Investitionen in die Zukunft
Warum wir den Schutz und die Rechte von geflüchteten Kindern und Jugendlichen nicht aus dem Blick verlieren dürfen
Kirsten Di Martino, UNICEF Länderkoordinatorin in Deutschland, schreibt über die Dringlichkeit mehr in Kinder und Jugendliche – gleich welchem Aufenthaltsstatus – zu investieren.
In den letzten zwei Jahren hat Deutschland mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Das außerordentliche Engagement der Menschen, die sich ehren- oder hauptamtlich für die geflüchteten Menschen einsetzen, beeindruckt mich tief.
Angesicht der vielen Herausforderungen werden jedoch häufig die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nach Schutz und Förderung übersehen.
Viele von ihnen haben eine beschwerliche, oftmals lebensgefährliche Flucht hinter sich. Sie haben Krieg und Gewalt erfahren und müssen mit dem Verlust der Heimat und von Angehörigen umgehen. Wir dürfen sie mit diesen Erfahrungen nicht allein lassen. Neben einem strukturierten Alltag in einer geschützten Umgebung brauchen sie dringend gezielte Unterstützung und professionelle psychosoziale Betreuung durch qualifizierte Fachkräfte.
Leider sieht die Realität oftmals anders aus. Mädchen und Jungen leben häufig über viele Monate mit ihren Familien in Flüchtlingsunterkünften und somit in einer wenig kindgerechten Umgebung: auf engem Raum mit vielen fremden Menschen, wenig Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten und teilweise unter unzureichenden hygienischen Bedingungen.
Grundsätzlich sollten sie möglichst kurz in Not- und Gemeinschaftsunterkünften bleiben. Solange sie sich dort aufhalten, müssen sie vor Gewalt und Missbrauch geschützt werden und Zugang zu strukturierten Spiel- und Lernangeboten haben.
Gemeinsame Initiative für Kinder, Jugendliche und Frauen in Flüchtlingsunterkünften
Dazu haben UNICEF und das Bundesfamilienministerium eine Initiative gestartet und zusammen mit den Wohlfahrtsverbänden und anderen Partnern erstmals bundesweit einheitliche Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften erarbeitet.
In einigen Flüchtlingseinrichtungen, mit denen wir eng zusammenarbeiten, werden diese Standards bereits umgesetzt. Die Einführung der Standards ist für Träger von Flüchtlingseinrichtungen jedoch freiwillig. Ein flächendeckender, einheitlicher Schutz ist dadurch nicht gewährleistet. Was wir daher brauchen, ist eine bundesgesetzliche Regelung, die Schutzstandards für alle Flüchtlingsunterkünfte verbindlich festschreibt.
Neben der schwierigen Unterbringungssituation stellen wir immer wieder fest, dass geflüchtete Kinder und Jugendliche einen erschwerten Zugang zu Bildungs- und Freizeitangeboten haben. Sie müssen zu lange auf den Besuch eines Kindergartens oder einer Schule warten.
Viele Kinder verlieren ein ganzes Schuljahr – das ist eine lange Zeit in dieser prägenden Lebensphase. Besonders schwierig ist außerdem die Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die nicht mehr der allgemeinen Schulpflicht unterliegen und deshalb oft gar keinen Platz an einer Schule bekommen.
Geflüchtete Kinder und Jugendliche haben wie alle Kinder in Deutschland ein Recht auf Bildung: Der Ausbau von Kitaplätzen, Schulen und weiterführenden Bildungsmöglichkeiten muss daher verstärkt vorangetrieben werden.
Geschieht dies nicht, verpassen wir die Gelegenheit Flüchtlinge schon in jungem Alter in unsere Gesellschaft zu integrieren und dadurch Konflikten in der Zukunft entgegenzuwirken.
Wenn wir mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen reden, erzählen sie uns von ihren Wünschen für die Zukunft. Sie wollen zur Schule gehen, Deutsch lernen und neue Freunde finden. Wie alle anderen Kinder haben die zugewanderten Mädchen und Jungen das Recht auf eine faire Chance im Leben.
Darüber hinaus ist es in unser aller Interesse, dass Bund, Länder und Kommunen diesen Kindern und Jugendlichen jetzt mit gezielten Investitionen Perspektiven eröffnen.
Denn Investitionen in Kinder – ganz gleich, welchen Aufenthaltsstatus sie haben – sind Investitionen in eine starke und friedliche Gesellschaft!