Fotoreportagen

Überlebensversuche in Juba


von Christian Schneider

Die Folgen der Gewalt in der Stadt Bor ziehen sich weiter durch unseren Besuch im Südsudan. Auch Rebecca* (26) hat ihr Zuhause und alles andere in Bor zurücklassen müssen, als die Kämpfe näher kamen. Mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern floh sie, soweit es ging, bis ins benachbarte Kenia. Doch auch im Flüchtlingslager dort hielt es die junge Familie nicht. Sie strandete wieder in Südsudans Hauptstadt Juba, ohne Geld, nur mit der Hoffnung auf ein Ende des Konfliktes.

Für ihre jüngste Tochter Anna* braucht es viel Hoffnung, wenn sie die nächsten Tage überstehen soll. Nur ganz leise geht der Atem des kleinen Mädchens, das alle Zeichen extremer Auszehrung zeigt. Vor drei Tagen wurde Anna in die Station für die schwer mangelernährten Kinder im Al Sabah Kinderkrankenhaus aufgenommen – es ist das einzige überhaupt im Südsudan, der ungefähr die Größe Frankreichs hat. Seit drei Tagen versucht das Mädchen zu zeigen, dass es überleben will. Aber die Zeichen sind schwach.

Südsudan: Im Krankenhaus werden die Kinder gegen Mangelernährung behandelt.

Von ihrer Mutter mit einer Decke gewärmt schläft diese Patientin friedlich. Ich hoffe, dass es Anna ebenfalls bald besser geht und sie das Krankenhaus gesund und stark verlassen kann.

© UNICEF/Adriane Ohanesian

Todesgefahr für 50.000 Kinder

UNICEF hat das Krankenhaus vor einigen Jahren renoviert, bildet Personal aus, stellt Ausstattung bis hin zu den Krankenbetten zur Verfügung. Hier in der Station für die besonders schwachen Kinder braucht es vor allem therapeutische Milch, die wichtigsten Medikamente, später Erdnusspaste, damit das kleine Team aus Ärzten, Krankenschwestern und Ernährungsexperten die jungen Patienten versorgen kann. All diese Kinder stehen an der Schwelle des Todes, wenn sie nicht sofort therapeutisch betreut werden.

Heute sind allerdings nur wenige Patienten da. „Wenn es regnet, steigt die Zahl der Fälle rasch wieder, dann bekommen die Kinder schnell schweren Durchfall“, sagt UNICEF-Ernährungsexpertin Priscilla. „Aber viel zu viele schaffen es erst gar nicht bis hierher.“ UNICEF unterstützt deshalb eine Art Ernährungsambulanz, deren Teams auch weit außerhalb der Station Kinder wiegen und messen und den Müttern Unterstützung anbieten. „Wir müssen die Kinder früher erreichen – und vor allem viel mehr Kinder.“

Südsudan: Die Mütter sind froh, dass ihren Kindern im Krankenhaus geholfen wird.

In einer ruhigen Minute unterhalten Tessa Page und ich uns mit zwei Müttern. Sie berichten, dass der Weg hierher anstrengend und gefährlich war. Und sind froh, dass ihren Kindern nun hier geholfen wird.

© UNICEF/Adriane Ohanesian

Die kleine Anna kämpft unterdessen weiter ihren verzweifelten Kampf. Immer wieder schließt sie die Augen. Seitdem die Familie auf der Flucht ist, seit Monaten, leidet die Kleine immer wieder unter Durchfall und Erbrechen. Nun ist sie völlig ausgelaugt, eines der schwächsten Opfer dieses Konfliktes. „Die Mutter muss gleichzeitig ihre vier anderen Kinder durchbringen. Diese Familie hat wirklich gar nichts, ist nur mit dem geflohen, was sie am Leib trugen“, sagt Priscilla.

572 kleine Patienten wie Anna hat das Zentrum seit Jahresbeginn behandelt. Es sind 572 von insgesamt über 55.000 schwer mangelernährten Kindern, die UNICEF mit therapeutischer Nahrung versorgen konnte. Eine Zahl, die für unseren UNICEF-Leiter im Südsudan gleichzeitig Ansporn und Frustration bedeutet: „Es bedeutet ja auch, dass Tausende mangelernährte Kinder, die wir noch nicht erreicht haben, weiter in großer Gefahr sind“, sagt Jonathan Veitch. Er weiß, dass die Zeit drängt: „Wir müssen die beginnende Trockenzeit nutzen, um so viele Hilfsgüter wie möglich zu den Familien zu bringen. Unser Ziel ist es, bis Jahresende mindestens 120.000 Kinder versorgt zu haben.“ Jonathan, Priscilla, alle im Team von UNICEF Südsudan stehen unter dem immensen Druck, gegen den drohenden Tod vieler Kinder an zu arbeiten. 50.000, das ist ihre große Sorge, könnten sterben, wenn sie nicht schnell genug sind, im Wettlauf gegen den Hunger.

