Statement

Schwere Kinderrechtsverletzungen: Kinder brauchen Schutz

New York/Köln

Statement des stellvertretenden UNICEF-Exekutivdirektors Ted Chaiban bei der Offenen Debatte des UN-Sicherheitsrats „Wie können wir unsere kollektiven Normen zum Schutz von Kindern und zum Beenden schwerer Kinderrechtsverletzungen voranbringen“ am 26. Juni 2024

© UNICEF/UNI544682/El Baba
© UNICEF/UNI544682/El Baba

„Im Jahr 2023 haben die Vereinten Nationen 32.990 schwere Kinderrechtsverletzungen verifiziert – so viele wie noch nie. Und ein Anstieg um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Zahlen erfassen weder das volle Ausmaß der schweren Kinderrechtsverletzungen noch die schweren physischen und psychosozialen Folgen, die sie im Leben der Kinder, ihren Familien und ihren Gemeinden hinterlassen.

Doch sie zeigen: Mehr Kinder werden getötet und verstümmelt; mehr Kinder werden vergewaltigt und anderen Formen sexualisierter Gewalt ausgesetzt, und es werden mehr Fälle dokumentiert, in denen Kindern der Zugang zu humanitärer Hilfe verweigert wird – und zwar in erheblichem Umfang.

Ich möchte drei der im Bericht des UN-Generalsekretärs genannten Situationen hervorheben.

Kinder in Israel und Palästina erleiden weiterhin unfassbares Leid. Insbesondere im Gazastreifen ist das Ausmaß von Tod und Zerstörung überwältigend. Im Jahr 2023 wurden 4.312 palästinensische und 70 israelische Kinder nachweislich getötet oder verstümmelt. Dies entspricht 37 Prozent aller in dem Bericht aufgeführten verifizierten Fälle von Tötung und Verstümmelung. Die meisten Todesfälle wurde durch den Einsatz von explosiven Waffen in Wohngebieten verursacht.

Mehr als 23.000 gemeldete Fälle von getöteten und verstümmelten Kindern im Jahr 2023 müssen aufgrund der unsicheren Lage, der Bewegungseinschränkungen und der erheblichen Risiken für die im Gazastreifen tätigen humanitären Helfer*innen noch verifiziert werden. Darüber hinaus sind noch immer Tausende vermisste Kinder unter den Trümmern begraben. Die schweren Kinderrechtsverletzungen aus diesem Jahr werden nicht im Bericht aufgeführt.

Nach fast neun Monaten dieses grausamen Konflikts haben UNICEF und andere humanitäre Organisationen immer noch Schwierigkeiten, Kinder in Not zu erreichen. Dies liegt daran, dass wir weiterhin mit Hindernissen im Hinblick auf den sicheren Transport von Hilfsgütern in den und innerhalb des Gazastreifens konfrontiert sind. Diese Hindernisse stehen in direktem Zusammenhang mit der steigenden Zahl akut mangelernährter Kinder.

UNICEF fordert alle Konfliktparteien auf, ihren Verpflichtungen zum Schutz der Kinder nachzukommen und unverzüglich einen Waffenstillstand zu schließen, wie es der Sicherheitsrat in den Resolutionen 2712 und 2725 fordert.

Der Sudan hat sich nach mehr als einem Jahr Krieg zur weltweit größten Vertreibungskrise für Kinder entwickelt: Schätzungsweise 4,6 Millionen Kinder wurden vertrieben und die Zahl schwerer Kinderrechtsverletzungen hat sich um 500 Prozent erhöht.

Unzählige Kinder sind grausamer Gewalt ausgesetzt. Die Vereinten Nationen haben 2023 die Tötung und Verstümmelung von 1.244 Kindern verifiziert. Auch für 2024 wurden bereits zahllose Kinderrechtsverletzungen gemeldet.

Zu Beginn dieses Monats wurden Berichten zufolge mindestens 55 Kinder bei einem Angriff in Wad El Noura im Bundesstaat Al-Jazira getötet oder verstümmelt. Aktuell sind Tausende von Kindern in Al-Fashir in Darfur täglicher Gewalt und wahllosem Beschuss ausgesetzt, während Teile der Stadt belagert werden. Glaubwürdigen Berichten zufolge wurden in Al-Fashir seit Anfang Mai mehr als 400 Kinder getötet oder verstümmelt.

In der Demokratischen Republik Kongo hat sich der Konflikt im Osten des Landes zur schlimmsten humanitären Krise seit 2003 entwickelt, in deren Folge sieben Millionen Menschen vertrieben wurden. Im Jahr 2023 haben die Vereinten Nationen 281 Fälle sexualisierter Gewalt, einschließlich Vergewaltigungen, Gruppenvergewaltigungen, Zwangsheirat und sexueller Sklaverei, festgestellt –meist waren davon Mädchen betroffen. Sexualisierte Gewalt durch bewaffnete Gruppierungen nimmt gravierend zu.

Während meiner jüngsten Besuche in der Demokratischen Republik Kongo begegnete ich heranwachsenden Mädchen, die mit ihren Geschwistern fliehen mussten, als ihre Dörfer angegriffen wurden, und die nun ihre Familien versorgen. Jungen Menschen wie die 16-jährige Florence, die mit ihren drei Geschwistern nach Goma floh, nachdem sie schreckliche Gewalt erlebt hatte.

Hinzu kommt, dass sich der Konflikt im Osten des Landes zeitgleich mit dem Beginn des Abzugs der MONUSCO weiter zuspitzt. Die humanitäre Krise im Kongo droht sich zu einer Katastrophe zu entwickeln.

