Kinder weltweit

Flüchtlinge in Deutschland: Kinder rasch integrieren


von Rudi Tarneden

"Ich habe meinen Vater seit über einem Jahr nicht gesehen", sagt der 15-jährige Jehad.

Meine Kollegin Lely traf den schlanken Jungen Anfang September im Zelt eines improvisierten Kinderzentrums, das UNICEF an der griechisch-mazedonischen Grenze eingerichtet hat. Vor dem Morden in Syrien war seine Familie nach Jordanien geflohen. Doch mit jedem Tag schwand ein Stück Hoffnung, jemals wieder in die Heimat zurückzukehren, und die Armut wuchs.

Flüchtlinge in Deutschland: Jehad im kinderfreundlichen Ort
© UNICEFMK-2015/Emil Petrov-2

Syrische Flüchtlinge: Fluchtursache Hoffnungslosigkeit

Als erster brach vergangenes Jahr sein Vater auf in Richtung Europa. Er schaffte es nach Deutschland. Jetzt folgt ihm Jehad – zusammen mit seinem Onkel und einigen Jungen aus der Nachbarschaft. „Wir hatten solche Angst. Wir waren sieben Stunden auf dem Meer. Das Boot sank immer tiefer. Wir sind ins Wasser gesprungen und haben versucht, es an Land zu schieben“, erzählt er über die gefährliche Reise.

Flüchtlinge in Deutschland: Jehad mit seinem Smartphone
© UNICEFMK-2015/Emil Petrov-1

Unterwegs inmitten zehntausender Flüchtlinge war sein Mobiltelefon wie ein Rettungsseil, denn es lieferte Orientierung und halbwegs verlässliche Informationen. Vor wenigen Tagen hat sich Jehad wieder bei meiner Kollegin Lely gemeldet. Er schickte über den Nachrichtendienst Whatsapp ein Foto von sich und seinem Vater aus Rostock, weit oben im Norden Deutschlands. Dort wartet er auf seine Registrierung.

Flüchtlinge in Deutschland: Jehads Bild via Whatsapp

Flüchtlinge in Deutschland: Wie geht es weiter?

Nach dem Stress der Reise ist Jehad jetzt in relativer Sicherheit. Aber nun beginnen die Fragen: Wie kann er schnell Deutsch lernen, wann kann die Familie wieder zusammenkommen, wie geht das Leben in der Fremde weiter? Eine zähe, nervenaufreibende Wartezeit beginnt.

So wie Jehad geht es vielen jungen Flüchtlingen. Sie haben den Schrecken des Krieges und eine gefährliche Reise überstanden. Aber über der Zukunft steht ein großes Fragezeichen. Mindestens ein Viertel aller Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, sind Kinder und Jugendliche.
Die Hilfsbereitschaft und das Engagement für die Flüchtlinge in vielen Kommunen ist vorbildlich – aber es wächst auch die Sorge, dass diese überfordert sein könnten. In überfüllten Notunterkünften können Stress und Frust um sich greifen – keine gute Umgebung für Kinder.

Weichenstellung für Integration der Flüchtlingskinder

Beim Bund-Länder-Gipfel in der vergangenen Woche ging es vor allem um Geld. Das ist natürlich notwendig, um Flüchtlinge zu versorgen. Doch aus der Sicht von UNICEF geht es um mehr: Es geht um eine angemessene, kindgerechte Versorgung der Kinder und Jugendlichen, die oft Schlimmes hinter sich haben. Jetzt müssen auch die Weichen für ihre Integration gestellt werden.

Aus Sicht von UNICEF Deutschland sind deshalb fünf Punkte für Flüchtlingskinder wichtig:

  1. Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, muss das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt werden. Dafür wird gut ausgebildetes Personal zwingend benötigt.
  2. Erstunterkünfte müssen sicher und kinderfreundlich ausgestattet werden, mit Zugang zu Gesundheitsversorgung, psychosozialer Unterstützung, Spiel- und Lernmöglichkeiten. Kinder und Jugendliche sollten nur so kurz wie möglich in provisorischen Erstaufnahmelagern und Notunterkünften bleiben. Die derzeit geplante Aufenthaltsdauer von bis zu sechs Monaten ist eine zusätzliche schwere Belastung für die Kinder.
  3. Flüchtlingskinder brauchen auch so schnell wie möglich Zugang zu Schulen und zum Beispiel zu ergänzenden Sprachkursen. Jeder Tag, den Kinder und Jugendliche ohne Schule, ohne sinnvolle Beschäftigung und ohne klare Perspektiven verbringen, ist ein verlorener Tag.
  4. Ein fehlender rechtlicher Status darf nicht dazu führen, dass Familien mit Kindern obdachlos werden oder es ihnen an anderen lebensnotwendigen Dingen fehlt. Unabhängig von ihrem Herkunftsland und ihrem rechtlichem Status oder dem ihrer Eltern dürfen Sozialleistungen für Kinder nicht eingeschränkt werden.
  5. Und Kinder und Jugendliche dürfen grundsätzlich nicht in Abschiebehaft genommen werden.

Das islamische Opferfest in der vergangenen Woche, traditionell das wichtigste Familienfest in seiner Heimat, erlebte Jehad erstmals in Deutschland. Erleichtert und traurig zugleich.

Was wird die Zukunft für Flüchtlinge in Deutschland bringen?


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Rudi Tarneden
Autor*in Rudi Tarneden

Rudi Tarneden war von 1995 bis 2023 Sprecher von UNICEF Deutschland.