UNICEF-Aktionen

"Die Gemeinschaft ist für den Kinderschutz sehr wichtig"

Gewalt gegen Kinder ist ein weltweit verbreitetes Problem: Drei von vier Kindern erleiden regelmäßig Gewalt durch Eltern und Erziehende. UNICEF ist im Einsatz, um Mädchen und Jungen zu schützen. Wie diese Arbeit konkret aussieht, erklärt Sumaira Chowdhury, Kinderschutz-Expertin bei UNICEF.


von Rebecca Struck

Welchen Ansatz verfolgt UNICEF, um Kinder vor Gewalt zu schützen?

Chowdhury: Gewalt gegen Kinder kann ihre Chancen auf ein gutes Leben und ihre Entwicklung einschränken sowie das Erreichen der Nachhaltigen Entwicklungsziele untergraben. Gewalt gegen Kinder ist ein verbreitetes und ein kostspieliges Problem. Die globalen wirtschaftlichen Auswirkungen von physischer, emotionaler und sexueller Gewalt wurden 2014 auf bis zu sieben Billionen Dollar geschätzt – das sind acht Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Um Gewalt gegen Kinder zu beenden, arbeiten wir mit Regierungen sowie regionalen, nationalen und internationalen Partnern zusammen. Wir versuchen, Gesetze und Regeln zum Schutz von Kindern zu stärken, Hilfsangebote für Kinder und Familien, zum Beispiel durch Elternprogramme, zu verbessern und die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt gegen Kinder zu hinterfragen. Dabei konzentrieren wir uns darauf, Prävention und Reaktion dort zu verbessern, wo Kinder am häufigsten Gewalt erfahren, zum Beispiel zu Hause, in der Schule oder online.

Im Kinderschutz haben wir es mit besonders verwundbaren, mit ausgegrenzten und oft übersehenen Kindern zu tun.

Sumaira Chowdhury, Kinderschutz-Expertin bei UNICEF
Kinderschutz-Expertin Sumaira Chowdhury.

Warum schaut UNICEF besonders auf Gewalt zu Hause?

Chowdhury: Leider erleben die meisten Kinder gewalttätige Disziplinierung – in Form von körperlicher Bestrafung oder psychischer Aggression – zum ersten Mal innerhalb der ersten beiden Lebensjahre. Hält sich diese Erfahrung, wächst ein Kind mit diesem Verhalten bis ins Erwachsenenalter hinein. So wird Gewalt von Generation zu Generation weitergegeben.

Was wird dagegen unternommen?

Chowdhury: Ein wesentlicher Eckpfeiler unserer Programmarbeit ist es, gemeinsam mit Müttern, Vätern und Betreuern Gewalt zu Hause zu verringern. Diese Programme sollen helfen, die Bedeutung einer positiven, gewaltfreien Erziehung und einer guten Bindung zu verstehen. Ich bin stolz darauf, dass wir mit Elternprogrammen allein 2019 mehr als 2,3 Millionen Mütter, Väter und Betreuer in 79 Ländern erreicht haben. Durch ein Elternhilfeprogramm ist es zum Beispiel auf den Philippinen nachweislich gelungen, das Risiko für Misshandlungen von Kindern um 39 Prozent zu senken.

Fotos: So schützt UNICEF Kinder vor Gewalt

Zwei Mädchen lernen in einem Makanizentrum in Jordanien

Bild 1 von 5 | Yasmeen (l.) und Aisha (beide 7) wachsen unter schwierigen Bedingungen in Jordanien auf. In einem von UNICEF unterstützten "Makani"-Zentrum haben sie einen Ort für sich – und finden Hilfe, wenn sie Sorgen haben.

© UNICEF/UNI281089/Herwig
Ein Mädchen mit ihrer Mutter auf einem Markt in Bolivien

Bild 2 von 5 | In Bolivien arbeiten viele Eltern auf den Märkten, häufig sind die Kinder dabei oder arbeiten mit. Um sie vor Gewalt zu schützen, geht UNICEF mit Aufklärungs- und Hilfsprogrammen direkt auf die belebten Plätze.

