Kinder weltweit

Covid-19: Hanna und Milena erzählen uns von ihrem Alltag


von Simone Morawitz

Corona hat unser aller Leben ganz schön durcheinandergewirbelt. Die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie getroffen wurden, bestimmen noch immer unsere Leben. Sie sind für Keinen von uns einfach. Und wir haben uns gefragt, wie Kinder und Jugendliche diese Krise eigentlich erleben?

Wie hat sich ihr Alltag dadurch verändert? Wie gehen sie mit den aktuellen Einschränkungen um? Welche Fragen beschäftigen sie? Sie kommen zu Wort – hier.

Kindererziehung: Ein Mädchen tritt schwungvoll in die Luft.

Toben, Spielen, Blödsinn machen: Kinder brauchen Freiraum und Bewegung.

© UNICEF/UNI332779/Bänsch

Hanna und Milena sind die Kinder der alleinerziehenden Mutter Katharina aus Köln

Die Covid-19-Pandemie stellt den Alltag von uns allen auf den Kopf – auch und gerade den von Kindern und Jugendlichen. Ich bin mit Hannah, Milena und ihrer Mutter Katharina* verabredet: Mich interessiert, wie sie die vergangenen Wochen erlebt haben. Natürlich treffen wir uns aufgrund der aktuellen Situation nicht persönlich. Stattdessen schaue ich mir Fotos von ihnen und ihrem Alltag an und wir treffen uns digital in einem Videochat. Das ist auch für mich eine neue Situation.

Schon am Anfang unseres Gesprächs wird klar, wie sehr sich die beiden Mädchen darüber freuen, dass sich bald alles wieder ein Stück weit normalisiert und einige der strikten Regeln zumindest teilweise gelockert werden.

„Jetzt darf man sich wieder mit einer Freundin treffen. Das finde ich gut. Ich bin mit meiner besten Freundin Lotti schon im Wald spazieren gegangen“, erzählt Milena, acht Jahre alt. Und ihre drei Jahre ältere Schwester Hanna (11) ergänzt: „Es war schon ein bisschen doof, dass wir in den ersten Wochen unsere Freunde nicht sehen konnten. Aber sagen wir mal so, wir haben es überlebt.“ Hanna lacht.

Mittlerweile war sie mit ihrem besten Freund sogar schon in einem Freizeitpark – natürlich war es durch die Abstandsregel ein anderer Besuch als sonst, aber trotzdem schön. Nur Achterbahn fahren mit Mundschutz fand sie nicht so gut. „Die Maske wäre fast immer weggeflogen.“

Homeschooling: Zwei Mädchen lesen die UN-Kinderrechtskonvention.

Hanna und Milena lesen in ihrem Kinderzimmer gemeinsam in der UN-Kinderrechtskonvention.

© UNICEF/UNI331934/Bänsch

Gegen Corona-Langeweile: Fahrradfahren ist wieder angesagt

Die vergangenen Wochen haben Spuren hinterlassen. In der 70 qm Wohnung in Köln geriet der Haussegen manchmal kräftig ins Schwanken, gleichzeitig haben Hanna, Milena und Mutter Katharina gemeinsam viele schöne Momente erlebt.

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Die beiden Mädchen freuen sich zum Beispiel darüber, dass sie ein gemeinsames Hobby für sich wiederentdeckt haben: das Fahrradfahren. „Wir sind ganz viel Fahrrad gefahren, weil wir uns ja trotzdem viel bewegen mussten“. „Dafür hatten wir vorher keine Zeit, wir sind bestimmt schon eineinhalb Jahre kein Fahrrad mehr gefahren“, ergänzt Hannah. Generell waren Hanna und Milena in den Wochen zu Hause sehr kreativ und aktiv.

Während der Corona-Krise werden die eigenen vier Wände zum Spielplatz

Spielende Kinder: Zwei Mädchen spielen Kasperle-Theater.

Bild 1 von 5 | Vorhang auf: Individuelle Vorstellungen von Hanna und Milena im selbst gebauten Kasperle-Theater.

© UNICEF/UNI332787/Bänsch
Alltag ohne Schule: Hanna liest auf ihrem Bett ein Buch.

Bild 2 von 5 | Hanna liest ein Buch auf ihrem Bett. Rückzugsorte zu finden ist manchmal gar nicht leicht, wenn alle Familienmitglieder zuhause sind.

© UNICEF/UNI332796/Bänsch
Kindererziehung: Auch die mobilen Geräte kommen zum Einsatz.

Bild 3 von 5 | Manchmal nutzen Hanna und Milena auch mit ihrer Mama zusammen ihre mobilen Geräte.

