Kinderfreundliche Orte im Libanon: Viel mehr als nur ein Platz zum Spielen
„Meet what you need“ – mit diesem Satz wird unsere kleine Gruppe aus Spendern und UNICEF-Mitarbeitern von Layla Khayyat im "Kinderfreundlichen Ort" in Saadnayel begrüßt, einer Siedlung für syrische Flüchtlinge im Libanon.
Layla arbeitet hier als Kinderschutz-Koordinatorin bei der UNICEF-Partnerorganisation Beyond. Der sogenannte "Kinderfreundliche Ort" (Child Friendly Space) liegt circa eine Autostunde östlich von Beirut in der Beeka Ebene und ist eine zentrale Anlaufstelle für rund 750 Kinder aus den vielen kleinen Zeltunterkünften rundherum.
Aufgrund seiner Größe mit zwölf Zelten und einer Theaterbühne ist der "Kinderfreundliche Ort" in Saadnayel ein besonderes Beispiel unter den einfachen Kinderzentren, die UNICEF weltweit in Krisensituationen einrichtet und die oft nur aus einem einzigen Zelt oder Raum bestehen.
Bild 1 von 4 | Im Kinderzentrum gibt es auch psychosoziale Betreuung. Hier geht es darum zu lernen, was sich richtig anfühlt und was nicht – gegenüber sich selbst und im Umgang miteinander.
© UNICEF/UNI269238/HaidarBild 2 von 4 | Neben den Spiel- und Lernangeboten für Kinder gibt es auch einen Ort für Mütter mit ihren Neugeborenen.
© UNICEF/UNI269195/HaidarBild 3 von 4 | Die 13-jährige Rahaf ist blind. Sie stammt aus Homs/Syrien und möchte Lehrerin werden – hier übt sie die Blindenschrift.
© UNICEF/UNI270798/HaidarBild 4 von 4 | Auf den freien Flächen vor den Spiel und Lernzelte wird getobt, Sport oder ein Gruppenspiel gemacht.
© UNICEF 2016/ R. HaidarChild Friendly Space: Was ist das eigentlich und warum gibt es das?
Informelle Einrichtungen wie dieses Kinderzentrum hier in Saadnayel gibt es solange wie es braucht, den Regierungsbeschluss aus dem letzten Sommer umzusetzen, laut dem syrische Kinder in das staatliche Bildungssystem integriert werden sollen. Dass das funktioniert und in vollem Gange ist, erlebe ich in zwei staatlichen Schulen im Gespräch mit Kindern, Lehrern, freiwilligen Helfern, Schulleitern. Doch es ist ein großes Ziel, wirklich alle Flüchtlingskinder in das normale Schulsystem zu integrieren. Bis das erreicht ist, gibt es unter anderem Bildungsangebote in Kinderzentren, damit die Kinder den Schulanschluss nicht verlieren und es einen Ort zum Spielen und Lernen für sie gibt.
An den Drahtzäunen hängen Plakate wie dieses: „Mein Recht zu Spielen“.
© UNICEF 2016/ V. Lamberti„Meet what you need“ – das ist die Einladung an alle Kinder, Jugendlichen und auch Mütter an den Angeboten teilzunehmen und ein Stück Normalität in ihren grunderschütternden Leben zurückzugewinnen. Dazu gehört neben den Spiel- und Lernangeboten für Kinder auch ein Ort für die Mütter mit ihren Neugeborenen.
Hier wird gespielt, gelacht, geübt, gelernt, aufmerksam zugehört und auch einfach mal Blödsinn gemacht – was für Kinder so normal sein sollte und die Kinder, denen ich hier begegne durch ihre Fluchtsituation in ihrem aktuellen Lebensumständen kaum haben. Viele von ihnen arbeiten am Tag ein paar Stunden in der Landwirtschaft, um zum Beispiel bei der Ernte zu helfen und ihren Familien zu unterstützen. An diesem Ort dürfen sie sein wie sie sind – ich treffe tobende, fröhliche Kinder mit strahlenden Augen, wenn sie mir stolz ihre gemalten Bilder präsentieren wie Trophäen.
Bild 1 von 5 | In der sogenanngten "Skills Zone / Handwerken und Malen" drückt sich alles in Zeichnungen, Bildern, Farben und Formen aus. Ein großer Spaß für diese Mädchen, und eine willkommene Abwechslung zur nachmittäglichen Arbeit auf dem Kartoffelfeld.
