Projektreise nach Gambia
UNICEF und Tostan: Gemeinsam gegen Mädchenbeschneidung und Verheiratung von Minderjährigen
„Seit ich im Unterricht Schreiben und Rechnen gelernt habe, hat sich mein Leben verändert.“
Diese Aussage von Ummu Jawo, einer Mutter aus Gambia, gehört zu einem der bewegendsten Momente meiner Reise nach Gambia. Er macht mir bewusst, dass schon kleine Veränderungen, große Auswirkungen auf das Leben der Menschen hier haben.
Gambia: kleines Land mit großen Herausforderungen
Gemeinsam mit meiner Kollegin Karina Hövener mache ich mich Anfang Februar auf die Reise nach Gambia, das kleinste Land auf dem afrikanischen Festland. Mit uns reisen UNICEF-Unterstützer aus Deutschland, die mit ihren Spenden unter anderem Bildungsprojekte in Gambia ermöglicht haben.
Gambia liegt in Westafrika und gehört zu den zwanzig ärmsten Ländern der Welt. 60 Prozent der rund 1,9 Millionen Einwohner leben hier unterhalb der Armutsgrenze, das heißt von weniger als einem US-Dollar am Tag. Viele junge Menschen verlassen das Land, in der Hoffnung woanders eine bessere Perspektive zu finden. Gambia besitzt keine wertvollen Bodenschätze oder große Industrie. Auch deshalb spielt das kleine Land eine unbedeutende Rolle in der Weltgemeinschaft.
Für die meisten Menschen hier ist der Alltag ein täglicher Überlebenskampf, der von harter Arbeit geprägt ist. Frauen und Mädchen haben es besonders schwer. Sie werden traditionell früh aus der Schule genommen und verheiratet, ziehen die Kinder groß und müssen sehr hart für den Lebensunterhalt ihrer Familien arbeiten.
Frauen in Gambia stark machen
Am zweiten Tag unserer Projektreise fahren wir in das Dorf Sotuma Sambokai. Es liegt in der Upper River Region, oberhalb des Gambia Flusses. Hier lernen wir die Arbeit von Tostan kennen, einer langjährige Partnerorganisation von UNICEF, die sich schwerpunktmäßig in Westafrika für Verhaltensänderungen hinsichtlich gefährlicher Traditionen wie der Mädchenbeschneidung einsetzt.
In Gambia ist die Beschneidung von Mädchen und Jungen traditionell noch tief verankert. Die Beschneidungsrate bei jungen Frauen im Alter zwischen 15 bis 19 Jahren liegt bei rund 75 Prozent. Die Praxis ist für Mädchen lebensgefährlich. An den körperlichen und seelischen Folgen leiden betroffene Frauen häufig ein Leben lang.
Besonders in ländlichen Regionen, in denen das Bildungsniveau und die soziale Entwicklung unterdurchschnittlich niedrig sind, liegt die Beschneidungsrate sehr hoch. Die Upper River Region gehört zu so einer Region. Deshalb konzentrieren sich UNICEF und Tostan in Gambia auf diese Region. Hier lassen die die größten Veränderungen bewirken.
In 145 Dorfgemeinden sind UNICEF und Tostan bereits mit dem sogenannten „Community Empowerment Programme“ (CEP) aktiv. Das Programm besteht im Wesentlichen aus einem Bildungskurs für Erwachsene. Hier lernen viele Frauen zum ersten Mal in ihrem Leben, ihren eigenen Namen zu schreiben.
Im Verlauf des Kurses werden zu einem späteren Zeitpunkt auch die kritischen Themen besprochen und diskutiert. Die Menschen sollen nicht einfach nur hören, dass sie mit der Tradition der Mädchenbeschneidung brechen sollen. Sie sollen selbst erkennen, wie gefährlich diese Praxis für ihre Kinder ist. Nur so kann eine nachhaltige Veränderung bewirkt werden.
In den regelmäßigen Zusammenkünften wird auch über die Verheiratung von Minderjährigen, Gesundheit und Hygiene sowie die Grundrechte gesprochen. Welchen Unterschied die Treffen im Leben der jungen und älteren Frauen machen, erzählen uns einige von ihnen.
Einfacher Unterricht verändert das Leben der Frauen nachhaltig
Wir dürfen dem Unterricht für die ungefähr 50 anwesende Frauen und (wenigen) Männer beiwohnen. Im Halbkreis sitzen sie auf dem Boden oder auf brüchigen Plastikstühlen zusammen. Einige Frauen haben ihre Kinder auf dem Schoss. Konzentriert hören sie den Worten des Tostan Mitarbeiters zu.
Jetzt lernen wir sie kennen: Ummu Jawo. Sie ist ungefähr Ende dreißig und berichtet uns, wie kleine Lernerfolge ihr tägliches Leben verändert haben. Stolz geht sie zur Tafel und löst konzentriert eine Rechenaufgabe: 3 Äpfel in einem Korb und 2 Äpfel in einem anderen Korb, ergeben insgesamt 5 Äpfel.
Von den anderen Frauen erntet sie dafür großen Applaus. Anschließend erzählt sie uns folgendes: „Ich kann nicht nur auf dem Markt die Preise besser vergleichen, sondern ich bin auch in der Lage ein Handy zu bedienen. Das war mir vorher nicht möglich. Nun kann ich im Notfall im Krankenhaus anrufen oder einen Verwandten benachrichtigen. Ich kann meine Handy-Nummer und meinen Namen aufschreiben und lesen und darauf achten, dass beim Arzt auch wirklich meine Krankenakte auf dem Tisch liegt.“
Ummu steht stellvertretend für viele Frauen in Gambia
Ummus Worte berühren mich sehr, denn sie stehen stellvertretend für viele Frauen in Gambia und weltweit. Seit Tostan regelmäßig vor Ort ist und die Frauen ermutigt, aufklärt und fortbildet, hat sich in Ummus Dorf schon vieles verändert. Zum Beispiel besuchen mehr Kinder die Schule, Müll wird nicht mehr in die Landschaft geworfen und die Tradition der Mädchenbeschneidung wurde „offiziell“ verbannt.
Veränderungen beginnen in den Köpfen und Herzen der Menschen. Jeder Mensch hat das Recht in Würde zu Leben.
Genau dafür setzen sich UNICEF und Tostan gemeinsam ein und es ist beeindruckend zu sehen, wie dankbar die Menschen diese Veränderungen aufnehmen.