Gaza: Schwellenwerte für Hungersnot teilweise überschritten
UNICEF und WFP warnen vor Wettlauf gegen die Zeit

Der zweijährige Yazan ist schwer mangelernährt und lebt im Flüchtlingslager Shati in Gaza-Stadt. Seine Mutter Naima sagt: „Wir haben seit zwei Monaten weder Mehl noch Lebensmittelhilfe erhalten.“ Mangelernährung hat sich unter Kindern im Gazastreifen rasch ausgebreitet, wobei die Zahlen in Gaza-Stadt seit Februar um das Vierfache gestiegen sind.
© UNICEF/UNI838255/El BabaDas Risiko einer Hungersnot im Gazastreifen ist laut einem heute veröffentlichten neuen Bericht sehr hoch. Die Schwellenwerte bei zwei von drei Indikatoren, die auf eine Hungersnot hindeuten, wurden bereits teilweise überschritten. So haben laut der IPC-Klassifizierung (Integrated Food Security Phase Classification) die Indikatoren für Lebensmittelverbrauch und Ernährung den schlechtesten Stand seit Beginn des Konflikts erreicht. Für den dritten Indikator, die Sterberate durch Hunger und Mangelernährung, gibt es nicht ausreichend Daten.
Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) warnen vor einem Wettlauf gegen die Zeit für umfassende humanitäre Hilfe.
Der anhaltende Konflikt, der Zusammenbruch grundlegender Dienstleistungen und die starken Einschränkungen bei der Lieferung und Verteilung humanitärer Hilfsgüter haben zu einer katastrophalen Ernährungskrise für Hunderttausende Menschen im gesamten Gazastreifen geführt.
Jeder Dritte in Gaza hat tagelang kein Essen
Der Lebensmittelverbrauch – der erste zentrale Indikator für Hunger – ist in Gaza seit der letzten IPC-Aktualisierung im Mai 2025 drastisch zurückgegangen. Die Daten zeigen, dass mehr als jeder Dritte (39 Prozent) mittlerweile tagelang ohne Essen auskommen muss. Über 500.000 Menschen – fast ein Viertel der Bevölkerung Gazas – leiden unter hungersnotähnlichen Bedingungen, während der Rest der Bevölkerung mit Hunger auf Notfallniveau konfrontiert ist.
Die akute Mangelernährung – der zweite zentrale Indikator für Hungersnöte – hat in Gaza drastisch zugenommen. In Gaza-Stadt hat sich die Rate der mangelernährten Kleinkinder unter fünf Jahren innerhalb von zwei Monaten vervierfacht und liegt nun bei 16,5 Prozent. Damit steigt das Risiko der Kinder, an Hunger und Mangelernährung zu sterben.
Akute Mangelernährung und Berichte über Todesfälle aufgrund von Hunger – der dritte zentrale Indikator für Hungersnöte – werden immer häufiger, doch unter den derzeitigen Umständen ist es nach wie vor sehr schwierig, verlässliche Daten im Gazastreifen zu erheben, da die Gesundheitssysteme kaum noch funktionsfähig sind.
„Das unerträgliche Leid der Menschen in Gaza ist für die ganze Welt bereits klar zu sehen. Es ist unverantwortlich, auf die offizielle Bestätigung einer Hungersnot zu warten, um ihnen die lebensrettende Nahrungsmittelhilfe zukommen zu lassen, die sie dringend benötigen“, sagte Cindy McCain, Exekutivdirektorin des WFP. „Wir müssen Gaza sofort und ohne Hindernisse mit groß angelegter Nahrungsmittelhilfe versorgen und diese jeden Tag aufrechterhalten, um eine Massenhungersnot zu verhindern. Die Menschen sterben bereits an Mangelernährung, und je länger wir mit Maßnahmen warten, desto höher wird die Zahl der Todesopfer steigen.“
Alle Kinder unter fünf Jahren von akuter Mangelernährung bedroht
Mit Stand Juli 2025 sind über 320.000 Kinder, also alle Kinder unter fünf Jahren im Gazastreifen, von akuter Mangelernährung bedroht. Tausende von ihnen leiden an schwerer akuter Mangelernährung, der tödlichsten Form. Die Ernährungsversorgung ist zusammengebrochen, und Säuglinge haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, Babymilch und therapeutischer Nahrung.
Im Juni wurden 6.500 Kinder wegen Mangelernährung behandelt, die höchste Zahl seit Beginn des Konflikts. Im Juli sind die Zahlen noch höher: Allein in den ersten beiden Wochen des Juli wurden 5.000 Kinder aufgenommen. Da derzeit weniger als 15 Prozent der grundlegenden Ernährungsbehandlungsdienste funktionieren, ist das Risiko von Todesfällen aufgrund von Mangelernährung bei Säuglingen und Kleinkindern höher denn je.
