© UNICEF/UN0292175/SokolBangladesh: Ein Arbeiter mit seiner Tochter auf dem Fabrikgelände.
Gut zu wissen

Familienfreundliche Arbeitsplätze – was sie sind und was sie leisten

Nicht erst seit Covid-19 ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiges gesellschafts- und unternehmenspolitisches Thema. Doch was genau macht einen Arbeitsplatz eigentlich familienfreundlich und warum ist die Förderung familienfreundlicher Arbeitsplätze so wichtig – gerade auch in der Lieferkette? Wir haben im Rahmen einer Veranstaltung mit verschiedenen Expert*innen gesprochen und zeigen, wie Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen können.


von Laura Much

Die Covid-19-Pandemie hat Millionen Eltern und Kinder weltweit an ihre Belastungsgrenzen gebracht. Nationale Lockdowns und ihre Folgen, wie zum Beispiel Schulschließungen, ausbleibendes Familieneinkommen oder fehlende soziale Sicherung, aber auch Home-Office und Homeschooling stellen Familien vor enorme Herausforderungen. Sie haben die Dringlichkeit familienfreundlicher Ansätze in der Arbeitswelt auf unvorhersehbare und beispiellose Art und Weise sicht- und erfahrbar gemacht.

Frankreich: Journalistin arbeitet im Home Office.

Anne-Lise, Journalistin, arbeitete während des Lockdowns in Frankreich von zuhause.

© UNICEF/UNI323485/Amsellem/Divergence

Gerade wirtschaftlich schlechter gestellte Familien und Kinder in Ländern mit gering ausgeprägten sozialen Sicherungssystemen sind laut UNICEF von den Auswirkungen der Pandemie stark betroffen. Unternehmen mit einer Niederlassung, Geschäftspartnern oder Zulieferern in diesen Ländern stehen vor der Herausforderung, mit dieser Problematik umzugehen.

Doch auch abseits der globalen Pandemie ist ein verstärktes Augenmerk auf die Bedürfnisse von Eltern und ihren Kindern in Unternehmensprozessen ein wichtiger Treiber für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung. Unternehmen können einen zentralen Beitrag dazu leisten - im Umfeld des eigenen Unternehmens wie auch in ihren Lieferketten.

Gestaltungsmöglichkeiten und Herausforderungen familienfreundlicher Praktiken

Was genau macht einen Arbeitsplatz eigentlich familienfreundlich? Dazu veröffentlichten der UN Global Compact und UNICEF im November 2020 eine gemeinsame Publikation.

Im Rahmen einer dazugehörigen Diskussionsveranstaltung* des Deutschen Global Compact Netzwerks (DGCN) und des Deutschen Komitees für UNICEF verwies Chris Kip, Child Rights & Business Spezialist bei UNICEF, insbesondere auf die Dimensionen Zeit, Ressourcen und Leistungen. Flexible Arbeitszeitmodelle würden beispielsweise mehr Zeit für die Familie und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen. Auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlte Elternzeit – ausdrücklich auch für Väter – fallen in diese Dimension: „Elternzeitmodelle sollten geschlechtersensibel gestaltet sein, sodass sie gerade auch Väter dazu anregen, sich diese Zeit zu nehmen“, so Kip.

Guatemala: Vater liest seinem Sohn etwas vor.

Auch Väter sollten die Möglichkeit haben, Elternzeit zu nehmen.

© UNICEF/UNI235468/Willocq

Auch existenzsichernde Löhne und eine adäquate Kinderbetreuung sind hierbei von großer Bedeutung – auch im Kontext globaler Lieferketten. Denn nach wie vor gibt es in vielen Ländern der Welt gar keinen oder keinen angemessenen gesetzlichen Mindestlohn. Das führt dazu, dass viele Arbeitskräfte keine existenzsichernden Löhne erhalten. Ein wesentlicher Beitrag von Unternehmen zur Förderung von Familien, so Kip, bestehe deshalb auch ganz grundlegend darin, sicherzustellen, dass gezahlte Löhne die Kosten für Familienausgaben im lokalen Kontext decken können.

Aus der Praxis: Partnerschaften und Einbindung von Beschäftigten als Schlüssel zum Erfolg

Soviel zur Theorie – doch wie gelingt die Umsetzung in der Praxis, auch mit Blick auf die erschwerten Bedingungen der Covid-19-Pandemie?

Wie familienfreundliche Arbeitsplätze in der Lieferkette gefördert werden können, zeigt ein Beispiel der Otto Group. Gemeinsam mit Save the Children hat die Otto Group in chinesischen Zulieferbetrieben familienfreundliche Praktiken eingeführt, die u.a. auf die besonderen Bedürfnisse von Wanderarbeiter*innen und deren Kinder eingehen. Aufgrund der Pandemie litten die Arbeiter*innen vor allem unter der räumlichen Trennung von ihren Kindern. Besonders nachgefragt wurden im Rahmen des Programms daher Beratungsangebote für eine bessere Onlinekommunikation, praktische Trainings zu digitalen Medien sowie individuelle Elterncoachings.

