Menschen für UNICEF

Chancen(un)gleichheit in der Freizeit

Sarah engagiert sich ehrenamtlich im JuniorBeirat von UNICEF. Sie lebt in Leverkusen. Für ihren Blogbeitrag hat sie mit zwölf Jugendlichen über die Bedeutung von Freizeitaktivitäten gesprochen.


von Sarah Schulten

Gastbeitrag von Sarah Schulten, UNICEF-JuniorBeirat

Das Recht auf Chancengleichheit. Ein Recht, das häufig diskutiert wird. Als mir die Gelegenheit geboten wurde, einen Blogbeitrag zu schreiben, kam mir dieses Thema sofort in den Kopf.

Derzeit geht es in den Debatten um das Thema Chancengleichheit vorrangig um den Aspekt der Bildung. Aber betrifft Chancenungleichheit nur Bildung? Meiner Meinung nach gibt es ein weiteres bedeutsames Themenfeld, in dem die Umsetzung der Chancengleichheit ausbaufähig ist: Chancen(un)gleichheit in der Freizeit.

Kinderrechte-Umfrage: Kinder und Jugendliche möchten mehr Freizeitangebote.

In einer UNICEF-Umfrage gaben viele Kinder und Jugendliche an, dass sie mehr Freizeit außerhalb der Schule haben möchten. Gleichzeitig sind viele der Meinung, dass es abwechslungsreichere und attraktivere Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche in den Städten und Dörfern geben sollte.

© Liesa Johannssen

Freizeit in Zeiten von Social-Distancing

Viele Wochen des Abstandes und der Selbstisolation liegen bereits hinter uns, weitere ungewisse Wochen werden folgen. Uns allen wird in dieser Zeit bewusst: Arbeits- und schulfreie Zeit heißt gleichzeitig auch kontakt- und hobbyarme Zeit. „Freie Zeit“ bedeutet also nicht gleich „Freizeit“.

Einige Zeit lang konnten Treffen mit Freunden und Hobbies größtenteils wieder normal aufgenommen werden. Doch durch die steigenden Zahlen müssen wir erneut mit zunehmenden Einschränkungen leben. Uns wird bewusst: Eine Freizeitgestaltung frei nach unseren Wünschen ist ein Privileg.

Uns wird bewusst: Eine Freizeitgestaltung frei nach unseren Wünschen ist ein Privileg.

Sarah Schulten, 19 Jahre

Chancenungleichheit ist keine Randerscheinung

Es gab schon immer viele Kinder und Jugendliche, die deutlich weniger Freizeit hatten, als andere in ihrem Alter. Sei es aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln oder aufgrund von zeitlichen Problemen, die beispielsweise aus einer Überlastung durch die Schule resultieren. Man ertappt sich gelegentlich bei dem Gedanken, dass dies besonders sozial schwächere Familien betrifft.

Im Laufe meiner Recherche für diesen Blogbeitrag habe ich mit Jugendlichen aus verschiedenen sozialen Schichten über ihre Freizeit gesprochen. Dabei wurde mir bewusst, dass es auch in meinem engeren Umfeld unerwarteterweise einige Jugendliche gibt, die ihre Freizeit gerne anders gestalten würden, denen dies aber aufgrund von fehlender Unterstützung nicht möglich ist. Man sollte sich von dem Gedanken, dass Chancenungleichheit in der Freizeitgestaltung eine Randerscheinung ist, dringend lösen.

Kinder und Jugendliche planen ihre Stadt mit.

In einer Zukunftswerkstatt in Hanau planen Kinder und Jugendliche ihre Stadt mit. Es ist wichtig, dass jedes Kind lernt, dass es ein Recht auf Freizeit hat und dieses auch in seinem Alltag leben kann.

© Kinderfreundliche Kommunen e.V.

„Meine Freizeitgestaltung hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.“ (Marten, 19)

Uns allen sollte die Bedeutung von Freizeit bewusst sein. Alle Kinder und Jugendlichen, mit denen ich über ihre Freizeit gesprochen habe, haben mir gesagt, dass ihre Freizeit einen großen Anteil ihrer Persönlichkeit ausmacht. Auch aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass meine Freizeitgestaltung meine Persönlichkeit stark geprägt hat. In der Schule werden viele wichtige Grundsteine gelegt, doch meine Freizeitaktivitäten haben meine Persönlichkeit deutlich nachhaltiger beeinflusst als der Schulunterricht dazu fähig gewesen wäre.

Die Freizeit soll dazu dienen sich mit seinen persönlichen Interessen beschäftigen. Dadurch lernt man sich selber und seine eigenen Bedürfnisse besser kennen, was zu einer generell selbstsicheren Persönlichkeit beitragen kann. Die Erfolgserlebnisse, die man bei einem Hobby erfährt, stärken nicht nur das Selbstbewusstsein und dienen als guter Ausgleich, sondern helfen außerdem Motivation aufzubauen, die sich auch auf andere Aktivitäten übertragen lässt.

Sarah engagiert sich in ihrer Freizeit bei UNICEF.

