftigkeit“ (2014) .

    © David Ertl
  • Sammlung Rau: Bild aus der Ausstellung „In Form".

    Bild 4 von 4 | Bildwerke der Sammlung Rau für UNICEF veranschaulichen Facetten der historischen Entwicklung von Skulptur und Plastik vom Mittelalter bis zur Moderne (2021). 

    © Harald Reinelt, Arp-Museum 2021

Anlässlich der neuen Ausstellung „Sehnsucht nach Utopia. Kunst der Romantik 1770–1900“ sprechen die Leiterin des Arp-Museums, Julia Wallner und die Kuratorin Susanne Blöcker über den Sammler und seine Schätze. Die Ausstellung ist bis zum 2. November 2025 zu sehen.

Dr. Julia Wallner, Leiterin des Arp-Museums

Dr. Julia Wallner ist Leiterin des Arp-Museums.

© Harald Reinelt, Arp-Museum 2022
Dr. Susanne Blöcker ist Kuratorin der Ausstellung der Sammlung Rau im Arp-Museum

Dr. Susanne Blöcker hat als Kuratorin seit 2009 zahlreiche Ausstellungen mit Werken aus der Sammlung Rau konzipiert.

© privat

Frau Dr. Blöcker, Sie arbeiten als Kuratorin seit vielen Jahren mit der Sammlung von Gustav Rau, sind ganz tief darin eingetaucht. Was haben Sie dabei über seine Person gelernt?

Susanne Blöcker: Den Menschen Gustav Rau habe ich einmal erlebt, ihn aber nicht persönlich kennengelernt. Ich sah ihn ein Jahr vor seinem Tod in Köln, als er Teile seiner Sammlung in einer Wanderausstellung um die ganze Welt touren ließ. Er war damals schon sehr krank, saß im Rollstuhl, neben ihm Sir Peter Ustinov. Seine Ausstrahlung war für mich beeindruckend. Er saß im Rollstuhl, aber er wirkte groß. Er hatte Geist und er war stark. Damals kam schon die Qualität seiner Sammlung zum Tragen.

Er war eigentlich ein sehr bescheidener Mensch, zu Lebzeiten hat er nie viel Wind um sich selbst gemacht. Der Journalist Stefan Koldehoff hat einmal gesagt: Das war wie „ein geheimer Louvre“. Als er lebte, hat er sich damit zufriedengegeben, dass seine Schätze versteckt waren, dass nur er selbst Zugang hatte und einige wenige Vertraute. Er wollte aber, dass seine Sammlung dauerhaft Gutes bewirkt. Deshalb hat er sie UNICEF vermacht, verbunden mit dem Ziel, sie nach seinem Tod 25 Jahre lang öffentlich zu zeigen. Er wusste ganz genau, dass, wenn Kunst öffentlich in einem Museum gezeigt wird, ihr Wert steigt.

Als er lebte, hat er sich damit zufriedengegeben, dass seine Schätze versteckt waren, dass nur er selbst Zugang hatte und einige wenige Vertraute. Er wollte aber, dass seine Sammlung dauerhaft Gutes bewirkt. Deshalb hat er sie UNICEF vermacht. 

Dr. Susanne Blöcker

Julia Wallner: Es gibt tatsächlich in der Sammlung Werke, deren Wert, seit sie im Arp Museum sind, stark gewachsen ist. Es ist ja nicht nur das Ausstellen, es ist das Beforschen, das Publizieren, das Bekanntmachen, was dies möglich macht.

Und es spielt auch eine Rolle, dass das Vertrauen in die Museen ungebrochen ist. Eine aktuelle Studie bestätigt dies. Wir sind naturgemäß eine langsame, forschende, bewahrende Institution, weil wir im Grunde diesen Ewigkeitsgedanken in uns tragen. Und das ist etwas, was Gustav Rau auch in seiner Sammlung angelegt hat. Die Sammlung hat absolute Museumsqualität und dies wirkt sich natürlich auch auf ihren Wert aus.

Was ist Ihnen bei der Arbeit mit der Sammlung über das Auge des Sammlers aufgefallen?