China: Mädchen benutzt ihr Smartphone.

Wanderarbeiter*innen können während der Pandemie oft nur über Online-Medien mit ihren Kindern im Kontakt bleiben.

© UNICEF/UNI304639/Ma

Dazu Lena Peleikis, Corporate Responsibility Lead Human Rights & Supply Chain Transparency, Otto Group: „Ein Augenmerk sollte immer darauf liegen, die spezifischen Bedürfnisse und Lebensumstände der Mitarbeiter*innen in Erfahrung zu bringen, um überhaupt gezielt auf diese eingehen zu können. Man kennt beispielsweise das Geschlechterverhältnis in der Belegschaft – aber wissen Sie auch, wie viele davon Eltern von Kindern in einem fürsorgebedürftigen Alter sind?“

Das Rad müsse bei der Umsetzung familienfreundlicher Praktiken nicht neu erfunden werden, stellt Lena Peleikis klar. Insgesamt sei es dem Unternehmen wichtig gewesen, sich an den in der Branche bereits bewährten Ansätzen zu orientieren, diese an den Kontext der Zulieferbetriebe und die Pandemiesituation zu adaptieren und sich mit erfahrenen Partnern bei der Umsetzung zusammenzuschließen.

Indien: Schwangere Frau verrichtet körperliche Arbeit.

Srimati Naik, verrichtet selbst hochschwanger noch mühsame Arbeit.

© UNICEF/UNI90464/Khemka

Die Unterstützung von Zulieferern bei der Umsetzung von Maßnahmen für arbeitende Eltern ist auch bei Hunkemöller International ein wichtiger Aspekt erfolgreicher Zusammenarbeit. So setzt das Unternehmen gemeinsam mit UNICEF und zwei Fabriken in Bangladesch das sogenannte „Better Business for Children“-Kinderrechtsprogramm von UNICEF um. Es adressiert u.a. die Bestimmungen zur Mutterschaft und verbessert die Lage von schwangeren Frauen bei den Lieferanten deutlich.

Ein Hauptproblem sei in vielen Ländern, dass Mütter nach der Schwangerschaft nicht zu ihrem alten Arbeitgeber zurückkehren können – sei es aufgrund fehlender rechtlicher Bestimmungen oder fehlender Kenntnis der eigenen Rechte, erklärt Rebecka Sancho, CSR Managerin bei Hunkemöller International.

Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die positiven Ergebnisse der engen Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten: „Seit Programmbeginn sind alle in den teilnehmenden Fabriken angestellten Frauen nach ihrer Schwangerschaft wiedereingestellt worden – ein Erfolg unseres gemeinsam mit den Lieferanten aufgesetzten Maßnahmenplanes“.

Statt familienfreundliche Ansätze in einem hierarchischen Prozess einfach vorzugeben und die Geschäftspartner ansonsten sich selbst zu überlassen, sollten Unternehmen ihren Zulieferbetrieben also gezielt Hilfestellung anbieten – als gemeinsame Investition. Nur so können Motivation und Fähigkeiten lokal generiert und verankert werden. Das wiederum ist gerade auch angesichts der bereits bestehenden Vielzahl an Anforderungen in der Lieferkette enorm wichtig.

Vietnam: Eine Arbeiterin in einer Textilfabrik.

In arbeitsintensiven Branchen wie der Textilindustrie können Hilfen für Eltern – zum Beispiel in Form von Betreuungsangeboten für Kinder – dazu beitragen, Abwesenheiten zu reduzieren und die Produktivität zu erhöhen.

© UNICEF/UN0215793/Viet Hung

Eine Investition mit klaren Vorteilen

Die Förderung von familienfreundlichen Arbeitsplätzen in globalen Lieferketten ist allerdings noch immer eine Ausnahme. Während viele deutsche Unternehmen dies in ihren eigenen Unternehmen als selbstverständlich verstehen, sind familienfreundliche Arbeitsplätze in den Lieferketten deutscher Unternehmen nicht gleichermaßen weit verbreitet.

Gerade deshalb ist es so wichtig, gegenüber Zulieferbetrieben auch die geschäftlichen Vorteile von familienfreundlichen Praktiken ausreichend zu kommunizieren und damit Anreize für die Umsetzung zu setzen. „Wie genau diese aussehen, hänge maßgeblich von der Branche ab“, so Carmen Niethammer, internationale Expertin in den Bereichen Gender, Vielfalt und Inklusion.