Tongping – Zuflucht am Rande des Rollfeldes

Auch mitten in der Hauptstadt Juba sitzt die Angst. Claire*, die im Lager Tongping Zuflucht gefunden hat, zeigt uns Fotos von Ermordeten. „Wir haben keine Wahl“, sagt die couragierte Frau, „wenn wir rausgehen, ist es nicht sicher. Also müssen wir versuchen, hier drin friedlich miteinander zu überleben.“ Drei Verwandte wurden auf der Flucht hierher erschossen. Sie selbst überlebte mit ihren Kindern und einer betagten Tante.

Mit ihren Erinnerungen an die Tage im Dezember kommt Trauer hoch, Wut. Sie erzählt, dass immer wieder Menschen verschwinden, die das Lager verlassen haben, von Bussen, die gestoppt werden – und deren Insassen nie mehr auftauchen. Auch Claires Notunterkunft ist ein Lager auf dem Gelände der UNMISS. Wie in Bor haben auch hier die Truppen der UN den verzweifelt Heranstürmenden die Tore geöffnet. Aber auch hier waren sie noch nicht sicher, denn von höheren Gebäuden in der Nähe feuerten Männer noch auf die Verzweifelten im Lager, wie Nachbarn berichten.

Viele Familien haben das lange Zeit völlig überlastete Camp direkt am Rande des Rollfeldes von Juba verlassen, um weiter draußen am Stadtrand in einem weiträumigeren Lager Zuflucht zu suchen. Für die Kollegen von UNICEF bedeutet das hier ein wenig Entlastung, aber keine Entwarnung. Warum, das kann man riechen. Zwischen den Hütten und Wegen steht schmutziges Wasser in den Gräben, vor einigen Wochen forderte die Cholera hier drei Todesopfer.

Südsudan: Dreckige Wassergräben birgen gefährliche Krankheitskeime.

Bild 1 von 4 | Für alltägliche Arbeiten steht den Familien meist kein sauberes Wasser zur Verfügung. Die Wäsche muss daher oft in verschmutzten Wassergräben gewaschen werden. Dadurch breiten sich Keime schnell aus.

© UNICEF/Adriane Ohanesian
Südsudan: Latrinen verhindern das Ausbreiten von Krankheiten.

Bild 2 von 4 | Die Situation vor Ort verlangt immer wieder Einfallsreichtum von unseren Kolleginnen und Kollegen. Hier wurden Latrinen auf großen Schiffscontainern, die zuvor im Boden vergraben wurden, errichtet. Dies verhindert ein Absacken der Toilettenhäuschen.

© UNICEF/Adriane Ohanesian
Südsudan: Die Kinder spielen Fußball.

Bild 3 von 4 | Auch der Spaß darf nicht zu kurz kommen. Ein von den UNICEF-Kollegen organisiertes Fußballspiel ist mehr als gut besucht. Die Jungen und Mädchen nehmen solche Abwechslungen dankbar an.

© UNICEF/Adriane Ohanesian
Südsudan: Die Kinder bauen sich ihr Spielzeug selbst.

Bild 4 von 4 | Die Kreativität der Kinder ist ebenfalls sehr beeindruckend. Stolz lassen sie Tessa Page mit einem Auto spielen, das sie aus einer alten Plastikflasche und einer Schnur gebaut haben.

© UNICEF/Adriane Ohanesian

„Wir bringen jeden Tag 30 Trucks mit sauberem Trinkwasser in das Lager“, erklärt UNICEF-Mitarbeiter Cosmas, wie er mit seinem Team in Tongping ganz unspektakulär Leben rettet. Von der Impfung der Kinder über die Einrichtung einer Notschule bis hin zu den Lastwagen, die zweimal pro Woche die Latrinen leeren und den Müll abholen, organisiert das UNICEF-Team die Hilfe im Lager.

„We simply need to keep these children alive“, beschreibt UNICEF-Leiter Jonathan Veitch zum Ende unseres Besuches schlicht den Auftrag für ihn und sein Team, in Tongping, Juba, Bor und in vielen anderen Orten. „Wir müssen diese Kinder am Leben halten.“

Sie können dabei helfen. Mit Ihrer Spende. Vielen Dank.


Fast 450.000 Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgt
Über 59.000 Hygienekits für vertriebene Familien bereitgestellt
510.000 Dosen Impfstoff gegen Masern ins Land gebracht
Ca. 480.000 Moskitonetze zum Schutz vor Malaria verteilt
10,5 Millionen Päckchen nahrhafte Erdnusspaste bereitgestellt
25 „Rapid Response Missions“ organisiert, um 500.000 Menschen rasch mit Trinkwasser, Hygiene, Medikamenten etc. zu versorgen
(seit Dezember 2013)

* Namen geändert

Afghanistan: UNICEF-Geschäftsführer mit Schülerinnen in einem Learning Center | © UNICEF
Autor*in Christian Schneider

Christian Schneider ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Komitees für UNICEF, ein Schwerpunkt der Arbeit ist seit Jahren die Situation von Kindern in Krisenregionen. Er hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Publizistik studiert und war vor der Zeit bei UNICEF als Journalist für verschiedene Tageszeitungen tätig.