© UNICEF/UN0364067/MerinoChile: Ein Junge sitzt in einem Feld | © UNICEF/Merino
Gut zu wissen

Eine kindgerechte Umwelt nützt uns allen

Kinder haben das Recht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt. Doch weltweit – auch hier in Deutschland – leiden Kinder unter den Folgen des Klimawandels und der Umweltzerstörung. Ihr gesundes Aufwachsen und ihre Zukunft ist in Gefahr. Politisches Handeln sollte Kinder und ihre Bedürfnisse viel stärker berücksichtigen. Das schafft eine Umwelt, die Lebenschancen für Kinder bietet, ihr Wohlbefinden verbessert und lebenswert für alle ist.


von Jan Braukmann

Verschmutzte Luft, verunreinigtes Wasser, feuchte Wohnungen, gefährlicher Straßenverkehr… Das gehört für viele Kinder zum Alltag. Weltweit könnten bessere Umweltbedingungen den Tod von jedem vierten Kind unter fünf Jahren verhindern. Das steht in der neuen Studie „Places and Spaces“ des UNICEF-Forschungsinstituts Innocenti. Viele Kinder wachsen unter Bedingungen auf, die krank machen, ihre Entwicklung beeinträchtigen und ihre Lebenschancen einschränken.

Der Bericht wertet für 39 Länder eine breite Basis von Indikatoren aus, z. B. zur Luftverschmutzung, Lärm oder Wohnungsbelegung. Und er weist immer wieder darauf hin, wie massiv die Auswirkungen ihrer direkten Umgebung und der Umwelt auf Kinder sein können.

Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder aus allen betrachteten Ländern teilweise darunter leiden, dass ihre Umwelt nicht auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Kinder sind ganz besonders auf eine sichere und gesunde Umwelt angewiesen. Das liegt u. a. daran, dass ihr Körper und ihr Immunsystem sich erst noch entwickelt. Außerdem können sie sich weniger selbst schützen als Erwachsene, z. B. weil sie die Gefahren in ihrer Umwelt noch nicht beeinflussen können. Wenn ihre Eltern in der Wohnung rauchen, sind sie dem Rauch oft direkt ausgeliefert. Und schließlich können gerade kleine Kinder auch noch nicht wissen, wie man sich gesund verhält. Alle Eltern kennen das Problem, dass sich kleine Kinder unterschiedslos alles – egal ob gesund oder giftig – in den Mund stecken.

Kinder sind nicht überall in gleicher Weise einer belasteten Umwelt ausgesetzt. In Kolumbien verlieren Kinder beispielsweise im Durchschnitt 3,7 gesunde Lebensjahre durch Luftverschmutzung, in Finnland 0,2. In 13 der untersuchten Länder hat ein Teil der Kinder häufig keinen Zugang zu sauberem Wasser sowie zu sanitären Einrichtungen. Das betrifft vor allem Kinder in Kolumbien, Mexiko und der Türkei.

In Deutschland leben Kinder insbesondere in Unterkünften für geflüchtete Menschen in beengten Wohnverhältnissen.

In Deutschland leben Kinder insbesondere in Unterkünften für geflüchtete Menschen in beengten Wohnverhältnissen.

© UNICEF/UN025298/Gilbertson VII Photo

Gemischte Ergebnisse für Deutschland

Für Deutschland zeigt der Bericht ein gemischtes Bild. Bei vielen der analysierten Indikatoren liegt Deutschland, im Vergleich zu anderen betrachteten Ländern, im Mittelfeld. Viele Kinder in Deutschland wachsen in einem guten Wohnumfeld auf. Probleme, wie unbeheizte, zu dunkle oder überbelegte Wohnungen, kommen, im Vergleich zu anderen Ländern, seltener vor. In Deutschland sind vor allem Kinder aus Familien mit niedrigen Einkommen oder geflüchtete Kinder betroffen.

Anders sieht es beispielsweise bei der Lärmbelastung aus. Hier schneidet Deutschland im internationalen Vergleich schlecht ab. 24 Prozent der Haushalte mit Kindern berichten von Lärmbelästigungen in ihrem Wohnumfeld, z. B. durch den Verkehr. Mögliche Folgen sind Stress, kognitive Einschränkungen und reduzierte Schulleistungen.


Kinder brauchen nicht nur genügend Platz, sondern auch einen Ort, an dem sie in Ruhe ihre Schulaufgaben machen können.