Ausgemergelte Babys sterben an Hunger und Mangelernährung
„Ausgemergelte Kinder und Babys sterben in Gaza an Mangelernährung“, sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. „Wir brauchen sofortigen, sicheren und ungehinderten humanitären Zugang im ganzen Gazastreifen, um die Lieferung von lebensrettenden Lebensmitteln, therapeutischer Nahrung, Wasser und Medikamenten auszuweiten. Ohne diesen Zugang werden Mütter und Väter weiterhin mit dem schlimmsten Albtraum aller Eltern konfrontiert sein: Sie sind machtlos, ihr hungerndes Kind vor einem Schicksal zu schützen, das wir verhindern könnten.“
Hilfe entspricht nur Bruchteil des Nötigen
Trotz einer teilweisen Wiederöffnung der Grenzübergänge entspricht die humanitäre Hilfe, die derzeit in den Gazastreifen gelangt, nur einem Bruchteil dessen, was eine Bevölkerung von über zwei Millionen Menschen jeden Monat benötigt.
Allein um den grundlegenden Bedarf an humanitärer Nahrungsmittel- und Ernährungshilfe in Gaza zu decken, sind jeden Monat mehr als 62.000 Tonnen lebensrettende Hilfsgüter erforderlich. Die Wiederaufnahme kommerzieller Nahrungsmittelimporte ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um eine abwechslungsreiche Ernährung mit frischem Obst, Gemüse, Milchprodukten und Proteinen wie Fleisch und Fisch zu gewährleisten.
Darüber hinaus untergräbt der Mangel an Treibstoff, Wasser und anderen lebenswichtigen Hilfsgütern weiterhin die Bemühungen, eine Hungersnot und Todesfälle von Kindern zu verhindern.
Die UN-Organisationen begrüßen die jüngsten neuen Zusagen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für humanitäre Organisationen, einschließlich der Einführung humanitärer Pausen und ausgewiesener humanitärer Korridore. Sie hoffen, dass diese Maßnahmen einen Anstieg der dringend benötigten Nahrungsmittel- und Ernährungshilfe ermöglichen, damit hungernde Menschen ohne weitere Verzögerungen versorgt werden können.
Die UN-Organisationen wiederholen außerdem ihre dringenden Forderungen nach:
- Einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, um das Töten zu beenden, die sichere Freilassung von Geiseln zu ermöglichen und lebensrettende humanitäre Einsätze weiter zu ermöglichen.
- Einem dauerhaften sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe, um über alle verfügbaren Grenzübergänge Hilfe in großem Umfang zu leisten und Familien in Not in ganz Gaza mit Lebensmitteln, Nahrungshilfen, lebenswichtigem Wasser, Treibstoff und medizinischer Hilfe zu versorgen.
- Der dringenden Notwendigkeit, den Handelsverkehr nach Gaza wieder in Gang zu bringen, indem die kommerziellen Lieferketten wiederbelebt werden, um die lokalen Märkte wiederherzustellen.
- Dem Schutz der Zivilbevölkerung und der humanitären Helfer*innen sowie Wiederherstellung der grundlegenden Versorgungsdienste, insbesondere der Gesundheits-, Wasser- und Abwasserinfrastruktur.
- Investitionen in die Wiederherstellung der lokalen Ernährungssysteme, einschließlich der Wiederbelebung von Bäckereien, Märkten und der Sanierung der Landwirtschaft.
*Die Integrierte Klassifizierung der Ernährungssicherheit (IPC) ist eine innovative Initiative mehrerer Partner zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und Ernährungsanalyse sowie der Entscheidungsfindung. Mithilfe der IPC-Klassifizierung und des analytischen Ansatzes arbeiten Regierungen, UN-Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, die Zivilgesellschaft und andere relevante Akteure zusammen, um die Schwere und das Ausmaß akuter und chronischer Ernährungsunsicherheit sowie akuter Mangelernährung in einem Land nach international anerkannten wissenschaftlichen Standards zu bestimmen.
Service für Redaktionen
» Gerne vermitteln wir Interviews mit Kolleg*innen in Gaza oder der Region.
» Aktuelles Bild- und Videomaterial zu den Hilfslieferungen und zur Lage vor Ort finden sie hier.
Weitere Informationen zum aktuellen IPC-Report für Gaza finden Sie hier.
Spenden für Gaza
UNICEF leistet humanitäre Hilfe in Gaza. Unterstützen Sie den Einsatz für Kinder mit Ihrer Spende für Gaza

Ninja CharbonneauAbteilungsleiterin Presse/Sprecherin