© UNICEF/UNI159411/Pirozzi
Auf den Philippinen werden Eltern in der Erziehung ihrer Kinder unterstützt

Bild 3 von 5 | Geschulte Helfer unterstützen und bestärken auf den Philippinen Eltern darin, ihre Kinder frei von Gewalt zu erziehen.

© UNICEF/UNI161653/Ferguson
Mädchen in Niger werden häufig früh verheiratet

Bild 4 von 5 | In Niger lernen Mädchen und junge Frauen, sich in der dortigen Gesellschaft zu behaupten. Viele werden schon als Kinder verheiratet. UNICEF sensibilisiert sie für die Gefahren von Kinderehen und fördert den Zugang zu Bildung für Mädchen.

© UNICEF/UNI324105/Haro
Jugendliche in einem Schutzhaus in Kambodscha

Bild 5 von 5 | Jugendliche in einem Schutzhaus in Kambodscha. Viele Kinder leben dort getrennt von ihren Eltern, manche landen auf der Straße. Gründe dafür sind extreme Armut oder auch, dass die Kinder zu Hause Gewalt ausgesetzt sind.

© UNICEF/UNI279239/Berger

Man sagt: "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen." Warum ist die Gemeinschaft so wichtig?

Chowdhury: Die meisten Kinder wachsen auf, ohne je mit der Polizei, mit Sozialarbeitern oder Kinderschützern in Kontakt zu kommen. In der Regel leisten Familienmitglieder, Nachbarn, Lehrer oder andere Mitglieder der Gemeinschaft Kinderschutz. Zum Beispiel in Sierra Leone: Nach dem Ende des Krieges waren dort viele Mädchen sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Deshalb vereinbarten die Anführer der Gemeinschaften Gesetze, die sexuelle Übergriffe unter Strafe stellten. Traditionelle Prozesse können also potenziell eine große Macht haben. Von Gemeinschaften geführte Ansätze sind aber weder eine Wunderwaffe noch ein Ersatz für gut funktionierende Kinderschutzsysteme. Erfolgreicher Kinderschutz erfordert eine angemessene Mischung aus staatlich gelenkten und basisorientierten Ansätzen.

Sie selbst haben viele Länder bereist und Projekte begleitet, die sich mit Gewalt gegen Kinder befassen. Was haben Sie gelernt?

Chowdhury: Einmal habe ich ein beeinträchtigtes Kind getroffen, das von seinen Eltern an die Wand gebunden worden war. Nicht weil sie böse waren, sondern weil sie das Kind nicht mitnehmen konnten, während sie auf dem Feld arbeiteten. Das hat mir das Herz gebrochen. Es sind aber auch diese Begegnungen, die mich durchhalten und meine Arbeit tun lassen. Weil ich weiß, dass wir als Kinderhilfswerk daran arbeiten, Menschen in solchen Situationen zu unterstützen. Im Kinderschutz haben wir es mit besonders verwundbaren, mit ausgegrenzten und oft übersehenen Kindern zu tun. Jedes Kind verdient es, ein Leben ohne Angst führen zu können, jede verfügbare Unterstützung zu erhalten und von einer liebevollen Familie betreut zu werden. Das entsetzliche Leid dieser Kinder kann verhindert werden. Es ist unsere kollektive Verpflichtung, dies zu tun.

Info

Beratungsstellen für Kinder und Erwachsene

Gibt es Anzeichen dafür, dass ein Mädchen oder Junge Gewalt erfährt, sollte gehandelt werden. Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene stehen erfahrene und kostenlose Anlaufstellen und Beratungsangebote zur Verfügung.

» Kontaktinfos von Beratungsstellen zum Schutz von Kindern vor Gewalt

Autor*in Rebecca Struck

Rebecca Struck ist Kampagnenkoordinatorin beim Deutschen Komitee für UNICEF.