Aufwachsen in der Ukraine: Kindheit zwischen Bombardierungen und Zukunftsangst
UNICEF-Delegation berichtet nach Besuch in Charkiw: Kinder erleben einen nicht endenden Albtraum / Hilfe muss anhalten
Während über einen Friedensplan für die Ukraine verhandelt wird, hält der Krieg mit unverminderter Härte an. Kinder werden getötet und verletzt – wie erst gestern erneut in Charkiw. Seit bald 1.400 Tagen leben sie in ständiger Angst, müssen im Dunkeln die Einschläge der Bomben ertragen und können nicht regelmäßig lernen – selbst weit entfernt von der Front. Kein Kind und kein Zuhause in der Ukraine ist sicher, warnt UNICEF nach dem dreitägigen Besuch einer Delegation aus Deutschland in Charkiw in der Ostukraine. Die Kinder brauchen gerade jetzt weiter Unterstützung.
„Kein Kind in der Ukraine kann diesem Krieg entkommen. Viele der Kinder und Jugendlichen, mit denen wir gesprochen haben, wirken erschöpft und zermürbt. Eltern berichten, dass ihre Kinder unter Angstzuständen, Depressionen und Schlafstörungen leiden“, sagte Georg Graf Waldersee, Vorstandsvorsitzender von UNICEF Deutschland. „Gleichzeitig haben wir erlebt, wie unverzichtbar die Hilfe von UNICEF vor Ort ist. Wir konnten sehen, wie Kindern aller Altersgruppen inmitten von Luftalarm und Angriffen ein Stück Alltag in Kindergarten, Schule und Jugendzentren ermöglicht wird – oft die einzige Möglichkeit, ein paar unbeschwerte Stunden mit Gleichaltrigen zu verbringen.“
Viele Kinder im Vorschulalter können aufgrund der Gewalt keinen Kindergarten besuchen. Dadurch verpassen sie frühkindliche Lernmöglichkeiten, die für ihre soziale und kognitive Entwicklung wichtig sind. In den Frontregionen weisen rund acht von zehn Kleinkindern Anzeichen emotionaler Belastungen und Entwicklungsverzögerungen auf.

UNICEF unterstützt Nothilfeteams, die unmittelbar nach schweren Einschlägen wie jenem in der Nacht auf den 19. November in Charkiw eine psychologische Erstversorgung für betroffene Kinder und Familien sicherstellen.
© UNICEF/ Oleksii Filippov„Bei einem Treffen mit Jugendlichen erzählte uns ein 16-jähriges Mädchen: ‚Meine größte Angst ist, dass dieser Krieg nie aufhört.‘ Dieser Satz verdeutlicht, welche enormen Belastungen Kinder und Jugendliche in der Ukraine erleben“, sagte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF. „In Balakliya trafen wir den zwölfjährigen David, dessen Zuhause erst zwei Nächte zuvor bei einem Drohnenangriff zerstört wurde. Er hatte im Flur Schutz gesucht und überlebte. Nun versucht er, die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten – auch mit Unterstützung von UNICEF. Trotz allem hegt er einen großen Traum: eines Tages Nothelfer zu werden und anderen zu helfen.“
Seit Februar 2022 wurden in der Ukraine mehr als 3.100 Kinder getötet oder verletzt. Die schweren Angriffe auf kritische Infrastruktur verschärfen das Leben der Kinder drastisch, insbesondere in den Wintermonaten. Auch Minen und Blindgänger sind eine tagtägliche Gefahr für Kinder. Viele Kinder können diese nicht als Gefahren erkennen und halten sie für Spielzeug.

Daniil (12) ist einer der vielen Opfern von Blindgängern. UNICEF unterstützt ihn und seine Familie mit Bargeldhilfen und psychosozialer Unterstützung.
© UNICEF/ Oleksii Filippov„In Charkiw begegneten wir dem zwölfjährigen Daniil. Vor einigen Monaten wurde er von einem Blindgänger erfasst und schwer verletzt. Kurze Zeit später gab es einen Evakuierungsaufruf für seinen Heimatort, und er suchte gemeinsam mit seinen Geschwistern und seiner Mutter Zuflucht in Charkiw. Er hofft, dass er eines Tages wieder Volleyball spielen kann“, so Georg Graf Waldersee.
UNICEF ruft dazu auf, den Kindern in der Ukraine weiter zur Seite zu stehen – mit humanitärer Hilfe und langfristiger Unterstützung.
„Die Familien, mit denen wir gesprochen haben, möchten in ihrem Zuhause, an ihrem Wohnort und in ihrer Schule eine friedliche Zukunft gestalten. Dafür müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Das Überleben der Kinder und ihre Entwicklung sind entscheidend für die Zukunft des Landes“, sagte Christian Schneider. „Es ist nicht ihr Krieg, aber ihr Leben.“
In enger Zusammenarbeit mit den relevanten Behörden und einem Team von mehr als 300 Mitarbeitenden leistet UNICEF Hilfe für Kinder in der Ukraine. So trägt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen dazu bei, Schulen, Kindergärten, aber auch die Wasserversorgung und Sanitäreinrichtungen wiederaufzubauen. Familien, die alles verloren haben, erhalten Bargeldhilfen. Schulen werden unterstützt, damit sie winterfest werden und sowohl sichere Lern- und Spielorte als auch psychosoziale Hilfe unter der Erde bieten können. Nothilfeteams leisten erste psychologische und praktische Hilfe nach Angriffen. Darüber hinaus fördert UNICEF Programme, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Teilhabe und Zukunftschancen eröffnen.
Die Bundesregierung sowie die Spenderinnen und Spender in Deutschland zählen zu den wichtigsten Unterstützern der UNICEF-Hilfe für Kinder in der Ukraine.
Service für die Redaktionen
» Ein UNICEF-Faktenblatt zur Lage der Kinder in der Ukraine finden Sie hier.
» Gerne stehen UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider und Sprecherin Christine Kahmann für Interviews zur Verfügung.
» Eine Sammlung an aktuellem Bildmaterial zum Besuch senden wir Ihnen gerne auf Anfrage zu.
» Aktuelles Bild- und Videomaterial zur Ukraine können Sie zudem auf dieser Seite abrufen.
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat UNICEF unter anderem dazu beigetragen, 225.000 Kinder mit Lernangeboten und 235.000 Kinder und Betreuende mit psychosozialer Hilfe zu erreichen. 2,5 Millionen Menschen erhielten Zugang zu sauberem Wasser und rund 400.000 Kinder und Mütter zur Gesundheitsversorgung. Rund 52.000 Familien erhielten Bargeldhilfen.
UNICEF ruft dringend zu Spenden für die Kinder in der Ukraine auf.

Christine KahmannSprecherin (Berlin) - Nothilfe & Internationale Themen