Susanne Blöcker: Das Besondere ist sein Blick für Qualität. Ich habe einiges gelesen und dabei erfahren, dass er schon als Kind durch seine Mutter an Kunst und Museen herangeführt wurde. Das waren schon mal die positiven familiären Grundbedingungen. Zu Hause gab es Kunst, meistens das, was man so in den 1950er Jahren dann zu Hause hatte, nämlich die Niederländer und das 19. Jahrhundert. Er hat zwar Wirtschaftswissenschaften studiert, aber gleichzeitig freiwillig kunstgeschichtliche Vorlesungen besucht und sehr, sehr viel gelesen, sich kundig gemacht. Er hat durch Selbststudium eine sehr persönliche Kennerschaft erworben.

Er hat meiner Ansicht nach von der Leidenschaft aus gesammelt. Er hat nicht nur geschaut, „was ist was wert“, sondern gefragt: „was spricht mich an“, „was fasst mich an“. Er war anscheinend ein sehr sensibler Mensch. Denn sonst hätte er nicht noch Kindermedizin studiert und sich als jemand, der von Idealen lebt, sehr dafür eingesetzt, für die Ärmsten da zu sein. Genauso hat er Kunst gesammelt, voller Leidenschaft. Man sieht das an der großen Bandbreite seiner Sammlung vom Mittelalter zur Moderne. Das ganz Aktuelle hat ihn nicht so interessiert, zum Beispiel die informellen Künstler seiner Zeit. Er hat das gesammelt, was ihm Spaß machte. Damit ist er ein Sammler der alten Fraktion, der fast schon universal versucht, die vorangegangenen Epochen abzudecken, und zwar nicht nur durch Gemälde, sondern auch mit Skulpturen. Er hat auch Kunstgewerbe gesammelt wie es etwa Städel oder Wallraff gemacht haben, nur in kleinerem Maßstab.

Was ist das Besondere daran, mit einer Sammlung zu arbeiten, die so breit angelegt ist, dass sie vom Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert hinreicht?

Julia Wallner: Die Spannbreite ist der große Vorteil dieser Sammlung. Es ist meiner Ansicht nach der Anspruch der Sammlung, an die großen Themen des Lebens und der Kunst heranzukommen. Ich denke, er hat auch spezifische Themen, die immer wieder vorkommen. Das Religiöse ist ein Ausgangspunkt, der Mensch im Zentrum, dann gibt es die Häfen, Meer, Wasser. Im christlichen, beziehungsweise im religiösen Sinne gibt es Vieles, was vielleicht mit der Medizin zu tun hat. Es gibt viele Arbeiten, wo es um Berührungen geht, um Körperlichkeit oder Geistigkeit, die sich durch den Körper äußert. Viele Mediziner haben ja einen heiligen Thomas.

Es ist meiner Ansicht nach der Anspruch der Sammlung, an die großen Themen des Lebens und der Kunst heranzukommen. 

Dr. Julia Wallner

Susanne Blöcker: Man kann zum einen thematische Ausstellungen machen, man kann bestimmte Kunstrichtungen sehr gut präsentieren, die er schwerpunktmäßig gesammelt hat – Niederländer haben wir mal gezeigt, Franzosen, Impressionisten, demnächst die Symbolisten oder Fauvisten. Man kann einzelne Persönlichkeiten herausarbeiten, weil die Qualität es möglich macht. Ich denke da zum Beispiel an Paula Modersohn-Becker. Von ihr gibt es zwar nur ein Bild in der Sammlung, aber es ist so gut und es ist so besonders in ihrem Oeuvre, dass es mit einer Zutat verschiedenster Leihgaben ausstrahlt. Wir sind damit ein guter Partner für andere Museen.

Julia Wallner: Bei der Ausstellung „Maestras“, haben wir zum Beispiel mit der Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid zusammengearbeitet und herausragende Malerinnen präsentiert, die vielen Menschen unbekannt waren. Für Gustav Rau hat das Thema Frauen in der Kunst in seiner Zeit vermutlich keine besondere Rolle gespielt. Aber es hat ihn auch nicht nicht interessiert. Ein normaler Sammler hätte damals diese Werke nicht gleichwertig behandelt. Das ist eigentlich das Fortschrittliche an seiner Art zu sammeln, dass er aus der Qualität und den Inhalten heraus gesammelt hat, nicht wie moderne Sammler heute, die vielfach vor allem aus Anlagegründen kaufen.

