© UNICEF/UNI367862/Tzortzinis/AFPFeuer in Moria: Ein Mädchen steht vor dem zerstörten Flüchtlingslager.
Kinder weltweit

"Ich dachte, ich würde verbrennen": Kinderschicksale aus Moria

Zum ersten Mal haben sie alles verloren, als sie ihre Heimat verließen, um Krieg, Armut und Gewalt hinter sich zu lassen. Zusammen mit ihren Familien – oder manche auch alleine, ganz auf sich gestellt – waren Tausende Kinder aus Afrika oder Asien nach Europa geflüchtet. Worauf sie hofften? Auf Sicherheit und ein friedliches Leben.


von Susanne Nandelstädt

Geflüchtete Jugendliche erzählen ihre Geschichte

Beides haben sie nicht bekommen. Stattdessen strandeten sie in Moria, dem riesigen Flüchtlingslager auf Lesbos, in dem viel zu viele Menschen beengt zusammenlebten. Dort haben sie zum zweiten Mal alles verloren: In der Nacht auf den 9. September ging das Lager in Flammen auf. Die rund 12.000 Menschen, die hier unter elendigen Bedingungen untergekommen waren, mussten erneut alles zurücklassen und um ihr Leben laufen. Nun stehen sie wieder ganz am Anfang, am Nullpunkt angekommen.

Drei von ihnen sind die Jugendlichen Asadi, Bahnam und Zeram (alle Namen habe ich zum Schutz der Jugendlichen geändert), von denen ich Ihnen heute erzähle: Was haben sie hinter sich? Wie geht es ihnen jetzt, und wovon träumen sie?

"Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll" (Asadi, 17)

Direkt nach dem Brand hat UNICEF zusammen mit Partnern auf Lesbos das Kinder- und Familienzentrum TAPUAT in eine Notunterkunft umgewandelt. In der Nähe von Moria bietet es Frauen und Kindern, die besonders schutzbeddürftig sind, eine sichere Unterkunft. Asadi ist eins dieser Kinder. "Als das Feuer in unserem Lagerabschnitt ausbrach, bekamen wir alle große Angst und versuchten herauszukommen", erzählt er.

Wir sind einfach nur gerannt, um vom Feuer wegzukommen. Niemand hat mir geholfen. Ich bekam keine Luft mehr und dachte, ich würde verbrennen. Es war furchtbar, und ich habe immer noch Angst.

Asadi, 17

Asadi ist aus Afghanistan geflohen. Zehn Monate lang lebte er in Moria. "Es war eine sehr schwierige Zeit dort für mich." Das Feuer hat Asadi überstanden, aber Angst hat er immer noch – auch deshalb, weil er nicht weiß, was als Nächstes passieren wird.

Der aus Afghanistan geflüchtete Junge Asadi sitzt in einem Zimmer der Notunterkunft.
© UNICEF/UNI368533/Christophilopoulos

"Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll und was ich tun soll. Ich würde gerne in einem europäischen Land leben, in dem ich endlich wieder zur Schule gehen kann. Hier in Moria habe ich nichts gelernt. Ich habe einfach nur zehn Monate meines Lebens verloren."

"Wir hatten furchtbare Angst" (Bahnam, 16)

Auch der 16-jährige Bahnam aus Afghanistan wird die alptraumartige Nacht nie vergessen: "Als das Feuer ausbrach und wir merkten, was los war, schrien wir, dass die Tore des Lagers aufgeschlossen werden sollten. Aber erst nach einer Stunde wurden sie geöffnet. Wir hatten furchtbare Angst." Er berichtet weiter, dass er zugleich durch das Feuer wieder Hoffnung schöpfte. Hoffnung darauf, dass er Moria endlich für immer verlassen könnte.

Nach dem Brand in Moria lebt Bahnam jetzt ebenfalls vorübergehend im von UNICEF unterstützten Zentrum TAPUAT. Er ist froh, dass er hier ist – und nicht mehr in Moria:

Moria ist ein Ort, der einen unglücklich macht. Man kann dort nicht träumen.

Bahnam, 16

In TAPUAT dagegen fühlt er sich wohl: Das Zentrum ist farbenfroh eingerichtet, Bahnam hat ausreichend Platz für sich selbst und ist froh, gutes Essen zu bekommen.

Bahnam sitzt im Hof der Notunterkunft Tapuat auf einem Stuhl unter einem Baum.
© UNICEF/UNI368540/Christophilopoulos

Vorerst ist er also in Sicherheit, doch ihm fehlt die Perspektive. Und er weiß, dass auch diese Unterkunft nur eine Übergangslösung für ihn sein kann: "Ich muss einfach wissen, wie es weitergehen wird für mich", schildert er seine unsichere Situation. Außerdem vermisst er seine Familie. Vor elf Monaten ist er von Afghanistan nach Moria gekommen. Seitdem wartet er sehnsüchtig darauf, seine Familie wiederzusehen. Wovon Bahnam ansonsten noch träumt? Davon, in einem sicheren Land zu leben, in dem er Medizin studieren und Arzt werden kann.