Sarah (l.) engagiert sich in ihrer Freizeit gemeinsam mit Jasmin und anderen Jugendlichen im UNICEF-JuniorTeam Leverkusen.

© privat

„Das Team steht hinter einem und baut einen auch in anderen Lebensbereichen auf.“ (Luisa, 17)

Viele Kinder und Jugendliche, mit denen ich gesprochen habe, verbringen einen Teil ihrer Freizeit mit Gemeinschaftsaktivitäten wie Mannschaftssport oder gemeinsamem Musizieren. So beispielsweise Luisa, ihr Team unterstützt sie nicht nur beim Voltigieren, sondern auch weit darüber hinaus. Nicht nur sie, sondern die meisten anderen von mir befragten Jugendlichen äußerten, dass durch ihre Freizeitaktivitäten soziale Kompetenzen wie Teamgeist, Empathie und Vertrauen gestärkt wurden. Diese Fähigkeiten sind nicht nur in der Kindheit und Jugend, sondern auch später im Erwachsenenleben von großer Bedeutung und sollten deshalb insbesondere gefördert werden.

Außerdem sind Hobbies gute Orte um Freundschaften zu schließen und Beziehungen zu Bezugspersonen aufzubauen. Besonders in derart belastenden Situationen wie momentan ist ein sozialer Rückhalt für Kinder und Jugendliche sehr wichtig, da sie Menschen brauchen, die ihnen ein Gefühl von Sicherheit auch außerhalb des häuslichen Umfeldes geben können, vielen Kindern und Jugendlichen wird dies besonders durch ihre Freizeitaktivitäten ermöglicht.

Julian Draxler beim Fußball spielen in Za’atari.

Fußballprofi und UNICEF-Pate Julian Draxler setzt sich dafür ein, dass Kinder und Jugendliche ihr Recht auf Freizeit wahrnehmen können – hier in Deutschland, und in Za’atari.

© UNICEF/UN0320441/Berger

Freizeit als Ausgleich

Was ebenfalls mit dem Sicherheitsgefühl in Hobbies einhergeht, ist die Ausgleichsfunktion. Ob Stress in der Schule oder eine schlechte Stimmung zuhause, bei Freizeitaktivitäten, die einem Freude bereiten, kann man das alles für einen Moment aus dem Kopf bekommen. Man wird gelassener und kann neues Durchhaltevermögen generieren, mit dem man Stresssituationen leichter meistern kann. Einige der von mir befragten Jugendliche sagten, dass ihr Hobby zudem als Ausdrucksform für Gefühle dient, sie lernen durch ihre Freizeitbeschäftigung negative Gefühle durch das Ausführen einer Tätigkeit, wie beispielsweise musizieren, loslassen zu können und wieder Platz für positive Gedanken zu schaffen. Diese Fähigkeit ist besonders momentan in dieser belastenden Situation von großem Vorteil.

Das Recht auf Spiel und Freizeit

All die genannten Vorteile von einer personalisierten Freizeitgestaltung spiegeln nur einen Bruchteil dessen wider, was Freizeit für unser Leben und unsere Entwicklung wirklich bedeutet. Wie man sieht, bedeutet mir und vielen anderen Kindern und Jugendlichen unsere Freizeit sehr viel und wir sind dankbar, dass wir unsere Freizeit zu einem großen Teil so ausführen können, wie wir uns es wünschen. Doch uns ist bewusst, dass es zahlreiche Kinder und Jugendlich gibt, deren Recht auf Spiel und Freizeit sowie ihr Recht auf Chancengleichheit nicht eingehalten werden.

Wir alle sammeln in der momentanen Zeit die Erfahrung, wie es ist, wenn man nicht die Möglichkeit hat einer selbstbestimmten Freizeitgestaltung nachzugehen und freuen uns bereits auf die Zeit, in der wir unseren gewohnten Beschäftigungen wieder nachgehen können. Dabei sollte uns bewusst sein, dass eine Freizeit, wie wir sie zu normalen Zeiten genießen, nicht selbstverständlich ist.

Die drei Kinder der Familie Raslan spielen draußen

Das Kinderrecht auf Freizeit gilt für jedes Kind: Die drei Kinder der syrischen Familie Raslan beim Spielen vor ihrem neuen Zuhause.

© UNICEF/UN026365/Ashley Gilbertson/VII Photo

Es gibt das Kinderrecht auf Chancengleichheit, dieses sollte auch in der Freizeit erfüllt sein. Jedoch ist das bei vielen Kindern und Jugendlichen nicht der Fall. Gerade durch die Erfahrungen aus dieser einschränkungsreichen Zeit sollten wir die Menschen, die nicht die gleichen Chancen haben wie wir, nicht aus den Augen verlieren. Lasst uns unseren Teil dazu beizutragen, dass sich bald deutlich mehr Menschen über ihre zurück- oder auch neugewonnene Freizeitgestaltung freuen können.

Sarah Schulten – Mitglied UNICEF-JuniorBeirat
Autor*in Sarah Schulten

Sarah Schulten ist 19 Jahre alt und engagiert sich im UNICEF-JuniorBeirat.