Qualität in der Kunst ist schwer zu fassen. Woran machen Sie Gustav Raus Sinn für Qualität fest?

Julia Wallner: Nun, ich glaube schon, dass es einen Qualitätsbegriff geben kann. Die Kunstgeschichte verändert sich je nachdem, welche Frage man stellt und aus welcher Zeit man kommt. Selbst bei einem Künstler wie Monet, der unbestritten einer der besten Maler seiner Zeit war, sieht man ganz sicher Qualitätsunterschiede innerhalb der Werke. Gleichzeitig kann uns das eine Werk in einem bestimmten Kontext mal mehr interessieren als ein anderes. Dann gibt es auch Werke, die innerhalb eines Oeuvres eine besondere Stellung einnehmen. Natürlich gibt es auch Kategorien wie „gut gemalt“, obwohl diese im 20. Jahrhundert nicht mehr die ganz große Rolle spielen, wo neben dem technischen Können die Idee besonders wichtig ist. Das Bild von Mary Cassat ist ein gutes Beispiel: Früher hat man gesagt, ach noch eine Mutter mit einem stillenden Kind. Heute sieht man das ganz anders.

Das ist eigentlich das Fortschrittliche an seiner Art zu sammeln, dass er aus der Qualität und den Inhalten heraus gesammelt hat, nicht wie moderne Sammler heute, die vielfach vor allem aus Anlagegründen kaufen.  

Dr. Julia Wallner

Susanne Blöcker: Gustav Rau hatte manchmal den richtigen Riecher. Unter anderem ein Frühwerk von Monet, das in der Sammlung ist, wird bei uns häufig von anderen Museen angefragt. Das Bild „Der Waldweg“ hat er gekauft zu einem frühen Zeitpunkt. Das Bild ist nicht typisch impressionistisch, es ist vorimpressionistisch. Aber heute weiß man, da beginnt der Impressionismus. Ich weiß nicht, ob man das seinerzeit schon so gesehen hat, er hat es aber vielleicht geahnt.

Es gibt auch ein – wie ich finde besonderes – Bild von Max Liebermann in der Sammlung, das in der Ausstellung „Sehnsucht nach Utopia“ im Arp-Museum gezeigt wird.

Susanne Blöcker: Das Bild „Rückkehr aufs Land“ hätten andere Liebermann-Sammler vermutlich links liegen gelassen. Es ist eher skizzenhaft. Und wenn man es mit dem Entwurf für das Waisenhaus vergleicht, der ja ebenfalls in der Sammlung ist, ist es ganz anders. Es ist sehr viel moderner. Dieser uns abgewandte Blick des alten Mannes in die Tiefe des Bildes hinein ist sehr meditativ und erinnert an den Romantiker Caspar David Friedrich. An den Seiten der Leinwand ist alles offen. Das ist mutig vom Maler und auch mutig vom Sammler, ein solches Bild zu erwerben.

Sie haben bis heute 25 Ausstellungen mit Bildern aus der Sammlung Rau gemacht. Gibt es dabei irgendetwas, was Sie besonders berührt oder begeistert hat?

Susanne Blöcker: Immer wieder entdecke ich Neues. Wir hatten einmal eine Skulptur aus Elfenbein, die ist als anonym gekennzeichnet zu uns gekommen. Diese Skulptur des Heiligen Bartholomäus ist dann später durch Eike Schmidt, dem Chef der Uffizien in Florenz, zugeschrieben worden. Es ist enttarnt worden, dass dahinter ein ganz berühmter Elfenbeinschnitzer des Barocks steht, Jacobus Agnesius. Damit ist sie unvergleichlich kostbar. Sie war das für uns auch vorher schon, weil wir die Qualität des Schnitzers gesehen hatten, auch wenn sein Name unbekannt war. Genauso ein anonymer Bachlauf von ungeheurer Qualität, der nur auf einen Experten wartet, der die Urheberschaft enttarnt und den großen Meister erkennt, den Gustav Rau gesehen hat.

Das Arp-Museum setzt die Sammlung Rau immer wieder in Beziehung mit anderen Sammlungen. Wo hat das besonders gut funktioniert?

