Kinder weltweit

Die verlassenen Kinder von Burundi


von Beatrix Hell

Im November hat UNICEF-Patin und Fernsehmoderatorin Sandra Thier UNICEF-Projekte in Burundi besucht. Dort hat sie Mädchen und Jungen für eine Fernsehreportage getroffen und interviewt.

Sandra Thier beim Interview. ©UNICEF/Berger

Sandra Thier beim Interview.

© UNICEF/Berger

Die Eindrücke ihrer Reise schildert sie hier:

“In Burundi, eines der ärmsten Länder der Welt, leben rund 3.000 Kinder auf der Straße, die meisten von ihnen in der Hauptstadt Bujumbura. Die Jüngsten sind erst vier Jahre alt. Sie betteln, stehlen Autoteile, die sie dann verkaufen, oder sie tragen Passanten Lasten nach Hause, um ein wenig Geld zu verdienen. Auf der Straße sind sie völlig auf sich allein gestellt. Niemand kümmert sich um sie, oft werden sie von der Polizei verjagt oder geschlagen.

Auch die beiden Jungen Claude und Eric müssen sich auf der Straße durchschlagen. Sie erzählen mir, dass sie lieber dort leben als zu Hause. Wenn man ihre Geschichten hört, versteht man auch, warum. Eric ist aus Armut von zu Hause weggelaufen, und Claude, weil sein Bruder ihn missbrauchte. Ich begleite sie einen ganzen Tag lang. Sie zeigen mir, wie sie im Müll nach Essbarem suchen und wie sie an einem See ihre Kleidung und sich selbst waschen. Im Fluss gibt es Krokodile und Flusspferde. Die sind gefährlich und töten schon mal den ein oder anderen Badenden. Deshalb steht einer von den Jungs Schmiere und passt auf den anderen auf.

Dann zeigen mir Eric und Claude, wo sie schlafen. Ein Pappkarton und ein Müllsack – das ist alles was sie besitzen, und es muss als Nachtlager ausreichen. Sie verstecken die Sachen unter einem Container vor einem Eissalon. Und genau dort in der Ecke schlafen sie auch. Dies berührt mich sehr. Es sind doch kleine Jungs, die eigentlich eine Mutter brauchen, die sie in den Arm nimmt und ihnen beim Einschlafen eine Geschichte vorliest. Und genau das hätte ich am Liebsten gemacht. Was mir auffällt: Die beiden halten fest zusammen und passen auf sich auf. Eric ist unglaublich smart. Er lebt auf der Straße, seit er sieben Jahre war. Und das merkt man: er weiß genau, was zu tun ist, um zu überleben. Er strahlt Stärke aus. Nur in der Schule würde mir der Junge besser gefallen, denn dort würde er gefordert werden und lernen.
Einige Mädchen, die ich treffe, erzählen mir von sexuellem Missbrauch durch ältere Jungen. Wenn sie nein sagen, verprügeln sie sie solange, bis sie einwilligen. Keiner geht dazwischen. Doch auf der Straße wird nicht geweint, dafür haben die Straßenkinder alle schon zu viel erlebt. Manche von ihnen müssen für Bagatellen ins Gefängnis ohne rechtlichen Beistand und Schutz vor erwachsenen Häftlingen. Auch das schaue ich mir an und fahre in ein Gefängnis in Gitega, der zweitgrößten Stadt in Burundi. Dort sitzen rund 1.000 Häftlinge – 600 zu viel. Denn der Knast ist eigentlich nur für 400 Menschen gebaut. Um zu den 39 inhaftierten Kindern zu gelangen, muss ich durch den Hof der Erwachsenen. Da ein Begleiter meinte, ich solle zügig gehen und keinen anschauen, halte ich mich daran. Mir war sehr mulmig – als Frau da durchzugehen, war nicht das Sicherste. Dabei musste ich auch an die Kinder denken, die jetzt zum Glück wenigstens in einem eigenen Trakt sitzen, aber früher mit den erwachsenen Straftätern gemeinsam eingesperrt waren. Viele wurden missbraucht und vergewaltigt.

Sandra Thier in einem Gespräch mit einem Mädchen in Burundi. ©UNICEF/Berger

Sandra Thier in einem Gespräch mit einem Mädchen in Burundi.

© UNICEF/Berger

In den Augen dieser Kinder sehe ich ihr Unglück und ihre Verzweiflung. Sie starren vor sich hin und haben einen leeren Blick. Das „Kind sein“ ist fort. Drei Jungen interviewe ich. Alle drei sagen mir, dass sie unschuldig zu zehn Jahren Haft verurteilt wurden. Der eine, weil er angeblich gesehen hat, wer einen Mann umbrachte, aber nicht sagt, wer. Ein anderer, weil er angeblich die Tochter der Nachbarin vergewaltigt hat, obwohl das ärztliche Attest im Krankenhaus seine Unschuld bestätigte. Ich habe einen trockenen Mund. Nach den Geschichten der Kinder sitzen sie zehn Jahre hier ab und kommen als Kriminelle raus. Denn das Leben im Gefängnis ist hart. Ich kämpfe mit den Tränen.

UNICEF-Patin Sandra Thier in Burundi. ©UNICEF/Berger

UNICEF-Patin Sandra Thier in Burundi.

© UNICEF/Berger

Zurück in der Hauptstadt Bujumbura. Zum Abschluss wollen wir noch Stadtaufnahmen machen. Also, wie ich nochmal alleine durch die Straßen laufe. Plötzlich, als wussten sie, dass wir wiederkommen, läuft eine Schar Kinder auf mich zu. Sie umarmen mich und spielen mit meinen Haaren. Es sind die Straßenkinder von Burundi. Sie sind immer da, auch wenn man sie nicht sieht. Sie sehen alles. Die Herausforderungen sind groß, aber UNICEF lässt die Straßenkinder nicht alleine.

UNICEF hat gemeinsam mit der Regierung Burundis eine landesweite Strategie zum Schutz von Straßenkindern entwickelt. Als erstes Ziel versucht UNICEF zu verhindern, dass Kinder sich auf der Straße durchschlagen müssen. Hierfür schult UNICEF Sozialarbeiter darin, besonders sozial schwache Familien zu unterstützen und zu beraten. Auch setzt sich UNICEF dafür ein, Kinder, die auf der Straße leben, wieder in ihre Familien zu integrieren und ihnen neue Zukunftsperspektiven zu vermitteln – zum Beispiel den Schulbesuch oder eine berufliche Ausbildung. UNICEF fördert hierfür auch sogenannte Familien-Komitees in den Gemeinden, die gefährdete Kinder und ihre Familien unterstützen und betreuen. Diese Komitees helfen auch bei der Resozialisation von jugendlichen Straftätern. Denn oftmals werden diese Kinder von ihren Eltern und Verwandten nicht mehr akzeptiert. Auch schult UNICEF Polizisten, Anwälte und Richter im Umgang mit jugendlichen Straftätern und Opfern.”

Beatrix Hell
Autor*in Beatrix Hell

Beatrix Hell berichtet über Neues aus den Projektländern.