Fotoreportagen

Flüchtlinge in der eigenen Stadt


von Rahel Vetsch

Zentralafrika: Besuch im Flüchtlingslager in Bangui

Jeder, der in Bangui landet, erhascht zwangsweise einen kleinen Eindruck der vorherrschenden Notlage. Das bekannteste Flüchtlingslager der Zentralafrikanischen Republik liegt direkt am Flughafen M‘Poko. Es grenzt an die Landebahn und das Flugzeug kommt kaum 100 Meter davor zum Stehen.

Zentralafrikanische Republik: Flüchtlingsfamilien Flugplatz Bangui

Frauen in der Zentralafrikanischen Republik haben sich mit ihren Kindern und wenigen Habseligkeiten an einen Flughafen in der Hauptstadt Bangui geflüchtet

© UNICEF/NYHQ2014-0330/Grarup

Bei meiner Arbeit bei UNICEF Schweiz sehe ich wöchentlich hunderte neue Bilder. Die Bilder dieses Ortes aber haben sich in meinen Kopf geprägt, noch bevor ich wusste, dass ich einmal hier landen würde. Flüchtlingsfamilien inmitten von Kleinflugzeugen. Direkt am internationalen Flughafen. Zwei Welten prallen aufeinander.

Zufluchtsort am Flughafen: Das Flüchtlingslager M‘Poko

Es sind Menschen aus Bangui, die hier Zuflucht gefunden haben. Flüchtlinge in der eigenen Stadt. Sie haben ihre Wohnungen im sogenannten dritten und fünften Arrondissements – den zwei am stärksten umkämpften Quartieren der Stadt – verlassen. Als die Gewaltwelle letzten Dezember ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, lebten 100.000 Menschen hier. Heute wird die Zahl auf 60.000 geschätzt, in etwa die Bevölkerung von Lugano. Die Zahl schwankt stetig. Niemand ist freiwillig hier, bei den meisten siegt aber die Angst.

Es ist nur einer von aktuell 43 Orten in Bangui, in denen beinahe 120.000 intern Vertriebene Zuflucht suchen. Insgesamt sind 542.000 in der Zentralafrikanischen Republik auf der Flucht, weitere 258.000 sind in die Nachbarländer geflohen.

Zentralafrikanische Republik: Flüchtlingszelte Flugplatz Bangui

Blick aus dem Flugzeug: Rund um den Flugplatz von Bangui erstreckt sich ein Meer provisorischer Hütten

© UNICEF/Daniel Timme

Bevor wir in das Flüchtlingslager hineingehen, zeigt uns eine Kollegin den Plan des Lagers. Es erinnert mich entfernt an den Plan eines Open Airs: die verschiedenen Zonen sind eingezeichnet mit Duschen, WC, Wasserstellen, Informationsstand, Märkte, kinderfreundliche Zone, Schule. Heute scheint die Sonne, aber es ist Regenzeit. Und wer ein verregnetes Open Air im Zelt erlebt hat, kann sich die Bedingungen erahnen. Nur besteht hier keine Möglichkeit, den Zug nach Hause zu nehmen. Vielmehr drohen Erkrankungen durch unreines Wasser und Malaria. Dank breit angelegten Sensibilisierungskampagnen, Hygienekits und sanitären Anlagen gab es aber bis jetzt im ganzen Land noch keinen einzigen Cholerafall.

Unzählige Journalisten und Fotografen waren schon hier. Geändert hat sich für die Bewohner nicht viel. Zwar haben sie inzwischen sauberes Trinkwasser, sanitäre Anlagen und behelfsmäßige Unterkünfte, die Bedingungen bleiben aber prekär. Eine bessere Zwischenlösung wird noch gesucht. Die am Flughafen stationierten französischen Truppen – Sangaris – bieten einen gewissen Schutz. Ein wertvolles Gut.

Herzliche Begrüßung von Flüchtlingskindern: „Bonjour Madame!“

Zentralafrikanische Republik: Im Flüchtlingslager M'Poko

In der Kinderfreundlichen Zone des Flüchtlingslagers M'Poko können Kinder für einige Stunden den Alltag vergessen.

© UNICEF/Rahel Vetsch

Als wir das Flughafengelände durch ein Loch im Zaun verlassen und ins Lager eintreten, springen uns Kinder entgegen. Der Empfang ist herzlich. Jedes einzelne will uns die Hand geben, viele begrüßen mich mit einem breiten Lächeln und in bestem Französisch mit „Bonjour Madame!“. Die meisten sind wohl zwischen drei und sieben Jahren alt. Doch dies ist schwierig zu sagen. Mangelernährung ist weit verbreitet und viele Kinder sind viel zu klein für ihr Alter.

Eric ist deutlich älter und ihm fehlt diese Lebensfreude. Ich habe ihn vor dem Gelände kennengelernt. Sein Auto hat meine Aufmerksamkeit geweckt. Es ist aus Abfall gebastelt und es lässt sich sehr fein steuern, ich bin fasziniert von dieser Präzision. Im Gegensatz zu den anderen Kindern lacht er aber kaum. 14 Jahre alt sei er. Viel mehr erfahre ich nicht, sein Französisch stößt schnell an Grenzen. Irgendetwas umgibt ihn, Bedeutungslosigkeit, Hoffnungslosigkeit – ich kann es nicht in Worte fassen. Wäre er älter, würde man sagen, er ist vom Leben geprägt. Er begleitet uns fast unscheinbar. Irgendwann ist er verschwunden.

Dem Alltag entfliehen

Viele Erwachsene verlassen das Lager während des Tages, um ihrer Arbeit nachzugehen. Die Kinder bleiben hier. Nur auf dem Markt gibt es vermehrt ältere Personen. Hier wird ziemlich alles angeboten, neben Esswaren und Getränken gibt es kleine Apotheken, Ladestationen für das Telefon, Schuhe, Kleider, sogar einen Fernsehraum, in dem die WM-Spiele für 100 Francs (ca. 15 Cent) mitverfolgt werden können. In einem anderen Teil des Marktes werden Türen, Schlösser und Möbel angeboten. Das Leben geht weiter. Es muss.

Gemeinsam mit Partnerorganisationen hat UNICEF im Lager nicht nur Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen ermöglicht, sondern auch temporäre Schulen gebaut. So können Kinder weiterhin den Unterricht besuchen. Sie sind geschützt und lernen gleichzeitig lesen, schreiben und rechnen. Die jüngeren Kinder werden in sogenannten kinderfreundlichen Zonen betreut und unterhalten. Von weitem ist die Musik zu hören und als wir näher herantreten, kommen wir in den Genuss einer Tanzaufführung. Wir sind nicht die einzigen Zaungäste. Die Zone ist mit Planen umgeben, lokale Animateure bieten den Kindern willkommene Abwechslung. Hier können sie für einige Stunden dem Alltag entfliehen.

Die Flugzeuge hätte ich übrigens beinahe übersehen, sie sind eins geworden mit der Umgebung. Es sind ohnehin nicht mehr diese Bilder, die mich begleiten, sondern Erics leerer Blick.

Helfen auch Sie!

Unterstützen Sie unsere Hilfe in der Zentralafrikanischen Republik und schützen Sie die Kinder vor Gewalt und Krankheit - vielen Dank!

Rahel Vetsch
Autor*in Rahel Vetsch

Rahel Vetsch arbeitet bei UNICEF Schweiz. Seit Ende Juni ist sie in der Zentralafrikanischen Republik und unterstützt dort die UNICEF-Kommunikationsabteilung.