Menschen für UNICEF

Nach Akre in der Provinz Dohuk


von Eva Padberg

Im Irak suchen hunderttausende Kinder Zuflucht vor Terror und Gewalt. Im Flüchtlingscamp Camp Debaga und an weiteren Stationen ihrer Irak-Reise hat UNICEF-Botschafterin Eva Padberg viele Kinder kennengelernt und ihre Geschichten gehört.

Wir fahren nach Akre in der Provinz Dohuk. Auf dem Weg passieren wir sechs Sicherheits-Checkpoints. Akre liegt zwei Stunden nord-westlich von Erbil. Dort ist eine ehemalige Militärbasis vor 2,5 Jahren in ein Heim für syrische Flüchtlingsfamilien umgebaut worden.

Irakreise: Besuch in einem Flüchtlingsheim in Akre
© UNICEF/DT2016-49964/Claudia Berger

„256 Großfamilien mit insgesamt 1.650 Personen leben hier“, berichtet Hemen Hakmat, der Camp-Manager. „Die Leute können hier arbeiten, die meisten sind gut ausgebildet. Viele arbeiten im nahegelegenen Einkaufszentrum oder für Nichtregierungsorganisationen. Sie fühlen sich als Teil der Gemeinde, nicht als Fremde. Und sie können inzwischen kurdische Universitäten besuchen.

Die Flüchtlinge erhalten aber nach wie vor Hilfe, z.B. durch Einkaufsgutscheine (cash vouchers), individuell abhängig von ihrer persönlichen Situation. Einige brauchen psychosoziale Hilfe. Wenn du zu Hause etwas gesehen hast, wovor du fliehen musstest, dann vergisst du diese Erlebnisse niemals“, so Hakmat.

Schule mit Hindernissen

Für die Kinder der syrischen Familien wurde mit Hilfe von UNICEF eine Schule aus Containern neben der Wohnanlage errichtet. Hier unterrichten nicht nur irakische Lehrer, sondern auch syrische. Manche von ihnen leben auch im Flüchtlingsheim direkt nebenan.

Der Direktor der Schule erzählt mir, dass die Lehrer seit einem Jahr kein Gehalt mehr bekommen haben. Sie erhalten zwar eine kleine Unterstützung, aber nicht annähernd genug, um davon leben zu können. Momentan ist das eines der größten Probleme, mit der die Schule zu kämpfen hat.
Viele der Lehrer arbeiten trotzdem weiter, zum einen, weil sie sich ihren Kindern gegenüber verpflichtet fühlen, und auch, um eine Aufgabe zu haben. Trotzdem wird es für die Lehrer immer schwerer, so weiterzumachen.

Murad – der Junge mit der Digitalkamera

Irakreise: Murad auf dem Heimweg nach der Schule
© UNICEF/DT2016-49965/Claudia Berger

Im Schulhof treffen wir Murad. Er ist neun Jahre alt und lebt mit seinem Zwillingsbruder, seiner kleinen Schwester und seinen Eltern im Flüchtlingsheim von Akre.

Er ist ein sehr fröhlicher und offener kleiner Kerl, um seinen Hals hängt eine kleine Digitalkamera, die immer wieder zum Einsatz kommt, wenn Murad etwas Interessantes sieht. Die Kamera hat er vor einem halben Jahr von UNICEF bekommen, und er ist damit einer der jüngsten Fotoreporter, der mir je begegnet ist.

Neben ihm haben noch fünf andere Kinder in unterschiedlichen Lagern und Heimen eine Kamera erhalten. Damit halten sie ihren Alltag im Camp, der Schule und zu Hause fest. Irgendwann plant UNICEF auch eine Ausstellung mit den besten Fotos der Kinder.

Irakreise: Murad zeigt UNICEF-Botschafterin Eva Padberg seine Bilder
© UNICEF/DT2016-49967/Claudia Berger

Wir dürfen Murad nach Hause in seine Wohnung im Flüchtlingsheim begleiten. Auf ca. 30 qm lebt die kleine Familie in zwei notdürftig eingerichteten Räumen. Im ersten Raum ist eine kleine Kochecke und ein Kühlschrank, im zweiten liegen Matratzen als Sitzgelegenheit auf dem Boden.

Während Murad mir seine Fotos zeigt, serviert sein Vater uns ein Glas süßen Chai. Die Familie scheint sich wirklich über unseren Besuch zu freuen, und auch ein paar Frauen aus den benachbarten Wohnungen sind mit ihren Kindern vorbei gekommen. Die Stimmung ist wie an einem Nachmittag zu Besuch bei Freunden.

Glückliche Momente festhalten

Murad ist, auch dank seiner Kamera, inzwischen eine kleine Berühmtheit im Heim geworden. Auf seinen Fotos hält er glückliche Momente mit seiner Familie und seinen Freunden fest. Er fotografiert die bunten Bilder, die die Wände des Heimes schmücken, seinen Vater bei der Arbeit oder ein Schulfest, bei dem auch ein Clown aufgetreten ist. So bekomme ich einen ganz anderen und sehr privaten Einblick in das Leben eines syrischen Flüchtlingskindes.

