Meinung

Mut zu starken Kindern!


von Christian Schneider

Mehr Klarheit und Courage bei der Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz

Dieser Beitrag wurde erstmals am 19. Januar in der Print-Ausgabe der Fuldaer Zeitung veröffentlicht.

Einer der wichtigsten Neujahrsvorsätze von Union und SPD ist die Einigung zur Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz. Über ein Jahr lang wurde innerhalb der Koalition über einen Formulierungsvorschlag gestritten, wie die Rechte von Kindern in unserer Verfassung explizit verankert werden sollen.

Fast sah es danach aus, dass die schon im Koalitionsvertrag angekündigte Grundgesetzänderung allein aus zeitlichen Gründen kaum noch in dieser Legislaturperiode zu einem Abschluss gebracht werden könnte. Und so kam die Nachricht über eine Einigung der Regierungsparteien in der vergangenen Woche für viele überraschend.

Kinder demonstieren vor dem Reichstag in Berlin.

Zum Weltkindertag 2020 demonstrierten Kinder vor dem Reichstag in Berlin für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz.

© UNICEF/UNI372171/Deutsches Kinderhilfswerk/P. Schneider

Dass die Koalition nach zähem Ringen doch einen Kompromiss finden konnte, ist gut und bringt Fahrt in das ins Stocken geratene Vorhaben der Bundesregierung. Mit dem Vorschlag ist endlich die Tür geöffnet für die Debatte im Deutschen Bundestag.

Im parlamentarischen Verfahren muss sich jetzt aber beweisen, dass die Festschreibung der Kinderrechte im Grundgesetz keine reine Symbolpolitik ist. Dabei müssen sich die Abgeordneten ihrer großen Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen und auch den nachfolgenden jungen Generationen bewusst sein. Ein halbherziges Bekenntnis, das zu viel Interpretationsspielraum lässt, hilft keinem Kind und keiner Familie.

Vielmehr kommt es für unsere Kinder und für unsere Gesellschaft insgesamt auf eine kluge Formulierung des Gesetzestextes an, denn davon hängt vieles ab. Zum Beispiel, ob das Wohl der Kinder bei staatlichen Entscheidungen, die sie betreffen, bloß "angemessen", wie jetzt entworfen, oder doch "vorrangig" berücksichtigt wird. Oder inwieweit sie beispielsweise bei städtebaulichen Fragen wie der Planung von Spielplätzen und Stadtvierteln beteiligt werden. Die Kinderrechtskonvention sowie die EU-Grundrechtecharta formulieren sowohl das Kindeswohlprinzip als auch die Beteiligungsrechte klar und stark. Der endgültige Verfassungstext darf dahinter nicht zurückbleiben.

Aus diesem Grund muss der Vorschlag, wie er nun auf dem Tisch liegt, dringend weiterentwickelt werden. Dazu ist vor allem eines gefordert: Mut. Mut zu starken Kindern. Denn das ist es, was unsere Gesellschaft braucht: Kinder, die stark für die Herausforderungen des Alltags, für unsere Demokratie und für die Welt von morgen sind. Sie sind es, die unsere Zukunft und die Entwicklung unseres Landes und unserer Gesellschaft gestalten werden.

Ohne Frage haben viele Kinder die Voraussetzungen dafür, weil sie gut gefördert und behütet aufwachsen können. Das trifft aber längst nicht auf jedes Kind in Deutschland zu. Gerade während der fortdauernden Covid-19-Pandemie zeigt sich, dass die Rechte und Belange von Kindern und Jugendlichen zu oft übersehen werden.

Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz würde jedes Mädchen und jeden Jungen stärken, indem der Staat und jede und jeder Einzelne stärker als bislang verpflichtet wären, die Rechte jedes Kindes auf Entwicklung, Schutz und Beteiligung zu berücksichtigen.

Es gibt nun eine echte Chance, eine wichtige Grundlage für ein kinderfreundlicheres und damit auch zukunftsfähigeres Land zu schaffen. Der Bundestag sollte diese Chance nutzen.

Afghanistan: UNICEF-Geschäftsführer mit Schülerinnen in einem Learning Center | © UNICEF
Autor*in Christian Schneider

Christian Schneider ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Komitees für UNICEF, ein Schwerpunkt der Arbeit ist seit Jahren die Situation von Kindern in Krisenregionen. Er hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Publizistik studiert und war vor der Zeit bei UNICEF als Journalist für verschiedene Tageszeitungen tätig.