Das eigene Zuhause ist für Kinder besonders wichtig. Kinder brauchen nicht nur genügend Platz, sondern auch einen Ort, an dem sie in Ruhe ihre Schulaufgaben machen können.

© UNICEF/UNI332777/Bänsch

Die Bedarfe von Kindern werden zu häufig nicht mitgedacht

Der neue UNICEF-Report weist einmal mehr darauf hin, dass Kinder bei der Gestaltung ihrer direkten Umgebung und ihrer Umwelt häufig nicht mitgedacht werden. Viele Städte und Gemeinden sowie Häuser und Wohnungen sind nicht kindgerecht. Kinder und ihre Bedürfnisse werden bei Planungen zu selten berücksichtigt. Das gilt für nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens, denn fast überall sind Kinder direkt betroffen: beim Wohnungsbau, der Verkehrsplanung, Umweltpolitik, Sozialplanung, Gesundheitspolitik und vielen anderen Themen.

Die Auswirkungen wurden in Deutschland zuletzt deutlich spürbar während der Corona-Pandemie. Durch die Kita- und Schulschließungen waren Kinder vor allem Zuhause. Schwierig wird es für Kinder vor allem dann, wenn es Zuhause nicht genügend Platz oder Ruhe gibt, keinen Arbeitsplatz für Schulaufgaben, draußen kein Platz zum Spielen im Garten oder Park ist oder sie an einer gefährlichen oder lauten Straße leben. Diese Umstände haben sich bei vielen Kindern auf ihr Wohlbefinden, ihre Schulleistungen und sogar auf die psychische Gesundheit ausgewirkt. Acht von zehn Kindern und Jugendlichen fühlen sich durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen belastet.*

Kinder haben das Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung.

Kinder haben das Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung. Das steht im Artikel 31 der UN -Kinderrechtskonvention.

© UNICEF/UNI321242/Diffidenti

Kinder haben das Recht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt.** Und die Politik in Deutschland und weltweit sollte mehr Anstrengungen unternehmen, dieses Recht umzusetzen. Das gilt im Großen wie im Kleinen: Wir brauchen global mehr Anstrengungen für eine saubere, sichere und nachhaltige Umwelt. Ein UNICEF-Report hat gezeigt, dass schon jetzt die ärmsten Kinder am härtesten unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden: Sie sind besonders stark von Stürmen, Dürren oder Überschwemmungen betroffen. Aber auch jede Stadt in Deutschland kann mehr für eine kindgerechte Umwelt tun.

Kinderfreundliche Kommunen möchten die Umwelt vor Ort konkret und spürbar kindgerecht machen

Aber auch jede Stadt in Deutschland kann mehr für eine kindgerechte Umwelt tun. Ein gutes Beispiel hierfür ist die von UNICEF ins Leben gerufene Initiative Kinderfreundliche Kommunen. In Deutschland gibt es schon über 40 Städte und Gemeinden, die sich der Initiative angeschlossen haben – weltweit sind es bereits mehr als 3.000 in rund 40 Ländern. Diese Kommunen haben sich verpflichtet, ihre Angebote, Planungen und Strukturen im Sinne der Kinderrechte zu verbessern und die UN-Kinderrechtskonvention im direkten Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen anzuwenden. Hier wird die Umwelt von Kindern ganz konkret und spürbar kindgerechter gemacht. Es werden Spielstraßen gebaut, der ÖPNV verbessert, Naherholungsgebiete konzipiert und Beteiligungskonzepte verankert.

Die Aufgaben für die Politik sind von Stadt zu Stadt sehr verschieden. Nicht alle Kinder sind gleichermaßen von Luftverschmutzung oder Lärm betroffen, einige Kinder wohnen in Gegenden mit guten Freizeitangeboten und im Grünen, andere Kinder (insbesondere Kinder aus armen Familien) haben seltener den Zugang hierzu. Kinderfreundliche Kommunen durchlaufen deshalb ein festgelegtes, aber gleichermaßen individuell an sie angepasstes Programm.


Die Kinderfreundliche Kommune Regensburg hat ein umfangreiches Konzept zur verbindlichen Kinder- und Jugendbeteiligung.

Die Kinderfreundliche Kommune Regensburg hat ein umfangreiches Konzept zur verbindlichen Kinder- und Jugendbeteiligung erstellt. Unter anderem dürfen Spielplätze nur noch unter Beteiligung von Kindern geplant und erneuert werden.