© UNICEF/UNI332778/Bänsch
Bewegung im Alltag: Zwei Mädchen spielen Tischtennis.

Bild 4 von 5 | Hanna und Milena spielen außerdem gerne Tischtennis…

© UNICEF/UNI332790/Bänsch
Sport im Alltag: Zwei Mädchen spielen draußen Fußball.

Bild 5 von 5 | …und Fußball im Hinterhof.

© UNICEF/UNI332798/Bänsch

„Wir spielen auch viel mit Mama. Oft zocke ich Mama beim Mühle spielen ab. Und dann machen wir noch viel Quatsch zusammen“, freut sich Milena. „Ich hab‘ nur Langeweile, wenn meine Schwester noch Hausaufgaben machen muss, meine Mama arbeiten geht und ich mit meinen Schulsachen schon fertig bin“, ergänzt sie.

Hanna geht eigentlich in die 5. Klasse. Doch statt Unterricht im Schulgebäude, sitzt sie momentan häufig alleine zu Hause und macht ihre Aufgaben vor dem Computer. Bis zu den Sommerferien ist geplant, dass sie einmal pro Woche ihre Schule besucht. „Ohne die Lehrer ist es schon schwieriger zu lernen. Und wir können uns ja jetzt gerade im ‚Home Schooling‘ nicht verbessern,“ sagt Hanna.

Homeschooling: Hanna macht ihre Schulsachen vor dem Laptop.

Hanna fehlt der Austausch mit ihren Mitschülern und Lehrern beim Lernen zu Hause.

© UNICEF/UNI332776/Bänsch

Sie bekommt ihre Aufgaben in allen Fächern online zugeschickt – Milena musste sich die Aufgaben teilweise schon in ihrer Grundschule abholen. An wenigen Tagen besucht auch Milena schon wieder den Unterricht in ihrer Schule mit viel Abstand zu den anderen Schülerinnen und Schüler und teilweise auch einer Nasen-Mundschutz-Maske.

Mutter Katharina meistert den Corona-Alltag

Mutter Katharina ist alleinerziehend und durch ihren Beruf als Schulsozialarbeiterin häufig nicht zu Hause. Die aktuelle Situation mit zwei Töchtern stellt sie vor enorme Herausforderungen. Während die jüngere Tochter Milena seit rund einem Monat zusätzlich zur Notbetreuung geht, möchte Hanna lieber zu Hause bleiben. „Das wird immer mehr zum Problem, weil ich immer weniger Home Office machen kann“, erklärt Mutter Katharina.

Hinzu kommt, dass sie neben ihrer eigenen Arbeit den Kindern meist noch bei den Hausaufgaben hilft.

Alleinerziehende Mutter: Katharina hilft ihrer Tochter.

Katharina hilft ihrer Tochter Milena bei den Hausaufgaben.

© UNICEF/UNI332777/Bänsch

„Einige Lehrer wollen, dass wir die Hausaufgaben zurückschicken, andere wollen sie abfotografiert haben. Also ich bin nicht nur für die Hausaufgabenbetreuung zuständig, sondern auch Sekretärin und Verwalterin der Hausaufgaben“, erklärt Mutter Katharina. „Und es antworten auch nur wenige Lehrer darauf. Ich finde, wenn die Kinder die Aufgaben machen, wäre es das Mindeste, dass sie auch ein Feedback bekommen.“

Kindererziehung: Eine Familie arbeitet auf dem Balkon.

Zwischen Job und Schule: Gemeinsames Arbeiten auf dem Sonnen-Balkon.

© UNICEF/UNI332782/Bänsch

Insgesamt hat Katharina durch die Covid-19-Krise also sehr viel weniger Zeit für sich selbst, als zuvor und wie in vielen anderen Familien auch, liegen die Nerven häufiger blank und es kommt zum Streit – vor allem unter den Mädchen.

„Ich hätte lieber noch eine Woche Schule, statt Sommerferien…“

In solchen Situationen wird einmal mehr deutlich, wie sehr die beiden Mädchen das alltägliche Leben und vor allem ihre Freunde vermissen.

Worauf sich die beiden am meisten freuen, wenn es mit Blick auf Covid-19 weiter Lockerungen gibt? Milena muss nicht lange überlegen. „Ich freue mich am meisten darauf, dass ich meine Freunde wiedersehen kann und ich sie auch wieder in den Arm nehmen darf.“

„Es ist komisch, ich hätte nie gedacht, dass ich das sagen werde, aber im Moment hätte ich lieber noch eine Woche Schule, anstatt eine Woche Sommerferien,“ meint Hanna. Außerdem freut sie sich noch darauf, nicht mehr überall Mundschutz tragen zu müssen und dass „alles wieder normal ist“.

