Berufliche Ausbildung für besonders benachteiligte Jugendliche
An meinem zweiten Tag in der Nordprovinz erfahre ich mehr über die beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten in den beiden Provinzen Nord und Nordost.
UNICEF hat hier im Zusammenspiel mit beruflichen Ausbildungszentren, lokalen Behörden und Jugendclubs, systematisch Bildungsangebote für Jugendliche und junge Erwachsene aufgebaut und weitet sie nun aus.
Das System funktioniert ähnlich dem dualen System in Deutschland. Allerdings sind in Sri Lanka die Ausbildungszeiten stark verkürzt und das Angebot der Lehrberufe ist recht bescheiden. Es orientiert sich an den Arbeitsmarkterfordernissen der Umgebung, die ebenfalls noch sehr bescheiden sind.
Insgesamt dauert ein Kurs zwölf Monate. In den ersten sechs Monaten werden Theorie und ein wenig Praxis an den Ausbildungszentren gelehrt. Danach versucht das Zentrum, die jungen Menschen in Kleinbetrieben und den wenigen größeren Firmen unterzubringen. Hier bekommen sie für weitere sechs Monate Praxiserfahrung. Die "Vocational Training Centres" bieten dazu drei- bis sechsmonatige Kurzkurse an, um bereits vorhandenes Fachwissen aufzufrischen oder auszubauen.
Besuch beim Mullai TECH Ausbildungszentrum
All dies erfahre ich beim Besuch des Ausbildungszentrums „Mullai TECH“ in Mullaitivu, im Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor Mr. Akilan und einigen Lehrern. Das Zentrum wurde zwei Jahre nach Ende der Kampfhandlungen in Sri Lanka im Jahr 2011 mit Unterstützung von UNICEF wiedereröffnet. Heute unterrichten hier elf Lehrer. Alle sechs Monate werden bis zu 120 Jugendliche angenommen, die verschiedene Ausbildungsgänge belegen können. Zusätzlich bekommen alle Schüler Mathematik- und Englischunterricht, denn ihre schulischen Karrieren sind durch die Bürgerkriegsjahre und die anschließenden Umsiedlungen sehr brüchig und unstet verlaufen.
Ausbildungsgänge im Mullai TECH Ausbildungszentrum
Tayloring, das heißt Nähen und Schneidern (es gibt eine große Bekleidungsfabrik)
Information & Communication Technology, das heißt also Informations- und Kommunikationstechnik
Nutrion – Ernährungswissenschaft
Beauty & Hairstyle – Kosmetikerin & Friseurhandwerk
Electrical Maintenance – Maschineninstandhaltung, inbesondere elektrische Wartung
Aluminium Fitting – Metallverarbeitung
Motor cycle and Three Wheeler repairing and maintenance – KFZ-Mechaniker für Motorräder und Dreiräder
Beim Auswahlverfahren für die Ausbildungsgänge werden in erster Linie Jugendliche gewählt, die als besonders verletzlich („vulnerable“) gelten. Das sind beispielsweise Kriegswaisen, Jugendliche aus Heimen sowie aus sehr armen Familien oder auch ehemalige Kindersoldaten. Die Ausbildungszentren arbeiten hier eng mit den lokalen Behörden, Institutionen und Gruppen zusammen, also dem sozialen Netz, an dessen Aufbau UNICEF maßgeblich beteiligt war und ist.
Dieses Netz dient auch dazu, nach Beendigung der Ausbildung sicherzustellen, dass die jungen Menschen auch tatsächlich in dem Metier arbeiten, für das sie qualifiziert wurden. Mithilfe einer Datenbank wird nachvollzogen, wie die weiteren Werdegänge der Auszubildenden verlaufen. Die Datenbank soll mit der Unterstützung von UNICEF systematisiert und erweitert werden.
Weite Wege, um lernen zu können
Ich kann kurz in eine Schulstunde hineinschnuppern: In der Klasse "Informations- und Kommunikationstechnologie" werden zur Zeit 14 Mädchen und vier Jungen qualifiziert. Ich frage sie, was sie mit ihrem Zertifikat nach Beendigung der Ausbildung anfangen wollen. Fast alle wollen in der Verwaltung arbeiten – "to get a job with the government" ist die Standardantwort der Mädchen. Zwei wollen ins Ausland gehen, der bevorzugte Arbeitsmarkt aus hiesiger Sicht ist der Mittlere Osten – Dubai, Oman, Qatar, etc. Immerhin zwei der Jungen wollen sich selbstständig machen. Eigene Computer zu Hause besitzen übrigens nur zwei von ihnen, die Schulcomputer sind mit der finanziellen Unterstützung von UNICEF beschafft worden.
