Marta´s Reise
Um vier Uhr morgens aufstehen, um nach Berlin zu kommen, im Anschluss anstrengende Termine über den ganzen Tag verteilt, ohne Pause, mit höchster Konzentrationsleistung – all das scheint Marta Santos Pais nichts auszumachen.
Als die UN-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Kinder in aller Frühe in Berlin landet, kommt sie gerade aus Oslo. Hier hatte sie gerade gemeinsam mit der norwegischen Regierung eine Konferenz ausgerichtet. Trotz ihres anstrengenden Jobs und der bedrückenden Geschichten, die er mit sich bringt, lächelt Marta, wie sie eigentlich alle nennen dürfen, viel, warm und echt.
Dieses Mal ist sie in Deutschland, um gemeinsam mit uns den neuen UNICEF-Report 2011 vorzustellen – „Kinder vor Gewalt schützen“. Er erscheint im Fischer-Taschenbuchverlag und enthält viele Beiträge zur weltweiten Gesetzgebung, zu Hilfsangeboten, aber auch zu Erfahrungen und Meinungen der Kinder selbst.
Reden ist Gold
Mit Professor Fegert, Mitautor des Berichts und Psychiater an der Universität Ulm, versteht Marta Santos Pais sich auf Anhieb. Man merkt, dass sich hier zwei Fachleute gegenüber sitzen.
Die lokalen Hilfsangebote für Betroffene von Gewalt müssten verstärkt werden, darin sind sie sich einig. Gerade die Vernetzung dieser Angebote funktioniere in Deutschland noch nicht gut, sagt Fegert. Außerdem wüssten viele gar nicht, an wen sie sich wenden müssen, wenn sie Opfer von Gewalt geworden sind.
Besonders Kindern müsse das Hilfeholen extrem einfach gemacht werden. Das Schweigen zu brechen sei das Wichtigste – das Schweigen der Opfer und das aller Mitwisser.
Besonders beeindruckend fand ich persönlich die Schilderung in seinem Vortrag am Abend vor Parlamentariern und Fachpublikum. In seiner Jugendpsychiatrie in Ulm, sagt er, hätten die Mitarbeiter auf den Stationen Informationen über Kinderrechte aufgehängt. Auf der geschlossenen Station, wo Kinder sich oft eingesperrt fühlten, hängt ein Plakat über das Recht auf Freiheit. Die kleinen Patienten auf dieser Station forderten es aktiv ein – das gefalle ihm, sagt Jörg Fegert.
Kinder schützen
Marta berichtet an diesem Abend aus ihrer weltweiten Arbeit. Noch einmal wiederholt sie ein Beispiel aus Afrika, das sie besonders bewegt hat. Denn es zeigt die Ausbreitung und vor allem die grausame Vielfalt von Gewalt gegen Kinder. In vielen Ländern habe sich dort in Schulen ein neuer Ausdruck geprägt: „sex for grades“. Schülerinnen und Schüler müssen ihren Lehrern gefällig sein, um gute Noten zu bekommen.
Aber sie hat auch positive Beispiele und sie wird nicht müde, sie zu betonen. Kenia ist so eines. Dort wurden gerade die Kinderrechte in die neue Verfassung aufgenommen. In dieser Hinsicht ist das sonst bisher nicht für große demokratische Errungenschaften bekannte afrikanische Land Deutschland einen Schritt voraus. Aber das würde Marta, die sehr höflich ist, ihren deutschen Gastgebern gegenüber natürlich nicht erwähnen. In ihrem Job muss man schon Optimist sein.
Erst als ich sie abends um 22 Uhr am Hotel absetze sagt sie: „Jetzt bin ich aber doch ein bisschen müde“ und lächelt. Viel Schlaf wird sie nicht bekommen. Direkt am nächsten Morgen geht es zurück nach New York.