© UNICEF/UNI883468/AshawiSyrien: Kinder brauchen in dem vom Krieg stark zerstörten Land weiter humanitäre Hilfe
Kinder weltweit

Zurück in Syrien: Kinder zwischen Trümmern und Hoffnung

Vor knapp einem Jahr hat in Syrien ein neuer Abschnitt begonnen: Mit dem Machtwechsel endete der 13 Jahre lange Bürgerkrieg. Acht Jahre nach unserem letzten Besuch in damals stark zerstörten Städten reisen UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider und ich erneut nach Syrien. Überall treffen wir Kinder und Familien, die voller Hoffnung sind – in einem Land in Trümmern. Wie kann hier ein Neuanfang gelingen? Am Ende der Reise gibt es auch ein emotionales Wiedersehen. 


von Ninja Charbonneau

Rückkehr an zerstörte Heimatorte

Über Syrien wird bei uns in Deutschland wenig berichtet, aus der Ferne könnte man fast den Eindruck haben, mit dem Ende des Krieges sei nun alles gut. Aber das ist es natürlich nicht. „Der Krieg in Syrien ist zwar zu Ende gegangen, ein Ende der humanitären Krise ist jedoch noch weit entfernt“, fasst es UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider zusammen.

Syrien: Ein komplett zerstörtes Gebäude.

Ein Kind läuft an zerstörten Häusern im syrischen Homs vorbei. Rund 40 Prozent der Gebäude in Homs sind zerstört oder beschädigt.

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Tatsächlich gibt es weder Sicherheit noch Stabilität. Über sieben Millionen Kinder brauchen humanitäre Hilfe. Der humanitäre Druck nimmt sogar zu, weil seit Dezember 2024 bereits eine große Zahl an Menschen zurückgekehrt ist: rund zwei Millionen Binnenvertriebene aus anderen Landesteilen Syriens und über eine Million Geflüchtete hauptsächlich aus der Türkei, dem Libanon und Jordanien. Viele von ihnen stehen vor dem Nichts. Trotzdem: „Es ist unsere Heimat, hier gehören wir hin“, sagt mir eine Mutter.

Geflohen waren sie aus den Orten, die am heftigsten umkämpft waren und bombardiert wurden – und das sind die Orte, die daher am schwersten zerstört sind und in denen es an fast allem fehlt. Es gibt zu wenig bewohnbare Wohnungen, Schulen für die Kinder, Strom, Wasser, Gesundheitsversorgung. Ganze Dörfer, ganze Stadtteile von Städten wie Homs, Hama und Aleppo sind in Trümmern – nahezu genauso, wie wir sie vor acht Jahren gesehen haben.

Generation Hoffnung in Syrien

Was jetzt anders ist: die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. „Die Kinder sind eine Generation der Hoffnung“, sagt Christian Schneider.

Manche Kinder, so wie die 13-jährige Sondos, haben ihre ganze bisherige Kindheit in der Fremde verbracht und kehren jetzt in eine ihnen völlig unbekannte, verwüstete Heimat zurück. Sondos war ein zwei Monate altes Baby, als die Familie aus Syrien geflohen und nach Jordanien gegangen ist. Ibrahim (13) hat sechs Jahre, seine ganze bisherige Schulzeit, im Libanon verbracht. Auch er muss neu anfangen.

Syrien: Ein Junge mit einer Krücke.

Ibrahim (13) hat die Hälfte seines Lebens im Libanon verbracht und ist vor kurzem mit seiner Familie nach Syrien zurückgekehrt. Im mobilen Kinderzentrum in Homs hat er gelernt, mit seinen Gefühlen umzugehen – und neue Freunde gefunden.

