Fotoreportagen

Rama (8) holt Schritt für Schritt ihre Kindheit zurück

Eine Bombe nahm Rama (8) die Fähigkeit zu laufen, aber nichts kann das syrische Mädchen aufhalten. Das war nicht immer so. Ramas Schicksal ist eine Geschichte von Liebe, Mut und Hoffnung – inmitten eines Krieges, der unendliches Leid über Millionen von Kindern gebracht hat und weiter bringt.


von Basma Ourfali

Als der Krieg in Syrien begann, war Rama noch ein Baby. Als Kleinkind musste sie mit ihrer Familie aus ihrem Haus im Osten von Aleppo fliehen, weil die Kämpfe immer schlimmer wurden. Die Familie floh von einem Ort zum nächsten, doch die Kämpfe holten sie immer ein. Zuletzt diente ihnen und vielen anderen Familien eine Moschee als Notunterkunft. Dort geschah es.

Rama schreibt einen Brief
© UNICEF/Syria 2018/ Khudr Al-Issa

Die Bombe

Rama war fünf, als die Moschee, in der sie Zuflucht gefunden hatte, von einer Bombe getroffen wurde. Ramas Wirbelsäule wurde schwer verletzt. Das kleine Mädchen konnte nicht mehr laufen. Auch ihre Psyche litt unter den Folgen: „Ich hatte die ganze Zeit riesige Angst”, sagt die heute achtjährige Rama. „Jedes Mal, wenn ich ein lautes Geräusch gehört habe, dachte ich, es ist wieder eine Bombe.”

Rama verbrachte ihre Tage auf einer dünnen Matratze im Dunkeln, isoliert von ihren drei Geschwistern und ihren Freunden. Ramas Mutter Kafa erzählt: „Sie hat sich geweigert zu sprechen, sogar mit ihrem Vater oder mir. Sie wollte allein sein. Sie konnte es nicht ertragen, wenn jemand ihr Fragen gestellt hat oder ihr sein Mitgefühl zeigen wollte.”

Doch die Mutter ließ nicht zu, dass ihre Tochter ihren Lebenswillen aufgibt. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Rama dabei zu helfen, ihr Selbstvertrauen zurückzugewinnen und wieder Kind zu sein.

„Meine Mutter hat immer meine Füße auf den Boden gestellt und mich beim Hüpfekästchen spielen die ganze Zeit getragen, damit ich mit den anderen Kindern auf dem Hof der Moschee spielen konnte”, sagt Rama mit einem liebevollen Blick auf ihre Mutter. „Jedes Mal, wenn sie das machte, konnte ich nichts weiter tun als ihr zu sagen, dass ich sie lieb habe. Sie macht mich glücklich und macht mir Hoffnung, dass ich bald wieder laufen kann.”

Die Rückkehr

Als vergangenes Jahr die Kämpfe in Aleppo nachließen, kehrten Rama und ihre Familie in ihr Wohnhaus im schwer verwüsteten Ost-Aleppo zurück. Obwohl ihr Haus beschädigt war, waren Rama und ihre Geschwister überglücklich. „Meine Kinder haben gerufen: ‘Mama, wir haben unsere eigene Küche und unser eigenes Badezimmer, wir müssen den Schlafraum nicht mit vielen Menschen teilen!’”, sagt Kafa, mit einer Mischung aus Zufriedenheit und Traurigkeit in den Augen.

Rama war besonders glücklich, wieder zu Hause zu sein. „Ich habe so viele Erinnerungen an dieses Haus. Obwohl ich noch sehr klein war, als wir es verlassen haben, erinnere ich mich daran, wie wir hier gespielt haben und herumgerannt sind.”

Aleppo: Rama sitzt im Rollstuhl, seitdem eine Bombe ihr die Fähigkeit zu Laufen nahm
© UNICEF/Syria 2018/ Khudr Al-Issa

Der erste Schritt

Schon kurz nach ihrer Verwundung hatte Rama mit Physiotherapie angefangen, aber schon bald konnte sich die Familie die Therapie und Medikamente nicht mehr leisten. Der Vater, der als Maler und Anstreicher arbeitet, hat kein regelmäßiges Einkommen. Letztes Jahr hat Ramas Familie als eine von über 6.000 Familien mit Kindern mit Behinderungen eine monatliche finanzielle Unterstützung von UNICEF erhalten, um für Medikamente und Physiotherapie zu bezahlen.

Doch seit Beginn des Jahres musste UNICEF die Unterstützung wegen fehlender Spenden kürzen, und auch Ramas Familie ist betroffen. Seitdem kann sich die Familie die teure Behandlung nur noch unregelmäßig leisten.