„Für Unternehmen mit sehr hoher Spezialisierung und sehr gut ausgebildeten Fachkräften können familienorientierte Leistungen ein wichtiger Faktor bei der Anwerbung neuer Mitarbeiter*innen sein und den Unterschied gegenüber Wettbewerbern machen. In arbeitsintensiven Branchen wiederum mit mehrheitlich ungelernten Arbeitskräften, wie der Textilindustrie, können Hilfen für Eltern – zum Beispiel in Form von Betreuungsangeboten für Kinder – dazu beitragen, Abwesenheiten zu reduzieren und die Produktivität zu erhöhen.“

Dies bestätigt auch eine Studie der International Finance Corporation (IFC), die den Business Case, also die Vorteile, die sich aus der Umsetzung familienfreundlicher Arbeitsplätze ergeben, umfassend untersucht und zahlreiche Vorteile identifiziert hat.

Bangladesh: Frau stillt ihren sechs Monate alten Sohn.

Shonchita Rani Das aus Bangladesch stillt ihren sechs Monate alten Sohn Ayon Deep Chornodas.

© UNICEF/UN0462284/Satu

Ein Thema von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung

Mit ihrem Engagement für familienfreundliche Ansätze stärken Unternehmen wie Otto oder Hunkemöller die Kontinuität und Resilienz ihrer Lieferketten. Die Stärkung der Reche von Kindern und ihrer Familie im Rahmen der Förderung von familienfreundlichen Praktiken in Unternehmen trägt zudem auch direkt zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele („Sustainable Development Goals“, SDGs) bei.

Wie, das zeigt sich am Beispiel der Unterstützung für stillende Mütter: Nur rund 40 Prozent aller Kinder weltweit werden in den ersten sechs Monaten nach der Geburt ausschließlich gestillt. Dabei ist das Ausbleiben des Stillens laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein wesentlicher Faktor für erhöhte Krankheitsraten und damit auch eine erhöhte Kindersterblichkeit. So fördert das Stillen beispielsweise ganz direkt das Wohlergehen und die Gesundheit von Kindern (SDG 3). Auch die Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen (SDG 5) kann es unterstützen.

Eine verfrühte Rückkehr an den Arbeitsplatz ist dabei oftmals einer der Hauptgründe, warum Mütter das Stillen vorzeitig beenden. Auf das im Rahmen der SDGs durch die WHO und UNICEF vereinbarte Ziel, dass bis 2030 rund 70 Prozent aller Kinder in den ersten sechs Monaten ausschließlich gestillt werden sollen, haben daher auch Unternehmen einen großen potentiellen Einfluss. Sie können die Gesundheit von Kindern und Müttern verbessern, indem sie ein angemessenes Betriebsklima schaffen, Räumlichkeiten zum Stillen zur Verfügung stellen, flexible Arbeitsmodelle und angemessen bezahlten Mutterschutz bieten bzw. sich gegenüber Geschäftspartner*innen hierfür einsetzen.

Elfenbeinküste: Zwei Jungs lachen gemeinsam.

Unternehmen können entscheidend dazu beitragen, das Leben von Kindern und ihren Familien nachhaltig zu verbessern.

© UNICEF/UNI350362/Dejongh

Dies erscheint umso wichtiger mit Blick auf die aktuell besonders angespannte globale Gesundheitslage durch Covid-19. Denn sie birgt eine Vielzahl zusätzlicher Risiken für Kinder und ihre Familien, die im Einflussbereich globaler Lieferketten liegen. Lieferketten gehören daher zu den wichtigsten Stellschrauben für Unternehmen, wenn es darum geht, global verantwortungsvoll zu handeln und positive Veränderung zu bewirken – und so auch das Leben von Kindern nachhaltig zu verbessern.

InfoFörderung familienfreundlicher Maßnahmen in Unternehmen

Hilfestellung bei der Umsetzung einer familienfreundlichen Unternehmenspolitik erhalten Unternehmen in der Publikation „Familienfreundliche Arbeitsplätze: Ansätze und Praktiken zur Förderung menschenwürdiger Arbeit in globalen Lieferketten“ von UN Global Compact und UNICEF. In der Broschüre werden die wichtigsten Schritte zur Förderung familienfreundlicher Maßnahmen in Unternehmen vorgestellt.

*Der Bericht wurde am 09. Februar 2021 in einem gemeinsamen Webinar des Deutschen Global Compact Netzwerks (DGCN) und des Deutschen Komitees für UNICEF vorgestellt. Gemeinsam mit Expert*innen wurde darin die Frage diskutiert, wie Unternehmen die Förderung familienfreundlicher Arbeitsplätze in globalen Lieferketten unterstützen können. In einer Paneldiskussion teilten verschiedene Expert*innen ihre Erfahrungen und gaben einen Einblick in ihre Arbeit: Chris Kip (Child Rights & Business Spezialist – UNICEF); Carmen Niethammer (Global Gender/Diversity and Inclusion Leader); Lena Peleikis (Corporate Responsibility Lead Human Rights & Supply Chain Transparency, Otto Group) und Rebecka Sancho (CSR Managerin bei Hunkemöller International).

Laura Much, UNICEF Deutschland
Autor*in Laura Much

Laura Much berichtet im UNICEF Blog zu Themen rund um Kinderrechte im Unternehmenskontext.