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Andere Kinder, so wie Noor (9), sind in Syrien aufgewachsen und haben in ihrem jungen Leben schon schwere Kämpfe und mehrfache Vertreibungen erlebt. Fast nebenbei erzählt Noor, dass es in Afrin zeitweise wöchentlich Granateneinschläge auf dem Schulgelände oder in direkter Nähe gab. Und Noors Mutter Dima berichtet uns, dass sie vorher in Idlib über Monate in einem zwei Quadratmeter großen Erdloch ausgeharrt haben, um Schutz vor den Geschossen zu suchen. Wenn jemand zur Toilette musste, mussten sie an die Erdoberfläche, unter Lebensgefahr.

Wir haben Sondos und Ibrahim sowie Noor in verschiedenen mobilen Familienzentren in Homs getroffen, die UNICEF zusammen mit lokalen Partner-NGOs eingerichtet hat. Wobei Zentrum luxuriöser klingt, als es in der Realität aussieht: Das eine Angebot findet in einer stillgelegten Teppichfabrik statt, das andere in den Räumen einer schwer beschädigten Kirche.

  • Syrien: Ein kinderfreundlicher Ort in einer Kirche.

    Bild 1 von 3 | In der Kirche im ehemals schwer umkämpften Al Qareteen in Homs sieht man noch die Einschusslöcher. Die Gemeinde stellt das Gelände zur Verfügung, so dass UNICEF einige Räume reparieren konnte und sie als mobiles Familienzentrum nutzt.

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  • Syrien: Ninja redet mit Mutter und Tochter.

    Bild 2 von 3 | In den halbwegs reparierten Räumen der Kirchengemeinde hat UNICEF ein Familienzentrum eingerichtet. Noor (9) und ihre Mutter Dima erzählen von der schweren Zeit, die hinter ihnen liegt.

    © UNICEF/UNI883281/Charbonneau
  • Syrien: Panoramabild von zerstörten Gebäuden.

    Bild 3 von 3 | Die Kirche liegt inmitten eines stark zerstörten Viertels von Homs.

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UNICEF bündelt möglichst viele Angebote nah beieinander: Es gibt psychosoziale Hilfe für die Kinder, frühkindliche Bildungsangebote, dazu Elternkurse. Die Kinder lernen unter anderem, ihre Gefühle zu erkennen und mit ihnen umzugehen, die Eltern erhalten Tipps zum Beispiel für gewaltfreie Erziehung, Aufklärung über Minen und andere Gefahren wird ebenfalls integriert. An einigen Familienzentren werden zusätzlich Gesundheits- und Ernährungsdienste und Weiterbildungen für Jugendliche angeboten.

Die Kurse erfüllen neben der Wissensvermittlung und mentalen Hilfe einen anderen wichtigen Zweck: Sie bringen Kinder und Erwachsene zusammen, die zum Teil aus unterschiedlichen Communitys kommen, Zurückkehrende und Dagebliebene, unter Umständen ehemals verfeindete Gruppen. Nicht nur Gebäude müssen wieder aufgebaut werden in Syrien, auch der soziale Zusammenhalt ist fragil.

Überleben in einer Höhle

Jedes Kind, jede Familie in Syrien hat eine Geschichte von traumatischen Erlebnissen und schwerem Verlust zu erzählen. Armut prägt den Alltag. Für die Kinder heißt das unter anderem: Mangelernährung. Kinderarbeit. Frühehen. Leben in dunklen Wohnungen ohne Wasser und Strom.

Am meisten schockiert hat mich, dass Khaled (8), Abdul (5), Aya (18 Monate) und Husain (3 Wochen) mit den Eltern und Großeltern in einer Höhle wohnen. Ja, Sie haben richtig gelesen: in einer Höhle.

Syrien: Familie sitzt in einem selbstgebauten Bunker.

Die Höhle diente der Familie während des Bürgerkriegs als Schutz vor den Bomben. Nach ihrer Rückkehr bewohnen sie wieder die zwei Räume der Höhle – denn von ihrem Heimatort steht nichts mehr.

