© UNICEFIch, der Tisch Besitzer
UNICEF-Aktionen

Ich, der Tisch-Besitzer

Gedanken eines Papas anlässlich des internationalen Tags der gewaltfreien Erziehung.


von Daniel Debray

Ich möchte diesen Text mit einem Geständnis beginnen: Ich gehöre zu jenen Papas, die "Iss deinen Teller leer, damit es morgen gutes Wetter gibt" sagen – ich habe diesen Satz früher gehasst und bin heute zum User geworden.

Nicht, weil ich daran glaube, dass die Kartoffeln im Magen meiner Kinder das meteorologische Geschehen des nächsten Tages beeinflussen. Nein. Einfach, weil ich oft zu faul bin, die Relevanz von ausgewogener Ernährung zu erklären, meiner Abneigung gegenüber Lebensmittelverschwendung Nachdruck zu verleihen, den Wunsch zu äußern, dass die Arbeit, die ich mit dem Abendessen hatte, wertgeschätzt wird. Das gute Wetter am nächsten Tag ist schlicht einfacher und charmanter als die hilflose Verteidigung "Weil ich es sage!".

Mit diesem Geständnis im Rücken (es tut gut, dass es raus ist!) möchte ich gerne über die Macht der Sprache sprechen, Euch einladen, gemeinsam auf eine spezielle Form von Sprache zu schauen. Sprache, die keinen Anspruch auf Dialog hat, sondern zutiefst imperativ funktioniert. Sprache, die kurzen Prozess macht.

"Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, tust du, was ich sage!", "Bis du heiratest, ist alles wieder gut!", "Du weißt gar nicht, wie gut du es hast!" – wir alle kennen diese Sprüche. Sie sind Teil unserer Kindheit, der Kindheit unserer Eltern und vielleicht auch Teil der Kindheit unserer Kinder. Vor allem aber sind sie eines: absolut normal. Standard. Einfach weitergesagt. Nicht der Rede wert. Oder doch?

Was viele von ihnen gemeinsam haben ist das riesige Machtgefälle zwischen Sender*in und Empfänger*in, zwischen ‚Tisch-Besitzer*in‘ und ‚Füße-drunter-Steller*in‘. Die Bewertung und Entscheidung darüber, was gerade wichtig ist, worüber gesprochen oder womit sich auseinandergesetzt werden sollte, übernimmt die/der Erziehende. Mit demokratischen Strukturen in der Familie hat das wenig zu tun. Es sind Sprüche von vorvorgestern – Dinosaurier …

Aber Leute – das können wir doch besser! "Mein Haus, meine Regeln!" ist lange überholt. Kinder müssen eine Stimme haben, genau wie wir Erwachsenen. Vorbei sollte sie sein, die Zeit des Familienoberhaupts mit alleinigem Besitz- und Gestaltungsanspruch.

Was sagen solche Plattitüden über uns und unsere gesellschaftliche Haltung gegenüber Kindern aus? Ich denke, sie finden irgendwo im breiten Spektrum zwischen unreflektiertem Wiederkäuen und tatsächlichem Autoritätskomplex statt – soweit meine Küchenpsychologie dazu.

Was ich ganz sicher beantworten kann, ist eine andere Frage: Sollten wir diese von-oben-herab-Sprüche, diese unfairen, teils verletzenden und meist unreflektierten Phrasen einfach mal sein lassen? YES PLEASE!

In unserer Kampagne #NiemalsGewalt sprechen wir über die vielen Gesichter, die Gewalt gegen Kinder haben kann – neben Körperstrafen sexuelle Gewalt, Vernachlässigung und psychische Misshandlung. Wir sprechen über die meist unsichtbaren Spuren, die sie bei Kindern hinterlässt und darüber, dass wir sie niemals hinnehmen dürfen.

Eine einfache Redensart, ein unbedacht daher gesagter Spruch ist natürlich nicht automatisch Gewalt. Schwierig wird es (wie so oft) wenn diese Sprüche institutionalisiert und Bedürfnisse der Kinder regelmäßig und reflexhaft marginalisiert werden. Wenn sie Standard sind.

Unter Gewalt sind Handlungen zu verstehen, die einem Kind Schaden zufügen oder ihm schaden könnten. Dabei spielt es für das Kind keine Rolle, ob die Erwachsenen absichtsvoll oder unbewusst handeln. Um unsere Einstellungen zu überprüfen, sollten wir uns kritisch mit unseren Gedanken, unserer Sprache und unseren Handlungen auseinandersetzen. Wir sollten Kindern und ihren Perspektiven mehr Aufmerksamkeit schenken, ihnen zuhören und sie ernst nehmen!

Ich möchte Euch – die Mamas und Papas, die Töchter und Söhne, die Erziehenden und Lehrenden, die Entscheidenden und Lenkenden, die Sprechenden und Schreibenden, die am-gesellschaftlichen-Leben-Teilnehmenden und vielleicht-irgendwann-mal-Kinder-Habenden – anlässlich des 30. April, dem Internationalen Tag der gewaltfreien Erziehung, einladen, eingestaubte Redensarten neu zu denken und zu gestalten.

Lasst uns eine Sprache kultivieren, die zeitgemäß, offenherzig und verständnisvoll ist. Macht mit und bringt Menschen zum Nachdenken: Auf unserem Instagram-, Twitter- oder Facebook-Kanal oder hier in den Kommentaren. Formuliert die Sprüche, die Euch am meisten geprägt haben einfach um.

Das bringt mich zurück zu meinem Geständnis und zur Frage, wie ich persönlich mit diesem Appell umgehe. Mit der Umformulierung von "Iss deinen Teller leer, damit es morgen gutes Wetter gibt" tue ich mich ehrlich gesagt wirklich schwer – zumal die Redewendung auf einem Übersetzungsfehler aus dem Plattdeutschen beruht. Da hieß es ursprünglich übersetzt "Iss deinen Teller leer, dann gibt das auch morgen wieder etwas Gutes" (aus wedder wurde Wetter anstatt wieder).

Auch wenn mir die korrekte Übersetzung deutlich besser gefällt, bin ich nicht überzeugt. Dass Kinder 'groß und stark' werden, auch ohne ihren Teller leer zu essen, ist heute common sense. Ich werde den Spruch am Essenstisch also einfach weglassen und mich in der jeweiligen Situation entscheiden, ob ich meinen Teller-leer-ess-Wunsch erklären möchte, eine ‚Ansage‘ angebracht ist oder der Teller einfach von vorneherein selbst aufgefüllt werden soll.

Und für den Moment stürze ich mich einfach auf einen anderen Dinosaurier. Wie wär’s mit: "Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, bist du herzlich willkommen"? Was meint Ihr? Ich bin gespannt auf Eure Ideen!

Daniel Debray
Autor*in Daniel Debray

Daniel Debray ist zuständig für Social Media Relations und schreibt über Projektreisen mit Partner*innen und bloggt zu verschiedenen UNICEF-Kampagnen.