Fotoreportagen

Dramatische Flucht im Irak: Mutter und Sohn (3) entkommen ihren Kidnappern


von Ninja Charbonneau

Diese wahre Geschichte könnte das Drehbuch zu einem Film sein: Eine Mutter und ihr dreijähriger Sohn werden im Irak von militanten Islamisten gekidnappt und monatelang gefangen gehalten, bis ihnen die riskante Flucht glückt und sie mit dem Ehemann und Vater wiedervereint werden.

Aber damit ist die Geschichte nicht zu Ende – ihr langer Weg zurück ins Leben fängt jetzt erst an...

Irak: Wafa und ihr Sohn Farhan
© UNICEF Iraq/2015/Niles

Farhan (3, alle Namen geändert) sieht nach außen hin aus wie ein normales Kleinkind. Aber was er erleben musste, hat Spuren hinterlassen – so wie bei Tausenden Kindern im konfliktgeplagten Irak. Etwas mehr als ein Monat ist vergangen, seit er mit seinen Eltern in einem Flüchtlingscamp in der Kurdenregion ankam, endlich in Sicherheit. „Es geht ihm jetzt etwas besser“, sagt der UNICEF-Mitarbeiter Jwan. „Anfangs war er sehr aggressiv. Er konnte niemandem in die Augen schauen. Ich hatte ihm kleine Geschenke mitgebracht, aber er wollte sie nicht annehmen.“

Als das Kinderschutz-Team von UNICEF Irak erneut nach dem Jungen und seinen Eltern sieht, hat Farhan sich bereits etwas geöffnet. Freudig nimmt er das geschenkte rote Spielzeugauto entgegen, drückt es fest an sich und untersucht fasziniert das Innere, indem er die Türen immer wieder aufmacht.

Seine Mutter Wafa hält sich im Hintergrund und beobachtet ihren Sohn mit regungslosem Gesicht. Nur ihrem Mut und ihrer Geistesgegenwärtigkeit ist es zu verdanken, dass sie jetzt hier sind und die Familie wieder zusammen ist.

Wafa: Lieber schnell sterben als ein kleines bisschen jeden Tag

Vor acht Monaten wurden Wafa und ihr Sohn Farhan, Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden, in Sindschar von militanten Islamisten gekidnappt. Fast drei Monate lang wurden sie innerhalb Iraks von Ort zu Ort verschleppt, bis man sie nach Syrien brachte. Fünf Monate waren sie dort Gefangene in einer Wohnung. „Sie haben mein Kind und mich nicht wie menschliche Wesen behandelt“, erzählt Wafa. „Jeden Tag haben sie uns geschlagen und getreten.“ Der dreijährige Farhan wurde gezwungen, den Koran auswendig zu lernen – und schwer misshandelt, wenn er sich an die Worte der Koranpassagen nicht erinnern konnte. Als die Entführer eines Tages drohten, den Jungen zu verkaufen, traf Wafa eine verzweifelte Entscheidung.

„Ich hatte keine Wahl“, sagt sie. „Ich entschied, dass es besser war, schnell zu sterben als ein kleines bisschen jeden Tag.“ Wafa war aufgefallen, dass die Frau ihres Peinigers oft die Wohnung verließ, um einkaufen zu gehen und Freundinnen zu besuchen – obwohl deren Mann ihr das verboten hatte. Wafa drohte der Frau, ihrem Mann davon zu erzählen, wenn sie ihr und Farhan nicht zur Flucht verhelfen würde.

Filmreife Flucht

Der riskante Plan ging auf. Die Frau brachte sie zu einer syrischen Familie, bei der sie sich einige Tage verstecken konnten, und nahm Kontakt mit Wafas Mann Yakup auf. Ihm gelang es, die weitere Flucht zu organisieren. Helfer brachten Wafa und Farhan zur syrisch-türkischen Grenze, und ein Onkel von Yakup reiste über die Grenze, um seine Frau und seinen einzigen Sohn zurück in den Irak zu bringen, wo er auf sie wartete. „Die Flucht war wie in einem Film“, sagt Yakup.

Irak: UNICEF-Mitarbeiter Jwan mit Wafa und Farhan
© UNICEF Iraq/2015/Niles

„Ich konnte es gar nicht begreifen”, erzählt Wafa. „Ich hatte nicht daran geglaubt, dass wir jemals wieder zusammen sein würden.”

Hilfe für psychische Wunden

Farhan und seine Eltern sind in Sicherheit, aber die seelischen Wunden sind noch frisch und werden lange brauchen, um zu heilen. Farhan wacht oft nachts schreiend auf und hat häufig spontanes Nasenbluten. Wenn er ein Flugzeug hört, macht er die Fenster zu und die Lichter aus, weil er einen Angriff fürchtet. „Er hat immer noch große Angst“, sagt Yakup. „Aber mit der Zeit und der Hilfe, wie wir sie im Kinderzentrum bekommen, wird er hoffentlich wieder ein unbeschwertes Kind werden.“

Irak: UNICEF-Hilfe für traumatisierte Kinder
© UNICEF/NYHQ2014-1177/Khuzaie

UNICEF hat im Irak einfache Kinderzentren in Flüchtlingscamps eingerichtet, in denen die Mädchen und Jungen betreut spielen können und psychosoziale Hilfe erhalten. Insgesamt möchte UNICEF dieses Jahr 75.000 Kinder wie Farhan mit psychosozialen Angeboten erreichen.

Ninja Charbonneau
Autor*in Ninja Charbonneau

Ninja Charbonneau ist Pressesprecherin und schreibt im Blog über Hintergründe zu aktuellen Themen.