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Bevor die jüngeren Kinder geboren waren, hatte sich die Familie in Latamneh (ländliches Hama) eine Höhle in den Fels gebaut, um vier Jahre lang während des Bürgerkriegs Schutz vor den Bomben und Schüssen zu suchen. 2019 flohen sie nach Idlib, nachdem der Familienvater bei einem Angriff schwer verletzt wurde und auch ihre Kuh getötet wurde – damit fiel ihre letzte Lebensgrundlage weg.

Nun sind sie an ihren Heimatort zurückgekehrt – doch der ist vollständig zerstört, es gibt kein einziges unversehrtes Haus. Daher bewohnen sie wieder die zwei Räume der Höhle, die weiß getüncht und blitzsauber ist. Es gibt keinen Strom, Wasser müssen sie teuer von Lastwagen kaufen. Ein weiteres Problem: Überall liegen Minen und Blindgänger unter den Trümmern und auf den Feldern, es kommt zu vielen Unfällen. Auch der älteste Sohn Khaled wurde verletzt, weil er etwas vom Boden aufgehoben hat. Am Bauch und am Arm hat er viele kleine Narben.

Trotz der harten Umstände sagt die Mutter: „Alles ist besser als Krieg!“

Die Familie erhält eine kleine Bargeldhilfe von UNICEF, damit sie die mangelernährten Kinder besser versorgen kann. Die Hälfte des Geldes nutzen sie für Lebensmittel für die Kinder, die andere Hälfte für Schulsachen und für Material, um langsam ein neues Haus zu bauen.

UNICEF leistet sowohl humanitäre Hilfe als auch Wiederaufbauhilfe in Syrien. Mit der Wiederherstellung von Anlagen und der Installation von Solartechnik sichert UNICEF zum Beispiel die Wasserversorgung. An bisher unversorgten Orten baut UNICEF die Gesundheitsversorgung mit auf und behandelt mangelernährte Kinder.

Wiederaufbau von Schulen: Jede dritte zerstört oder beschädigt

Ganz wichtig auch: Der Wiederaufbau von Schulen und die Stärkung des Bildungssystems. Jede dritte Schule in Syrien ist zerstört oder so beschädigt, dass sie nicht genutzt werden kann. Rund 2,5 Millionen Kinder im Schulalter gehen nicht zur Schule.

Besonders gespannt sind wir darauf, eine Schule in Aleppo erneut zu besuchen, in der wir bei unserem letzten Besuch 2017 waren. Es hatte uns damals sehr beeindruckt, dass UNICEF dort, relativ kurz nach den heftigen Bombardierungen und inmitten eines stark zerstörten Viertels, Schulcontainer aufgestellt hatte. So konnte der Unterricht schnell weitergehen – in einer Krise ist das viel mehr als nur Bildung, sondern auch ein Stabilitätsanker.

  • Syrien: Mädchen formt ein Herz mit ihren Händen.

    Bild 1 von 2 | 2017: Die damals 11-jährige Wahida auf dem Schulhof in Maysaloon, Aleppo. Nur kurze Zeit nach den heftigen Bombardierungen in Aleppo konnte der Unterricht in Containern weitergehen.

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  • Syrien: Ninja Charbonneau formt ein Herz mit ihren Händen.

    Bild 2 von 2 | 2025: Ich stehe auf dem gleichen Schulhof. Die Ruinen im Hintergrund sehen kaum verändert aus. Die Container sind weg, da UNICEF das Schulgebäude repariert hat und der Unterricht wieder in Klassenzimmern stattfindet. 

    © UNICEF/UNI883556/Ashawi

Die Umgebung der Schule sieht nicht viel besser aus als vor acht Jahren: rundherum Ruinen und nur wenige neu aufgebaute Häuser. Aber wir sind froh zu sehen, dass die Schulcontainer weg sind. Das ist eine gute Nachricht, denn UNICEF konnte in der Zwischenzeit das Gebäude so weit reparieren und mit neuen Möbeln ausstatten, dass der Unterricht wieder in den Klassenzimmern stattfinden kann.

