© UNICEF DT/Kristina MüllerBundestagswahl 2017: Straße mit Wahlplakaten der Parteien
Kinder weltweit

Bundestagswahl 2017: Kinder, Kinder

Der größte Erfolg für UNICEF wäre – wenn es UNICEF nicht mehr geben müsste. Wenn die Regierungen rund um die Welt hundertprozentig sicherstellen würden, dass es allen Kindern gut geht. Dann bräuchte es kein Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, das mit diesem Auftrag beharrlich bei den Mächtigen anklopft.


von Christian Schneider

Zwei Kilometer durch einen Bundestagswahlkampf voller Versprechen für die junge Generation:

In Deutschland scheint dieser Tag näher zu rücken. Sagt mir meine gut zwei Kilometer lange morgendliche Fahrt durch Köln, auf dem Weg zum UNICEF-Haus. Wo sonst Streublumenmischungen den Grünstreifen aufhübschen, sind in meiner Urlaubszeit gleichfalls bunte, aber eckige Wahlversprechen aus dem Boden geschossen. Und die sagen: Nach der Bundestagswahl am 24. September muss ich mir wohl eine neue Aufgabe suchen – weil unsere Mission erfüllt ist.

Wahlplakate zur Bundestagswahl 2017: Politik für Kinder!?

Aber langsam, und genauer hingeschaut: „Kinder vor Armut schützen“, ruft ein Plakat, geradeaus und schnörkellos. Ein paar Meter weiter – andere Schrift, andere (Partei-)farbe: „Kinderarmut kann man kleinreden. Oder groß bekämpfen“. Haken dran, das Problem mangelnder Teilhabe für Hunderttausende Kinder in Deutschland wird bald ein Thema für Historiker sein.

Kein Kind wird mehr auf Essensspenden und Kleiderkammern angewiesen sein. Keine Tochter und kein Sohn einer alleinerziehenden Mutter mit Hartz IV-Bezügen darunter leiden, keine Winterschuhe zu haben oder den Schulausflug nicht mitmachen zu können. Andere denken auf ihren Plakaten deshalb schon daran, dass die betroffenen Kinder auch einmal alt werden: „Damit die Rente nicht klein ist, wenn die Kinder groß sind.“

Bundestagswahl 2017: Kinder fahren mit Rollern an Wahlplakaten vorbei
© UNICEF DT/Kristina Müller

Die Ampel springt auf Grün, bis zur nächsten Kreuzung scheint mir auch das Schulwesen auf einem guten Weg zu sein: „Lasst uns genauso hart für die Bildung arbeiten wie unsere Kinder“, nimmt sich eine Partei vor. Sie hat in gleich drei Motiven ihre – versprochenen – Anstrengungen für die Bildung illustriert. Aus einem vollen Hörsaal auf dem ersten Plakat geht es gedanklich auf den Pausenhof, denn „das Digitalste in der Schule dürfen nicht die Pausen sein“. Ein Kandidat schaut nachdenklich, vermutlich auf einen Laptop. Aber nun, „es geht um unser Land“.

Weil das so ist, zeigt eine andere Partei ein im Lerneifer brütendes Kind und ruft mir beruhigend entgegen: „Bildung darf nichts kosten. Außer etwas Anstrengung.“

Da die meisten Kinder nicht allein aufwachsen, denken fast alle Parteien an die Familie. Das spricht mich als Vater an. Und so lese ich, weil die Ampel wieder Rot zeigt: „Kinder fordern Eltern. Wir fördern Eltern“. Das Wortspiel fordert mich einen Moment, bevor ich zwei Plakate (oder Parteien) weiter aufatmen kann: „Familien sollen es kinderleichter haben“. Und, ganz grundsätzlich: „Für mehr Respekt vor Familien“.

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© UNICEF DT/Kristina Müller

Hundert Meter weiter rufen mir neben zwei schreienden Kindern große Lettern zu: „Unsere Familienpolitik ist genauso laut und fordernd.“ Wenn das alles so erhört wird – gute Zeiten für Kinder und ihre Familien! Denke ich und gehe in Gedanken unser Positionspapier durch, in dem wir bei UNICEF Empfehlungen an die Politik aufgeschrieben haben. Da liegen wir nicht schlecht. Offenbar sehen die Parteien (und ihre Werbestrategen) auch, dass das Wohl unserer Gesellschaft vor allem davon abhängt, wie gut es jedem einzelnen Kind in Deutschland geht.

Nur eine Partei denkt offenbar schon vor deren Geburt an die Kinder, aber woran denkt sie bloß bei dem Slogan: „Neue Deutsche? Machen wir selber.“ Manchem Spruch am (Straßen-)Rand wünsche ich schnellstes Verblassen.

Und schon fesselt mich der Anblick eines älteren Herrn, der plakativ an den Marterpfahl gebunden wurde – von Kindern, die im Hintergrund so tun, als würden sie Indianer nur spielen. Richtig: „Falls am Wahltag etwas dazwischen kommt“, sollten Sie an die Briefwahl denken.


Versprechen für Kinder einfordern – auch nach der Bundestagswahl

Aber denken Sie nicht, UNICEF würde nun voreilig die Arbeit einstellen, weil die Wahlkampagnen den Kindern das Blaue, Rote, Gelbe oder Grüne vom Himmel versprechen. Genau wie Sie werden wir beobachten, ob aus Parolen und Programmen politische Entscheidungen für die Rechte der Kinder werden.

Und mit Ihrer Unterstützung nachhaken, wenn die Interessen der jungen Generation so rasch aus dem Blick geraten wie die zerfledderten Plakate nach der Bundestagswahl am 24. September.

#ichbinwählerisch

InfoUmfrage zur Bundestagswahl unter Jugendlichen

Am 24. September wird der neue Bundestag gewählt. Dieser kann neue Gesetze vorschlagen und beschließen und beeinflusst damit die Situation der Menschen in Deutschland erheblich. Bei der Wahl können alle Wahlberechtigten über 18 Jahren mit ihrer Stimme ausdrücken, was ihnen wichtig ist. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben diese Möglichkeit nicht. Doch auch sie haben ein Recht auf Partizipation und darauf, gehört zu werden.

Wir geben Kindern und Jugendlichen die Chance, dem neu gewählten Bundestag in einer Online-Umfrage ihre Meinung zu sagen:

Afghanistan: UNICEF-Geschäftsführer mit Schülerinnen in einem Learning Center | © UNICEF
Autor*in Christian Schneider

Christian Schneider ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Komitees für UNICEF, ein Schwerpunkt der Arbeit ist seit Jahren die Situation von Kindern in Krisenregionen. Er hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Publizistik studiert und war vor der Zeit bei UNICEF als Journalist für verschiedene Tageszeitungen tätig.