© UNICEF 2016/Ramzi HaidarBild 2 von 5 | Das Gelände in Saadnayel ist relativ groß mit ca. 10 – 12 Zelten und einer Theaterbühne. Vor den Zelten findet die Sportangebote statt.
© Tina SrowigBild 3 von 5 | Trotz der Begeisterung für die „Zahnmalblätter“ schweift Alia sichtbar während des Unterrichts in ihre eigene Gedankenwelt ab und schaut traurig ins Leere.
© UNICEF 2016/V. LambertiBild 4 von 5 | Alia ist 4 Jahre alt, sie ist eine der sogenannten “Neuankömmlinge” und besucht Saadnayel erst seit ca. 4 Monaten. Hier ist sie hochkonzentriert dabei die Malvorlagen vor ihr auszumalen.
© UNICEF 2016/V. LambertiBild 5 von 5 | Warten auf die „Hände-waschen ist wichtig“ Beratung – diese Jungs warten darauf, das ihnen im Rollenspiel Hygieneregeln erklärt werden.
© UNICEF 2016/V. LambertiIch erlebe aber auch sehr zurückhaltende, scheue Kinder, denen anzumerken ist, dass sie diesen Ort hier noch nicht lange besuchen. Und mir entgeht nicht, dass einige von ihnen manchmal gedankenverloren und abwesend vor sich hin schauen, nachdenklich und traurig sind.
Es ist deutlich spürbar, wie leicht verwundbar viele von ihnen sind und wie wenig Ahnung ich davon habe, was ihre Augen auf der Flucht gesehen haben.
Doch in Saadnayel gibt es ein Gefühl, das über allem schwebt – Sicherheit. Es ist ein Ort, der den Kindern eine gute Atmosphäre ermöglicht, der Stabilität aufbaut, einen regelmäßigen Ablauf zumindest für einen Teil ihres Tages gewährleistet - und an dem sie einfach Kind sein dürfen, mit allen Stärken, Schwächen, Gefühlen, Ausdrucksformen, die jedes einzelne mitbringt.
Übertragbar auf jede Fläche – unabhängig vom Platz
Layla erklärt mir, dass der Grundgedanke der „Kinderfreundlichen Orte“ auf jeden Einsatzort übertragbar ist: „Wir müssen flexibel sein, egal wie groß oder klein die Fläche ist, die wir nutzen können, die Idee und der Inhalt sind auf jede Fläche adaptierbar.“ Ich kann mir das kaum vorstellen – und erlebe zwei Tage später in Semmaqli nahe der syrischen Grenze, was sie meint.
Anders als in Saadnayel besteht das Child Friendly Space in Semmaqli nur aus zwei Zelten.
© UNICEF 2016/ V. LambertiStatt zehn Zelten stehen hier zwei – sie sind im Innenraum geteilt, so dass mehr Unterrichtsfläche entsteht. Dieses Child Friendly Space hat UNICEF gemeinsam mit Beyond erst vor fünf Monaten errichtet, es befindet sich noch ganz am Anfang. Und doch wird mir schnell klar, was Layla mir sagen wollte: Es ist nicht nur ausschlagebend, wie viel räumlicher Platz zur Verfügung steht. Es geht vor allem um den Inhalt und um die Menschen, von denen er vermittelt wird.
Die Kinder beobachten mich anfangs deutlich zurückhaltender und vorsichtiger, doch es braucht nicht lange, bis das Eis gebrochen ist. Verglichen mit Saadnayel ist hier deutlich spürbar, dass eine größere Unsicherheit bei den Kindern herrscht – noch.
Valeska Lamberti mit Ahmed (helles Shirt) und zwei weiteren Jungs nach dem Rollenspiel.
© UNICEF 2016/V. Lamberti„Meet what you need“ – ein simpler Satz mit enorm viel Durchsetzungskraft. Ich bin zutiefst beeindruckt von den zwei Tagen in diesen beiden Child Friendly Spaces. Das Konzept ist eigentlich ganz einfach und doch sehr besonders – eine gute und durchdachte Atmosphäre schaffen, zuhören und da sein. Und es hängt an den Menschen, die hier arbeiten und das aus voller Überzeugung tun.
Für diese Kinder, die so dankbar sind für das was sie jetzt haben dürfen und die keine Wahl hatten warum sie hier sind. Für ein kleines Stückchen Kindheit.
Valeska Lamberti ist UNICEF-Mitarbeiterin in der Abteilung Philanthropie in Köln. Sie berät private Großspender hinsichtlich ihres philanthropischen Engagements.