Irakreise: Ein Flüchtlignsheim in Akre ist bunt bemalt
© UNICEF/DT2016-49968/Claudia Berger

Sehr oft ist sein Zwillingsbruder Dlear auf Murads Fotos zu sehen. Dlear trägt eine Brille und hat eine Sehbehinderung. Wenn Murad groß ist, will er einmal Augenarzt werden, um Menschen zu helfen. Falls das nicht klappt, dann auch gern Fotograf. Das Talent dazu hat er und jetzt dank UNICEF auch die Möglichkeit, dieses Talent auszuleben.

Familiengeschichten

Eine Nachbarin erzählt mir von ihrer Familie. Sie spricht perfekt Englisch und fragt, ob wir aus Deutschland kommen. Ihr Mann ist seit einiger Zeit in München, er ist vor ca. 1,5 Jahren nach Deutschland aufgebrochen und wartet nun darauf, dass er seine Frau und seine zwei Kinder nachholen kann.

Die Familie ist vor drei Jahren aus ihrer Heimatstadt Damaskus in den Irak geflohen, mit nicht mehr als einem Rucksack mit Sachen für die Kinder und dem, was sie am Leib trugen. Der kleine Sohn war damals sechs Monate und der ältere drei Jahre alt. Er erinnert sich noch an das Zuhause, das die Familie einst hatte.

Die Frau ist Lehrerin und hat zu Beginn noch in der Schule des Heimes gearbeitet. Als ihr Mann dann nach Deutschland aufbrach, war das nicht mehr möglich, da sie sich ab da allein um die Kinder kümmern musste.

Irakreise: Das Flüchtlingsheim ist an vielen Stellen bunt bemalt
© UNICEF/DT2016-49963/Claudia Berger

Im Moment verdient sie sich ein wenig Geld dazu, indem sie für das Heim gemeinsam mit einigen Kindern Gestaltungskonzepte für die Wände entwirft und diese bemalt. Sie hat mit ihren Bildern aus dem einst schaurigen Ort, der auch eine Zeit lang von Saddams Truppen als Gefängnis genutzt wurde, eine Atmosphäre geschaffen, die fröhlich und hell ist.

Neue Normalität?

Hier in Akre treffe ich ganz normale Familien, mit ganz normalen Wünschen und Träumen für die Zukunft und für ihre Kinder. Für viele von ihnen ist das Leben im Exil nach drei Jahren oder mehr zur Normalität geworden. Im Flüchtlingsheim von Akre werden Hochzeiten geschlossen und Kinder geboren.
Niemand hier weiß, ob er je wieder nach Hause zurückkehren kann…ein Zuhause, das es so nicht mehr gibt. Menschen, die alles verloren haben, kämpfen weiter, für ihre Kinder und deren Zukunft. Ein Kampf, der sich wirklich lohnt.

Weiter ins Mamilian Camp

Irakreise: Ein Blick auf das Mamilian Camp
© UNICEF/DT2016-50324/Berger

Wir fahren weiter ins Mamilian Camp. Im Hintergrund sehen wir eine Bergkette. „Dahinter liegt Mossul“, sagt uns Chris Nile, Communication Officer bei UNICEF. Das Camp wurde im Juni 2014 errichtet. Derzeit leben hier 1.613 Familien, insgesamt 8.166 Menschen in 3.000 Zelten. Im Moment kommt erst alle drei Tage eine neue Familie an. Aber auf einen neuen Flüchtlingsansturm ist das Camp vorbereitet. 944 Zelte sind derzeit frei.

Irakreise: Zwei Kinder im Mamilian Camp
© UNICEF/DT2016-50325/Berger


Die Flüchtlinge aus Mossul werden aber zunächst nach Debaga gebracht, um sie zu registrieren, danach erfolgt die Verteilung. Im Moment leben erst neun Familien aus Mossul im Camp, die über Hassaka geflohen sind.
„Hier sind viele verschiedene Religionen vertreten. Aber alle verstehen sich. Es gibt keine Konflikte“, berichtet der Camp-Manager sichtlich stolz.

Im vierten und letzten Teil des Reiseberichtes kehrt Eva Padberg zurück nach Erbil. Dort besucht sie eine kinderfreundliche Schule, in der die Kinder endlich wieder ein Stück normale Kindheit erleben können.

Reisetagebuch Eva Padberg

» Teil 1: Von Erbil ins Lager Debaga
» Teil 2: Abdullahs Geschichte
» Teil 3: Nach Akre in der Provinz Dohuk
» Teil 4: Kinderfreundliche Schule in Erbil

» Zur Übersichtsseite des Reisetagebuchs aus dem Irak

UNICEF-Botschafterin Eva Padberg
Autor*in Eva Padberg

Das international erfolgreiche Topmodel Eva Padberg engagiert sich seit 2006 für UNICEF und wurde im Oktober 2012 zur UNICEF-Botschafterin ernannt. Eva Padberg setzt sich vor allem für Bildungs- und Wasserprojekte ein und motiviert Mädchen und Jungen in Deutschland, selbst für Kinderrechte aktiv zu werden.