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Ahmads Geschichte oder Kinderarbeit im Camp


von Ninja Charbonneau

Ahmad (14) musste früh erwachsen werden. Im Za’atari Camp für syrische Flüchtlinge in Jordanien ist er einer der zahlreichen Kinderarbeiter – in der Schule war er seit Jahren nicht. Damit Jungen wie Ahmad trotzdem eine Chance haben, hat UNICEF ein Zentrum speziell für arbeitende Jungen eingerichtet.

Syrische Flüchtlinge: Ahmad im Za'atari Camp in Jordanien
© UNICEF DT/2014/Charbonneau

Kinderarbeit ist allgegenwärtig im Za’atari Camp, dem größten syrischen Flüchtlingscamp in der jordanischen Wüste mit rund 80.000 Menschen und dem zweitgrößten Camp der Welt. Und Kinderarbeit heißt hier Jungenarbeit, denn die Mädchen haben – aus unserer UNICEF-Sicht – eher das Problem, dass sie zu jung verheiratet werden. So wie Ahmads Schwester Aya, die sich mit 15 gerade verlobt hat. Kinderarbeit und Kinderheirat sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Auch vor dem Krieg war es für viele Kinder in Syrien, vor allem in ländlichen Gebieten, nicht ungewöhnlich zu arbeiten und jung zu heiraten. Doch durch den Konflikt und die Fluchtsituation haben viele Familien ihr Einkommen verloren – und immer mehr Kinder leiden darunter.

Syrische Flüchtlinge: Kinderarbeit im Za'atari Camp in Jordanien
© UNICEF DT/2014/Charbonneau

Man sieht die ersten arbeitenden Kinder schon bei der Einfahrt ins Za’atari Camp: Neben ihren rostigen Schubkarren hocken mehrere Jungen und warten auf Kunden, für die sie etwas transportieren können. Viele von ihnen sind erst zehn, elf Jahre alt. Andere zerschlagen Geröll in kleine Steine, die sie für umgerechnet 50 Cent pro Eimer als Baumaterial verkaufen. Wieder andere arbeiten wie Ahmad in einem der zahlreichen kleinen Shops, die inzwischen die Hauptwege des Camps säumen, und verkaufen Tee, Falafel oder Süßigkeiten.

„Bei Beginn der Probleme in Syrien habe ich aufgehört, zur Schule zu gehen.“

Ahmad arbeitet zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche im kleinen Shop seines Vaters, verkauft Zigaretten und wechselt Geld. Nur freitags hat er frei, um in die Moschee zu gehen. Auch in Syrien hat er schon mit seinem Vater gearbeitet, sie haben Altmetall gesammelt und verkauft. „Das Geschäft lief gut“, erzählt Ahmad. „Mein Vater hatte mehrere Autos und ich hatte ein Fahrrad mit Anhänger. Ich habe damals gearbeitet, um etwas Taschengeld zu haben und mir etwas Schönes kaufen zu können. Jetzt muss ich arbeiten, meine Familie braucht das Geld.“ Zu seiner Familie gehören neben seinen Eltern vier Geschwister. Nur die elfährige Schwester geht zur Schule. Wann Ahmad selbst das letzte Mal zur Schule gegangen ist, weiß er nicht genau. „Als die Probleme in Syrien begonnen haben, habe ich aufgehört zur Schule zu gehen.“ Lesen und Schreiben kann der 14-jährige Ahmad gerade einmal seinen Namen.

Syrische Flüchtlinge: Kinderarbeit im Flüchtlingscamp
© UNICEF DT/2014/Charbonneau

Die Familie ist vor den Bomben in ihrem Dorf Tafas in der syrischen Provinz Dera’a zunächst in ein anderes Dorf geflohen, doch dann fielen auch dort Bomben. Schließlich sind sie im Juli nach Jordanien geflohen und ins Za’atari Camp gekommen. Nur fünf Tage lang besuchte er hier die UNICEF-Schule. Ahmad sagt es nicht, aber die UNICEF-Mitarbeiter in Jordanien vermuten, dass sein Vater ihn von der Schule genommen hat, damit er ihm im Laden hilft. Der stolze Junge behauptet, es mache ihm nichts aus zuzusehen, wie viele seiner Freunde sich mit ihren blauen Taschen jeden Tag auf den Weg zur Schule machen, während er Stunde um Stunde in der Wellblechhütte sitzt und auf Kunden wartet.

Immerhin gibt es einen Lichtblick: Seit kurzem besucht Ahmad das neu eröffnete „Drop-in-Center“, eine von vier Anlaufstellen speziell für arbeitende Kinder, die UNICEF zusammen mit Save the Children im Za’atari Camp betreibt. Hier kann er sich in seinen Pausen entspannen, Sport machen und nimmt an Kursen teil, in denen die Mitarbeiter ihm wenigstens ein Stück informelle Bildung mit auf den Weg geben. „Ich komme gerne hierher, weil ich Fußball spielen kann. Außerdem mag ich die Betreuer. Ich komme jeden Tag mehrere Male: Am frühen Morgen vor der Arbeit, dann gehe ich in den Shop, mittags mache ich hier eine Pause und gehe wieder arbeiten. Ich mache meine Mittagspause lieber hier als zu Hause, weil es mehr Spaß macht.“

Kinder wie Ahmad – Teil einer verlorenen syrischen Generation?

Syrische Flüchtlinge: Fußball spielen
© UNICEF DT/2014/Charbonneau

Über das Zentrum und den Sport bekommen die Betreuer Zugang zu den Jungen, die wie Ahmad sonst eher verschlossen sind und sich cool und stark geben. Die Mitarbeiter versuchen auch, die Jungen zu überzeugen, wieder zur Schule zu gehen, sprechen mit den Eltern und den Ladenbesitzern. Manchmal haben sie Erfolg – aber meistens müssen sie viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Ladenbesitzer sagen, sie wollen den Kindern helfen, indem sie ihnen Arbeit geben. Von den Eltern hören sie oft, sie können auf das Einkommen der Kinder nicht verzichten oder sie finden nichts dabei, wenn die Jungs mithelfen. Und viele Jungen wie Ahmad haben das Gefühl, keine andere Wahl zu haben. „Bildung ist wichtig, weil man Lesen und Schreiben lernt, Zertifikate bekommt und später einen guten Job. Aber Arbeiten ist wichtiger als Schule. Ich muss meine Familie unterstützen“, sagt Ahmad.

UNICEF macht sich große Sorgen, dass eine verlorene Generation syrischer Kinder und Jugendlicher heranwächst, die durch Konflikt und Flucht traumatisiert und ihrer Kindheit beraubt wurden. Wenn ich den Begriff „verlorene Generation“ höre, denke ich immer auch an Ahmad, der viel zu ernst und erwachsen für sein Alter ist. Aber ich habe Ahmad auch über das ganze Gesicht strahlen sehen – beim Malen und Fußballspielen im Drop-in-Center.

Bitte helfen Sie mit, dass Kinder wie Ahmad wieder lachen können. Vielen Dank!

Ninja Charbonneau
Autor*in Ninja Charbonneau

Ninja Charbonneau ist Pressesprecherin und schreibt im Blog über Hintergründe zu aktuellen Themen.