Susanne Blöcker: Die Zusammenarbeit mit dem Museum in Groningen ist zum Beispiel sehr interessant. Wir hatten eine Stillleben-Ausstellung zuerst hier, und dann hat der Chef des Museums in Groningen die Ausstellung dorthin geholt. Das war ein sehr schönes Zusammenspiel – auch mit UNICEF. Groningen hat zum Beispiel eine Kindereröffnung gemacht, was ich sehr reizvoll fand. Auch die Kooperation in Bremen mit dem Modersohn-Becker Museum oder dem Bucerius Kunstforum in Hamburg – jeweils zu ganz anderen Aspekten – waren echte Höhepunkte. Demnächst haben wir die Phoebus-Foundation hier aus Antwerpen. Das ist eine sehr gute Privatsammlung – ähnlich wie die von Gustav Rau breit aufgestellt –, aber mit deutlichen Schwerpunkten am Ende des 19. Jahrhunderts.

Das Arp-Museum ist durch seinen Namensgeber besonders mit der Kunst des 20. Jahrhundert verbunden. Wie hat das Publikum es aufgenommen, hier alten Meistern zu begegnen?

Julia Wallner: Es hat hervorragend funktioniert. Die Menschen, die hierherkommen, kommen nach unserer Erfahrung nicht wegen einzelner Werke, sondern prinzipiell wegen ihres Interesses an Kunst und vielleicht an Fragen der Menschheit. Das Museum ist für sie auch ein spiritueller Ort oder ein Ort, an dem gesellschaftliche Utopien behandelt werden, Gedanken, die sich durch verschiedene Epochen ziehen. In vielen thematischen Ausstellungen versuchen wir, genau dies immer wieder herauszuarbeiten und die verschiedenen künstlerischen Ansätze miteinander ins Gespräch zu bringen. Viele unserer Besucherinnen und Besucher lassen sich hierdurch gerne inspirieren.

Die alte Kunst wird häufiger als „einfacher“ betrachtet, was sie nicht ist. Manchen Menschen erscheint der Zugang jedoch zunächst leichter. Ich beobachte aber, dass sich die Menschen mitnehmen lassen – in die eine wie die andere Richtung. Es kommen Menschen, die nur Moderne sehen wollen und stolpern in die Kunstkammer Rau, aus der sie staunend wieder heraustreten, und andersherum genauso. Die Themen und Begriffe der Kunst sind universell und nicht so eng an die Epochen gebunden. Es geht um die Befruchtung des einen durch das andere.

Was hätte Hans Arp wohl zu der Sammlung Rau gesagt?

Julia Wallner: Durch die Erfahrung des ersten Weltkriegs hatte Hans Arp einen Endpunkt der Kunstgeschichte gesehen. Es musste aus seiner Sicht etwas Neues beginnen. Er war aber kein Mensch für die Revolution, sondern eher für die stetige Transformation. Er hat an vielen Stellen die Kunstgeschichte abgelehnt. Wir wissen aber, dass er kunsthistorisch gebildet war. Er war Elsässer, hatte starke Beziehungen nach Paris, dem Zentrum der Kunst im Übergang von Tradition und Moderne. Monet, Pissarro, das hat ihn unter Garantie erreicht und interessiert. Die Loslösung von Farbe und Form vom Inhaltlichen und Erzählerischen ist da zentral. Und zum anderen der psychologische Gehalt des Werkes, der sich letztlich immer mehr löst von der Materie war etwas, was ihn interessiert hat.

Nichts kommt von nichts. Unser Blick in die Geschichte ist manchmal leider etwas eng. Gerade in jüngster Zeit finde ich es sehr auffällig, wie Geschichte als altmodisch hingestellt wird und man sagt, man braucht das alles nicht mehr, man kann es abschneiden. Aber es ist doch eigentlich verrückt. In unseren doch sehr verunsichernden Zeiten müssten wir eigentlich denken, dass es sich lohnt, bei den alten Meistern zu schauen. Uns hat neulich jemand, dem unser Museum sehr gut gefallen hat, dazu in das Gästebuch geschrieben: „Sonst sind wir nur noch Affen mit Autoschlüsseln“.

Die Fragen stellte Rudi Tarneden, ehemaliger Sprecher von UNICEF Deutschland.

Rudi Tarneden
Autor*in Rudi Tarneden

Rudi Tarneden war von 1995 bis 2023 Sprecher von UNICEF Deutschland.