Pressemitteilung

Roma-Kinder im Kosovo: Abgeschoben und ausgegrenzt

Köln

UNICEF besorgt über die Situation der Roma-Kinder im Kosovo

Abschiebung von Kindern in Deutschland aussetzen / Menschenrechtsexpertin Barbara Lochbihler besucht UNICEF-Projekte

Anlässlich des morgigen zweiten Jahrestages der Unabhängigkeit des Kosovo macht UNICEF auf die extrem schwierige Lebenssituation und mangelnde Integration von Roma-Kindern in dem noch immer vom Bürgerkrieg gezeichneten Land aufmerksam. Im Kosovo leben etwa 60 Prozent der Roma-Kinder unterhalb der Armutsgrenze. Eine ausreichende Gesundheitsversorgung existiert für sie nicht. Roma-Familien, die aus Deutschland abgeschoben wurden, leben oft außerhalb der Gemeinden, in Holzbaracken, ohne Heizung und in verwahrlosten Verhältnissen.

Die Europaabgeordnete Barbara Lochbihler (Grüne), die auch Mitglied des Deutschen Komitees für UNICEF ist, hat in den vergangenen Tagen den Kosovo besucht: „Abschiebungen in den Kosovo bedeutet für viele Roma aus Deutschland Abschiebung in die Fremde und ins Elend“, so die Menschenrechtsexpertin. „Vor allem Kindern wird hier die Zukunft verbaut. Sie leiden enorm unter den katastrophalen Bedingungen in den Flüchtlingslagern und Roma-Siedlungen.
Als ‚Zigeuner’ werden sie sowohl von der albanischen als auch von der serbischen Bevölkerung geschnitten. Entsprechend schwierig ist ihr Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen.“

Vor diesem Hintergrund appelliert UNICEF an die Bundesregierung und die Bundesländer, Abschiebungen von Roma-Kindern und ihren Familien in den Kosovo bis auf weiteres auszusetzen. Kinder aus Roma-Familien haben im Kosovo derzeit schlechte Bildungschancen, keine ausreichende medizinische Versorgung und es gibt für sie kaum gezielte Integrationsangebote. Von Deutschland unterstützte spezielle Betreuungsangebote sollen ausgedehnt und auf die speziellen Bedürfnisse von Kindern zugeschnitten werden. Vor etwaigen Abschiebungen müssen die Lebensperspektiven für die betroffenen Kinder in jedem Einzelfall geprüft werden. „Das Wohl der Kinder muss bei allen Maßnahmen im Vordergrund stehen“, so der Leiter des UNICEF-Büros im Kosovo, Johannes Wedenig. „Derzeit kann das im Kosovo nicht vollständig garantiert werden.“

Die Bundesregierung hat mit den kosovarischen Behörden ein bilaterales Abkommen verhandelt, dem zu Folge in den kommenden Jahren bis zu 2.500 Personen aus Roma-Gemeinschaften pro Jahr aus Deutschland abgeschoben werden können, darunter viele Kinder und Jugendliche. Einzelne Bundesländer haben bereits mit Abschiebungen von Roma begonnen.

Die UNICEF-Vertretungen im Kosovo und in Deutschland appellieren gemeinsam an die deutsche Bundesregierung, in das Abkommen die verbindliche Prüfung des Kindeswohls in Übereinstimmung mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen aufzunehmen. Deutschland hat die Konvention allerdings nur mit Vorbehalten ratifiziert. UNICEF fordert von der Bundesregierung die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention auch für Flüchtlingskinder. Eine entsprechende Absichtserklärung im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP zur Rücknahme der Vorbehalte muss aus Sicht von UNICEF endlich umgesetzt werden.

Zur Situation der Roma-Kinder im Kosovo

Knapp zwei Drittel der Kinder in den Roma-Siedlungen im Kosovo leben unter der Armutsgrenze. Oft werden sie bei der Geburt nicht registriert. Dadurch bleibt ihnen der Zugang zu Sozialleistungen und auch zum Schulunterricht oft dauerhaft verwehrt. Es wird geschätzt, dass nur 75 Prozent der Roma-Kinder im Grundschulalter eingeschult sind und nur 25 Prozent der Roma-Kinder eine weiterführende Schule besuchen.

Besonders besorgniserregend ist die Situation von Kindern und Jugendlichen aus Roma-Familien, die in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen sind. Sie sprechen vorwiegend Romani und Deutsch – in den Schulen des Kosovo wird aber nicht auf Romani unterrichtet. Die schulische Integration von abgeschobenen Roma-Kindern würde daher spezielle Förderungsmaßnahmen erfordern, die zwar vorgesehen sind, aber nicht angeboten werden. Die Chancen auf eine gute Ausbildung sind für Kinder aus Roma-Familien also gering, und damit auch die Möglichkeiten, sich in die kosovarische Gesellschaft zu integrieren. Die Umsetzung eines von den kosovarischen Behörden erarbeiteten Aktionsplans zur Integration von Roma und anderen Minderheiten scheitert bisher an der Finanzierung und den mangelnden Kapazitäten vor allem auf lokaler Ebene.

Barbara Lochbihler sprach bei ihrem Besuch im Flüchtlingslager Leposavic und in einer Roma-Siedlung in Mitrovica-Süd auch mit Familien, die bereits aus Deutschland abgeschoben wurden. So berichtete eine Mutter in Mitrovica-Süd, ihre Familie sei in einer Nacht- und Nebelaktion abgeschoben, die Kinder aus der schulischen Ausbildung in Deutschland herausgerissen worden. Im Kosovo hätten die beiden nach kurzer Zeit verzweifelt die Schule abgebrochen.

UNICEF im Kosovo unterstützt Kinder aus Roma-Gemeinschaften im Bereich der schulischen Integration sowie der Gesundheitsversorgung und bietet gemeinsam mit lokalen Partnern spezielle Förderungsprogramme für Kinder im Vorschulalter an.

Mit acht bis zehn Millionen Angehörigen sind die Roma die größte Minderheit Europas. Die meisten von ihnen leben im Südosten des Kontinents. Fast die Hälfte der Roma in Südosteuropa sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre. Als vergessene Minderheit zwischen den Fronten von Serben, Albanern, Bosniern und Kroaten sind Millionen Roma in den 1990er Jahren vor den Bürgerkriegen des Balkans geflohen. Im Kosovo sollen vor Beginn der Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern Mitte der 1990er Jahre noch bis zu 200.000 Roma gelebt haben. Heute wird ihre Zahl auf 35.000 bis 100.000 geschätzt. Die übrigen Kosovo-Roma leben auch mehr als zehn Jahre nach dem Kosovo-Krieg als Flüchtlinge über Europa verstreut.

Rückfragen

Für Rückfragen und Interviewwünsche wenden Sie sich bitte an die UNICEF-Pressestelle.
Fotos sowie sendefähiges Filmmaterial stellen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Für Interviews mit Barbara Lochbihler wenden Sie sich bitte an
Wolf-Dieter Vogel
Tel. 030/227-73136