*alle Namen geändert

Interview mit Mutter Katharina

Der Alltag als alleinerziehende Mutter ist immer eine Herausforderung. Aber wie hat sich Ihr Alltag durch die Corona-Einschränkungen zusätzlich verändert?

Katharina: Ich bin in der privilegierten Situation, dass ich keine Kurzarbeit machen und somit keine Einkommenseinbußen hinnehmen musste. Als Alleinerziehende bin ich dafür umso mehr auf einen funktionierenden Ganztag angewiesen.

Als dieser weggefallen ist und ich arbeiten gegangen bin, um Kinder zu betreuen, denen es noch einmal deutlich schlechter geht, als meinen eigenen, hat mich das schon sehr an meine Grenzen gebracht. Auch, wenn ich glaube, dass ich insgesamt durch meinen Beruf als Sozialarbeiterin geübter bin als andere Eltern. Ich fand es schon sehr anstrengend und eine Herausforderung zu arbeiten, Home Schooling zu machen und mich darum zu kümmern, dass meine eigenen Kinder auch nach draußen gehen und sich bewegen. Denn das ist ja auch wichtig. Ich bin immer noch sehr unzufrieden darüber, wie die Politik mit Kindern und Familien umgeht.

Welche Unterstützung würden Sie sich von der Politik wünschen?

Katharina: Ich würde mir zunächst wünschen, dass die Priorisierung geändert wird und wirklich mal geschaut wird, was Kinder gerade brauchen. Entgegen der Lockerungen draußen, wo man ja das Gefühl hat, dass man alles wieder darf, haben die Kinder in den Schulen nämlich eine eher unschöne Situation. Es ist komisch, wie Schule jetzt ist. Ich denke, dass es gut wäre, die Schulen und Kitas wieder zu öffnen und eher an einem anderen Konzept für „draußen“ zu arbeiten. Man könnte schauen, wie andere Orte zum Unterrichten genutzt werden können, wie zum Beispiel leerstehende Gebäude oder ähnliches. Die Kommunen könnten sich überlegen, mit welchen Partnern sie kooperieren wollen, um mehr Räume zu bekommen.

Ich hätte mir auch gewünscht, dass man kein Home Schooling umsetzt. Es ist einfach nicht möglich für Eltern, selbst zu arbeiten und Home Schooling zu machen. Ich sehe die große Gefahr, dass Kinder abgehängt werden, weil sie die technischen Voraussetzungen wie die Endgeräte nicht haben und ihre Eltern die Medienkompetenz, Zeit, Kraft und Ausgeglichenheit nicht haben.

Wie sieht ein Tag bei Ihnen aus?

Nach dem Frühstück geht Milena in die Notbetreuung. Dann starte ich mit meinen E-Mails, Konferenzen oder fahre an die Schule, an der ich als Sozialarbeiterin arbeite. Vorher sage ich Hanna noch, welche Aufgaben sie erledigen soll und wie sie mich erreichen kann, wenn sie nicht weiterkommt. Manchmal hat Hanna auch Zoom Konferenzen, was ich mit Blick auf den Datenschutz wirklich schwierig finde. Sie ist dann auf jeden Fall hier zu Hause und muss alleine klarkommen. Ich bin am Arbeitsplatz. Wenn ich nach Hause komme, war ich im besten Fall schon einkaufen, koche etwas, dann kommt Milena nach Hause. Wir räumen gemeinsam auf. Danach beschäftigen sich die Kinder mit ihren Hobbies oder treffen mittlerweile wieder eine Freundin. Das nicht tun zu können, war das Härteste für die Kinder.

Wie hat die Corona-Pandemie die Gesellschaft verändert?

Ich empfinde es so, dass Corona das Brennglas auf viele Randgruppen geworfen hat, wie zum Beispiel Alleinerziehende. Man könnte die Liste aber noch auf viele Gruppen erweitern. Die Bedingungen vieler Gruppen in der Gesellschaft sind einfach von vornerein schon schwierig.

Ich hoffe sehr, dass diese Corona-Krise auf Systeme aufmerksam macht, die sich von innen heraus verändern müssen, um mehr Teilhabe und Gerechtigkeit herzustellen. Viele Kinder in Deutschland erleben einfach keine Gerechtigkeit. Das erfahre ich auch immer durch meine Arbeit. Es wurden gerade so viele Kinder während der Krise abgehangen. Das ist wirklich schlimm.



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Autor*in Simone Morawitz

Simone Morawitz berichtet aus der Pressestelle über alle aktuellen UNICEF-Themen.