Dies sind nur drei der sechsundzwanzig Situationen, die im Bericht des UN-Generalsekretärs aufgeführt werden.

Die Rechte tausender weiterer Kinder in Ländern wie Burkina Faso, Haiti, Mali, Myanmar, der Ukraine und dem Jemen wurden im vergangenen Jahr schwer verletzt. Und Millionen weitere sind weiterhin gefährdet.

Das Mandat für Kinder und bewaffnete Konflikte (Children and armed conflict - CAAC) besteht seit fast drei Jahrzehnten. Der diesjährige Bericht zeigt deutlich, dass Konfliktparteien ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht nicht nachkommen, obwohl es einen weltweiten Konsens gibt, Kinder im Krieg zu schützen. Schwere Kinderrechtsverletzungen geschehen nicht im Vakuum – sie sind das Ergebnis der Entscheidungen und Handlungen der jeweiligen Konfliktparteien.

Die Agenda für Kinder und bewaffnete Konflikte ist ein wirksames Instrument, um die Auswirkungen von Konflikten auf Kinder zu mildern. Dafür gab es im vergangenen Jahr viele Beispiele. So hat die irakische Regierung bei ihrem Aktionsplan und die Ukraine bei ihrem Präventionsplan Fortschritte erzielt, während die oppositionelle Syrische Nationalarmee sich zu einem Aktionsplan verpflichtet hat, um die Rekrutierung und den Einsatz sowie die Tötung und Verstümmelung von Kindern zu beenden und zu verhindern.

Dank der Unterstützung von UN-Missionen und zivilgesellschaftlichen Partnern konnte UNICEF fast 11.000 Kindern, die zuvor von Streitkräften und bewaffneten Gruppierungen rekrutiert und eingesetzt wurden, mit Schutz- und Wiedereingliederungsmaßnahmen unterstützen.

UNICEF dankt Norwegen und Belgien für ihre finanzielle Unterstützung der Agenda Kinder und bewaffnete Konflikte im Anschluss an die Osloer Konferenz zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten im vergangenen Jahr. Ohne dies wären diese Errungenschaften nicht möglich gewesen wäre.

Diese Beispiele zeigen, dass Fortschritte möglich sind, insbesondere, wenn der militärische und politische Wille, konstruktives Engagement und Zusammenarbeit gegeben sind. Doch schwere Kinderrechtsverletzungen nehmen zu und daher braucht es mehr Anstrengungen.

Wir rufen die Weltgemeinschaft dazu auf:

  • Das Mandat Kinder und bewaffnete Konflikte und den damit verbundenen Überwachungs- und Berichterstattungsmechanismus (MRM) zu bekräftigen. Die aktuellen, von unabhängiger Seite überprüften und soliden UN-Daten, die durch diesen Mechanismus bereitgestellt werden, sind ein zentrales Instrument des Mandats Kinder und bewaffnete Konflikte. Sie bilden die Grundlage für alle unsere Maßnahmen zum Schutz der Kinder. Diese Arbeit wird häufig unter schwierigen Bedingungen und unter großem persönlichem Risiko durchgeführt;
  • Der UN-Sicherheitsrat sollte den bestehenden Konsens, Kinder vor Schaden und Gewalt zu schützen, bekräftigen und fördern. Die Mitglieder des Sicherheitsrates und die internationale Gemeinschaft sollten verstärkte diplomatische Maßnahmen ergreifen, um Konflikte zu beenden und ihre Eskalation zu verhindern. Akteure der humanitären Hilfe, Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit stehen bereit, diesen Prozess zu unterstützen. In diesem Zusammenhang fordern wir den Sicherheitsrat dringend auf, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um das Leid der Kinder im Sudan zu lindern. Darüber hinaus tragen staatliche und nichtstaatliche Akteure, die Konfliktparteien, die schwere Kinderrechtsverletzungen begehen, materiell, finanziell und diplomatisch unterstützen, ebenfalls Verantwortung. Sie sollten sicherstellen, dass jegliche Unterstützung, die sie den Konfliktparteien gewähren, mit ihren Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht im Einklang steht, und ihren Einfluss nutzen, um sicherzustellen, dass alle Konfliktparteien das Völkerrecht einhalten, um das Leben und das Wohlergehen von Kindern zu schützen.
  • Drittens brauchen wir die Unterstützung dieses Rates, damit die Vereinten Nationen weiterhin mit allen Konfliktparteien zusammenarbeiten können, um Präventions- und Schutzmaßnahmen zu entwickeln und den humanitären Zugang zur Unterstützung und zum Schutz von Kindern zu gewährleisten;
  • Und schließlich werden angemessene Mittel benötigt, um nicht nur den Monitoring and Reporting Mechanismus zu finanzieren, sondern auch spezialisierte, auf Kinder ausgerichtete Dienste für die Überlebenden schwerer Gewalttaten und die Advocacy-Arbeit zur Verhinderung und Beendigung dieser Gewalttaten. Dies ist besonders dringend im Zusammenhang mit dem Abzug von friedenserhaltenden oder politischen Sondermissionen.

UNICEF steht als verlässlicher Partner zur Verfügung.“

Service für die Redaktionen

Die vollständige Rede auf Englisch steht hier zur Verfügung: https://www.unicef.org/press-releases/unicef-deputy-executive-director-ted-chaibans-remarks-un-security-council-open


Christine Kahmann

Christine KahmannSprecherin - Nothilfe

030-275807919presse@unicef.de