Durch die Physiotherapie hat Rama große Fortschritte gemacht. Sie kann jetzt aufrecht sitzen und kurze Strecken an einer Gehhilfe gehen. Die restliche Zeit ist sie auf den Rollstuhl angewiesen.

Syrien-Krieg: Mädchen Rama bewegt sich mithilfe einer Gehhilfe durch das zerstörte Aleppo
© UNICEF/Syria 2018/ Khudr Al-Issa

„Es dauert zu lange, wenn ich an der Gehhilfe gehe, und manchmal tun meine Arme davon weh“, sagt Rama. Jeder Schritt, jede Bewegung, jede noch so kleine Verbesserung ihres Zustands wird von ihrer Familie mit begeisterten und ermutigenden Worten begleitet.

„Als ich meinen allerersten Schritt gemacht habe, hatte ich Angst, dass ich hinfallen würde. Aber jetzt habe ich keine Angst mehr“, sagt Rama stolz.

Der Traum

Trotz allem, was sie durchgemacht hat, möchte Rama zur Schule gehen und später einmal Kinderärztin werden. Sie geht in die zweite Klasse, aber hin und wieder versäumt sie Unterricht, damit sie zur Physiotherapie gehen kann.

„Es macht mich traurig, dass meine Mutter mich jeden Tag die Treppen runtertragen muss, wenn ich zur Schule oder zur Therapie gehe, und später wieder rauf – wir wohnen im fünften Stock! Das ist sehr anstrengend für sie. Aber wenn es mir besser geht, werde ich alles tun, um meine Mutter glücklich zu machen.“

Rama träumt davon, dass sie wieder laufen kann. „Eines Tages werde ich mit meiner Familie in den Park gehen, dann werde ich mit allen Kindern um die Wette rennen und gewinnen!“

Der Brief

Wir haben Rama gefragt, was sie Kindern in Deutschland sagen möchte, wenn sie ihre Geschichte hören oder lesen. Was sie bewegt, hat Rama in ihren eigenen Worten aufgeschrieben:

Ost Aleppo: Rama schreibt auf dem Boden einen Brief
© UNICEF/Syria 2018/ Khudr Al-Issa

„Ich heiße Rama, ich bin acht Jahre alt und wohne in Aleppo. Wegen des Krieges musste ich mit meiner Familie fünf Mal fliehen. Wir sind in Vororte gegangen, in eine Schule, die als Notunterkunft genutzt wurde, und zuletzt in eine Moschee als Notunterkunft.

Ich habe mit meinen Freunden in der Moschee gespielt, als mich eine Bombe verletzt hat, mein Rücken wurde verwundet. Ich konnte nicht mehr laufen. Ich war traurig, weil ich nicht zur Schule gehen konnte wie meine Freunde. Ich hatte immer Angst, wenn ich ein lautes Geräusch gehört habe.

Nach sechs Jahren Flucht sind wir nach Hause zurückgegangen. Ich war sehr froh, weil unsere Wohnung der Ort war, an dem ich meine ersten Schritte gemacht hatte. Es ist ein Ort voller Liebe und Wärme.

Meine Familie hilft mir dabei, zur Schule zu gehen. Ich stehe um sieben Uhr auf, trinke ein Glas Milch und gehe dann mit meinen Schwestern Safaa, Sana und meinem Bruder Ahmed aus dem Haus. Meine Mutter trägt mich die Treppen rauf und runter.

Ich gehe gerne zur Schule, um zu lernen und meine Freundinnen Leen und Khadijah zu treffen. Wir haben Spaß zusammen. Am liebsten mag ich Mathe, weil es die Welt der Zahlen und einfach zu lernen ist.

Nach der Schule mache ich Übungen für meine Beine und dann die Hausaufgaben.

Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder gehen und meiner Mutter helfen kann.

Lernen finde ich toll, und ich möchte gerne Kinderärztin werden, wenn ich groß bin. Ich mag Kinder gerne und ich möchte nicht, dass irgendein Kind auf der Welt traurig ist.“

Rama hat recht: Kein Kind auf der Welt sollte traurig sein oder leiden müssen. Wir tun unser Möglichstes, um Kindern wie dem starken Mädchen Rama und ihrer Familie zu helfen. Wenn Sie unsere Arbeit für syrische Kinder mit einer Spende unterstützen möchten, können Sie das gerne zum Beispiel hier tun.

Syrien Jahrestag: UNICEF-Mitarbeiterin Basma Ourfali in Aleppo
Autor*in Basma Ourfali

Basma Ourfali ist in Aleppo aufgewachsen und gab als Englischlehrerin Kurse. Seit 2015 ist sie UNICEF-Mitarbeiterin und hilft den Kindern in Aleppo.