Kann ein Bild die Welt verändern?
Gedanken zum „UNICEF-Foto des Jahres“
So viele grausame Bilder aus Kriegen; und doch gibt es Kriege bis heute. So viele schreckliche Bilder von elenden Lebensbedingungen; und doch gibt es das Elend bis heute. Dass Bilder die Welt verändern, sie besser machen können, ist also nicht ausgemacht. Und doch ist genau das jedes Mal die Hoffnung, die sich mit dem „UNICEF-Foto des Jahres“ verbindet.
Die Hoffnung, dass Bilder die Augen öffnen und sensibilisieren können. Die Hoffnung, dass sie die Kraft haben, Mitgefühl und Empathie zu erzeugen. Wenigstens für die Wehrlosesten und Unschuldigsten auf dieser Welt: die Kinder.
Das „UNICEF-Foto des Jahres 2020“ ist eine Momentaufnahme aus dem Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Die Momentaufnahme einer Katastrophe in der Katastrophe. 13.000 Menschen sind vor dem Krieg in Syrien, vor der Gewalt in Afghanistan, vor den bedrohlichen Verhältnissen auch in anderen Ländern hierher geflohen. 4.000 Kinder und Jugendliche darunter.
Als das Lager im September 2020 zu brennen beginnt, müssen die Flüchtlinge ein zweites Mal fliehen. Der griechische Fotograf Angelos Tzortzinis erlebt dieses Entsetzen. Hört die Schreie. Sieht Mädchen und Jungen aus den dichten Rauchwolken rennen, an der Hand ihrer Eltern. Oder alleine.
Kleine Jungs helfen noch kleineren. Tragen jüngere Geschwister vor dem Feuer davon. In ihrem Blick: Fassungslosigkeit. Tapferkeit. Und vielleicht auch dieses Verlangen, ihr Leben möge doch endlich ein Besseres werden. Ein Leben mit einem Zuhause. Ein Leben mit Spiel, mit Schule. Ein Leben ohne Angst.
Eines der flüchtenden Kinder sieht dem Fotografen direkt ins Gesicht. Und Tzortzinis Botschaft ist: Dieser Blick gilt auch uns. Er ist ein Auftrag an uns, sich auch außerhalb unserer Komfortzonen um das Schicksal von Kindern zu kümmern.
Es ist der Auftrag, der sich seit nunmehr zwei Jahrzehnten auch mit dem jeweiligen „UNICEF-Foto des Jahres“ verbindet. Mag es auch weit davon entfernt sein, die Welt in ein Paradies zu verkehren, so ist es doch ein Appell, hinzusehen und sich zu engagieren.
Die Fotografen und Fotografinnen, die dafür kämpfen und deshalb dorthin gehen, wo es weh tut, auch ihnen selbst, sind im Laufe der Jahre aus über 90 Nationen von allen Kontinenten gekommen.
Sie haben den Hunger fotografiert und die Qual von Kinderarbeit in Kohleminen, sie haben zerbombte Schulen fotografiert und kriegsverletzte Kinder in Krankenhäusern, zwangsverheiratete Mädchen, obdachlose Jungen nachts auf den Straßen, Kinder auf der Flucht an Stacheldrahtzäunen, Kinder als Opfer von Naturkatastrophen, Kinder auf Müllhalden, wo sie nach verwertbaren Resten suchen.
Wer mit dem „Unicef-Foto des Jahres“ ausgezeichnet wird, erhält kein Geld dafür; der Preis ist undotiert. Wer aber teilnimmt, kann sich einer Anerkennung gewiss sein: Er steht, sie steht auf der Seite der Schwachen. Und das zu tun, macht ja unsere Welt vielleicht doch ein bisschen besser.