Beeindruckt bin ich vor allem von zwei Dingen: zum einen von den Wegen, die diese Schüler auf sich nehmen, um zum Zentrum zu kommen. Zwischen 15 und 25 km mit dem Bus, das kann bei den hiesigen Bedingungen zwischen anderthalb und gut zwei Stunden pro Strecke dauern. Zum anderen bin ich von der Zielstrebigkeit angetan: ausnahmslos alle wollen nicht nur das Zertifikat nach einem Jahr erwerben, sondern anschließend zum College oder zur Universität gehen.
Gelungener Start in die Selbstständigkeit dank guter Ausbildung
Zwei der Jugendlichen, die von einem Training an der Mullai TECH profitiert haben, besuchen wir am Nachmittag. Zunächst treffen wir Vinsandipol Prakash, 24 Jahre alt. Er ist der Inhaber eines kleinen Aluminiumbetriebs. Was das ist, muss er mir erst einmal genauer erklären. Er bearbeitet Metall, vor allem Rahmenkonstruktionen, klassisch in Form von Bilderrahmen oder für Deckenverzierungen und Zwischenabtrennungen.
Prakash hat den Kurs in Metallverarbeitung im Jahr 2012 gemacht. Schon während des praktischen Ausbildungsteils hat er jeden Monat 15.000 Sri Lankische Rupien verdient. Davon hat er 60.000 Rupien gespart, um nach dem Ende der Lehre ein Grundstück in seinem Heimatort zu mieten, auf dem er seine kleine Werkstatt gebaut hat. Material kaufte er dem Chef seines Ausbildungsbetriebs ab und eröffnete seinen eigenen Betrieb im August 2013.
Stolz berichtet er, dass er im Monat durchschnittlich 20.000 bis 25.000 Rupien verdient. Den Kredit, von dem er die Werkstatt gebaut hat, hat er bereits zurückbezahlt und sich zudem ein Motorrad gekauft. Nun sucht er nach einer größeren Werkstatt in der Umgebung, denn die Geschäfte laufen so gut, dass er seinen Betrieb erweitern möchte.
Eine Chance für Selvan, den ehemaligen Kindersoldaten
Der zweite Absolvent eines Kurses ist Selvan, ein ehemaliger Kindersoldat. Wir treffen ihn auf einer Baustelle, auf der er zur Zeit arbeitet. Selvan (Name geändert) wurde 1992 geboren. Im Alter von 17 Jahren wurde er in den letzten Kriegsmonaten von den Tamilischen Rebellen, den Tamil Tigers, als Kindersoldat rekrutiert. Erst ganz zum Kriegsende wurde er nach Verhandlungen durch UNICEF-Vertreter aus dem Dienst befreit und in ein Zentrum für befreite Kindersoldaten gebracht.
Zusammen mit anderen Jugendlichen wurde er für ein Jahr nach Colombo in ein Rehabilationszentrum gebracht. Dort konnte er den O-Level-Abschluss machen, der in etwa der mittleren Reife in Deutschland entspricht. Er kehrte – ebenso wir seine Familie – in sein Heimatdorf zurück und wusste zwei Jahre lang nicht so recht, was er machen sollte, erzählt er mir. Dann sah er ein Poster der Mullai Tech Schule mit den Ausbildungsangeboten und bewarb sich für einen Kurs als Elektriker. Er schaffte sowohl die theoretische als auch die praktische Ausbildung.
Seitdem hat er auf diversen Baustellen und bei verschiedenen Betrieben gearbeitet. Eine feste Anstellung hat er noch nicht, aber immer gut zu tun. Jetzt könne er seiner Familie zu einer täglichen Mahlzeit verhelfen, dies sei früher keine Selbstverständlichkeit gewesen, sagt er mit zufriedenem Lächeln. Und er könne die Ausbildung seiner Schwester unterstützen.
Dank UNICEF und des Vocational Training Centres hat er heute die Chance auf ein „normales“ Leben mit eigenem Einkommen.
Lesen Sie alle Blogbeiträge unserer Kollegin Beate Jung aus Sri Lanka.