© Stadt Regensburg, Peter Ferstl

Kinder als Expert*innen beteiligen

Kinder haben ein Recht darauf, als Expert*innen für ihre eigene Situation an Entscheidungen über Maßnahmen, die sie und ihre Zukunft betreffen, teilzuhaben. Aber hier gibt es politisch noch viel zu tun. Kinder haben häufig noch nicht den Eindruck, dass sie von der Politik einbezogen werden. So geben z. B. nur 22 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen aus der UNICEF-Umfrage „My place, my rights“ an, dass sie in ihrer Stadt oder ihrem Dorf bei politischen Entscheidungen ihre Meinung einbringen können.

Auch hier können Kommunen in Deutschland ganz konkret einen Beitrag zu mehr Partizipation leisten. Es gibt viele gute Formate, wie Kinder altersgerecht ihre Umwelt mitgestalten können. Dazu gehören z. B.:

  • Kinderparlamente: In Kinderparlamenten können Kinder ihre Interessen selbst vertreten und strukturiert beteiligt werden.
  • Kinderbeauftragte bzw. Ombudsstellen: Sie vertreten die Rechte und Interessen der Kinder. An sie können sich Kinder konkret mit ihren Anliegen wenden. Sie organisieren den Austausch und die Partizipation an allen Vorhaben, die Kinder vor Ort betreffen.
  • Beteiligungsregelungen: Kommunen können Richtlinien festlegen, dass Kinder an allen Vorhaben, die sie betreffen können, beteiligt werden.
Regensburg: Mitglieder des Jugendbeirats haben bei einer Versammlung Spaß.

2015 setzte Regensburg einen Jugendbeirat ein. Der Jugendbeirat dient der Interessensvertretung aller Kinder und Jugendlichen in Regensburg.

© Stadt Regensburg

Kinder in den Mittelpunkt stellen

Kinder – ganz gleich, wo sie leben – brauchen eine saubere und intakte Umwelt, um sich gut und gesund entwickeln zu können. Sie müssen bei der Gestaltung der Umwelt in den Mittelpunkt gestellt werden. Wichtige politische Vorhaben sollten mit den Fragen konfrontiert sein: Wie werden Kinder davon beeinflusst? Wie können wir mit dem Vorhaben das Wohlbefinden der Kinder verbessern?

Die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz kann z. B. die Position der Kinder stärken und auch ihre Rechte auf eine kindgerechte Umwelt würden dadurch gestärkt und sichtbar gemacht.

Eine Umwelt, die sich an den Bedürfnissen von Kindern orientiert, lohnt sich auch für die Erwachsenen, weil sie für alle lebenswert ist. Wir alle profitieren von einer sicheren, sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt. Saubere Luft, lebenswerte Wohnumfelder oder nachhaltiger Konsum – das sichert nicht nur das Aufwachsen der nächsten Generation, sondern wirkt sich auch positiv auf das Wohlbefinden aller Menschen aus.

Und wir in Deutschland können mit einer kindgerechten Politik eine Menge zu einer kindgerechten Umwelt vor Ort sowie weltweit beitragen. Das gilt für kleinere, kommunale, aber auch große, bundespolitische Vorhaben.

* Sabine Andresen, Lea Heyer, Anna Lips, Tanja Rusack, Wolfgang Schröer, Severine Thomas und Johanna Wilmes (2021): Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie Erfahrungen, Sorgen, Bedarfe.


** Die 1989 verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention enthält zwar noch nicht das Recht auf eine saubere Umwelt. Sie garantiert allerdings jedem Kind das Recht auf Leben und auf angemessene Lebensbedingungen – eine gesunde Umwelt ist dafür maßgeblich. Im Oktober 2021 hat der UN-Menschenrechtsrat das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt anerkannt und damit ein starkes und wirkungsvolles politisches Signal gesetzt, dass eine intakte Umwelt Voraussetzung für die Verwirklichung von Menschenrechten und Kinderrechten ist. Der UN-Kinderrechtsausschuss entwickelt außerdem aktuell eine allgemeine Bemerkung zum Thema Kinderrechte und Umwelt.

Jan Braukmann von UNICEF Deutschland | © UNICEF/Sachse-Grimm
Autor*in Jan Braukmann

Jan Braukmann ist Kinderrechtsspezialist mit dem Schwerpunkt Forschung und Monitoring bei UNICEF Deutschland.