"Ich wünsche mir einen sicheren Ort" (Zemar, 16)

Anders als Bahnam und Asadi lebte Zemar aus Pakistan vor dem Großbrand nicht direkt im Flüchtlingslager Moria, sondern im so genannten "Dschungel" – das war der Bereich außerhalb des offiziellen Lagers. Unter furchtbaren Bedingungen hauste er in einem der provisorischen Zelte, ohne Toiletten, Duschen oder sonstige Infrastruktur. Über diese traumatisierende Zeit sagt er:

Ich hatte gar nichts im Dschungel, nicht einmal einen festen Platz zum Schlafen. Die Leute stritten sich die ganze Zeit. Es war grauenhaft.

Zemar, 16

Dann kam das Feuer. "Als es brannte, versuchten wir, so schnell wie möglich von Moria wegzukommen. Aber die Polizei ließ uns nicht durch. Überall um mich herum schrien die Menschen. Irgendwann ließ die Polizei uns endlich entkommen. Eine Hilfsorganisation hat mich unterwegs getroffen und brachte mich nach TAPUAT."

Zemar steht in einem der Gruppenräume seiner Notunterkunft.
© UNICEF/UNI368539/Christophilopoulos

Hier fühlt sich Zemar deutlich wohler als in Moria. Aber auch ihm macht die Ungewissheit zu schaffen. "Ich wünschte, ich könnte an einen schönen sicheren Ort gehen, an dem ich eine Zukunft haben kann."

"Hoffnung in den Augen der Geflüchteten" (Sophia, TAPUAT-Leiterin)

Sophia Stamateri ist Leiterin des Kinder- und Familien-Zentrums TAPUAT. Sie arbeitet schon seit mehr als zwei Jahren hier, aber die aktuelle Situation ist auch für sie eine neue Herausforderung.

Sophia steht mit Mundschutz vor dem Eingang des von UNICEF unterstützten Kinderzentrums auf Lesbos.
© UNICEF/UNI368536/Christophilopoulos

Die Kinder und Jugendlichen von Moria hätten gleich mehrere Krisen hinter sich, erzählt sie: Die Flucht aus ihrer Heimat, die Enge und Trostlosigkeit in Moria, den Lockdown nach den ersten Corona-Infektionen im Lager – und jetzt auch noch das Feuer. Dass es in Moria nicht auf Dauer so weitergehen konnte, überrascht Sophia nicht:

Moria war eine tickende Zeitbombe – und jetzt ist sie explodiert.

Sophia Stamateri, Managerin in einer UNICEF-Notunterkunft auf Lesbos

Natürlich merkt Sophia, wie stark die Kinder und Familien das Erlebte belastet. Aber: Sie habe zugleich auch erstmals wieder Hoffnung in den Augen der Geflüchteten gesehen, als ihre 'Hölle' durch das Feuer zerstört wurde. Mit ihrer Arbeit trägt sie dazu bei, dass es den Kindern und Jugendlichen endlich besser geht: "Zum ersten Mal fühlen sich die Kinder und Jugendlichen hier wieder sicher", sagt Sophia stolz.

Sophia unterstützt die schutzbedürftigen Kinder und Familien im Zentrum, indem sie mit ihnen spielt, diskutiert und ihnen einfach zuhört. "So können wir ihnen helfen, mit der aktuellen Situation umzugehen."

Mehrere geflüchtete Jugendliche sitzen zusammen im Hof des Kinderzentrums an einem Tisch.
© UNICEF/UNI368513/Christophilopoulos

Helfen Sie den Kindern aus Moria

Die geflüchteten und migrierten Kinder und Jugendlichen haben nach der Brandkatastrophe in Moria zum zweiten Mal alles verloren. Die Situation auf Lesbos ist noch immer chaotisch. Wir als Hilfsorganisation setzen alles daran, die Kinder mit dem Nötigsten zu versorgen – für eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Orte wie Moria darf es nicht länger geben. Dafür sind wir rund um die Uhr im Einsatz. Mit Ihrer Spende können Sie dafür sorgen, dass die Kinder nicht am am Nullpunkt stehen bleiben.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

UNICEF-Online-Redakteurin Susanne Nandelstädt
Autor*in Susanne Nandelstädt

Susanne Nandelstädt arbeitet als Online-Redakteurin für UNICEF. Im Blog schreibt sie über UNICEF-Projekte weltweit.