Da es viel mehr Schülerinnen und Schüler als Platz und Lehrpersonal gibt – und zusätzlich wöchentlich neue Kinder dazukommen, deren Familien gerade aus Idlib oder der Türkei zurückgekehrt sind – findet der Unterricht für die rund 850 Kinder und Jugendlichen in zwei Schichten statt.

Limar möchte lieber durchgängig Schule statt Ferien

Zwei der Schülerinnen sind die Cousinen Limar und Rimas, beide neun Jahre alt. Zusammen mit Limars kleinem Bruder Mahmoud (6), der Oma und Rimas‘ Mutter wohnen sie in einer winzigen fensterlosen Wohnung ein paar Gehminuten entfernt. Sie sind in all den Jahren in Aleppo geblieben, während des Kriegs und des schweren Erdbebens, mussten in der Stadt immer wieder eine neue Bleibe suchen, bei steigenden Mieten.

Syrien: Kinder machen zuhause Hausaufgaben.

In ihrer winzigen fensterlosen Wohnung in Aleppo machen Limar, Mahmoud und Rimas ihre Hausaufgaben. Rimas‘ Mutter muss für die Familie sorgen und arbeitet zehn Stunden jeden Tag, trotzdem hilft sie den Kindern beim Lernen.

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Die Familie kommt kaum über die Runden. Die Mutter ist Alleinverdienerin und arbeitet an sechs Tagen pro Woche je zehn Stunden in einer Fabrik. Dafür bekommt sie gerade einmal umgerechnet rund 80 US-Dollar im Monat, doch allein die Miete der kleinen Wohnung kostet 50 Dollar. Spielsachen haben die Kinder nicht. Sie haben Angst vor der Dunkelheit, vor den Ratten im Haus und den fremden Bettlern auf der Straße.

Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb die Mädchen ihre Schule so lieben. „Die Schule ist mein zweites Zuhause, hier fühle ich mich wohl“, sagt Limar. „In den Sommerferien konnte ich es kaum erwarten, dass die Schule endlich wieder anfängt. Ich wünschte, die Schule wäre das ganze Jahr über offen.“

Syrien: Mädchen in einer Schulklasse.

Rimas (9) in einer von UNICEF instandgesetzten Schule in Aleppo, Syrien. Sie möchte Dekorateurin werden. 

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Auch Rimas geht gerne zur Schule. „Ich mag den Ort, ich mag die Lehrerinnen, ich mag das Lernen. Meine Freundinnen bedeuten mir sehr viel.“ Die Mutter ergänzt, dass Rimas schon eine Woche vor Ende der Sommerferien ihre Schultasche gepackt und ihre Kleidung zurechtgelegt hat.

Trotz ihrer langen Arbeitstage nimmt die Mutter sich die Zeit, den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, damit ihrer Bildung nichts im Weg steht. „Ich hoffe und bete immer noch, dass jetzt bessere Zeiten kommen. Für die Kinder – es ist jetzt ihre Zeit.“

Rimas möchte Dekorateurin werden, Limar Arabisch-Lehrerin. Ibrahim träumt davon, Architekt und Ingenieur zu werden und einen riesigen Palast zu bauen. Sondos möchte später Lehrerin werden. Andere Kinder und Jugendliche haben uns erzählt, dass sie Richterin oder Polizist oder Ärztin werden wollen.

Alle Kinder dieser Generation Hoffnung sind die Zukunft des Landes. Sie brauchen weiter Unterstützung.

Eines können wir nach der Reise mit Sicherheit sagen: UNICEF Syrien war in all den Jahren des Krieges auch dank Spenden aus Deutschland an der Seite der Kinder und der Familien und bleibt es weiterhin. Die Hilfe trägt direkt dazu bei, den Wiederaufbau des Landes und das friedliche Zusammenleben zu stärken.

Erfahren Sie hier mehr, wie Sie die Kinder in Syrien unterstützen können:

Ninja Charbonneau_neu 2024
Autor*in Ninja Charbonneau