Ein kleines Kind wird mit einer Polio-Schluckimpfung geimpft.
© UNICEF/UN0610165/ChikondiEin kleines Kind wird mit einer Polio-Schluckimpfung geimpft.
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Alle Fragen und Antworten zum Thema Polio

In den letzten Monaten wurde in den Medien immer wieder von neuen Polio-Fällen berichtet – und das in Ländern, die eigentlich seit Jahrzehnten als poliofrei gelten. Kommt die gefürchtete Kinderlähmung zurück? Wir zeigen die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Thema Polio.


von Stefanie Hack

Die Krankheit Polio

Als junges Kind wurde Jemina aus der Demokratischen Republik Kongo mit Polio infiziert, weil ihre Mutter sie nicht impfen lassen wollte. Von der Krankheit hat sie sich zwar erholt, aber hat seitdem eine Behinderung. Heute ist das Mädchen 14 Jahre alt und ermutigt Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen. „Kein Kind kann sich aussuchen, so zu werden wie ich. Wenn Sie also Ihr Kind lieben und es schützen wollen, lassen Sie es impfen", sagt Jemina.

Ein Mädchen steht vor einem Haus und schaut in die Kamera.

Bild 1 von 3 | Jemina (14) wurde als junges Kind mit Kinderlähmung infiziert, weil ihre Mutter sie nicht impfen lassen wollte, und hat seitdem eine Behinderung. Deshalb setzt sie sich für Polio-Impfungen ein.

© UNICEF/UN0650267/Wenga
Ein Mädchen schaut lächelnd in die Kamera.

Bild 2 von 3 | „Kein Kind kann sich aussuchen, so zu werden wie ich. Wenn Sie also Ihr Kind lieben und es schützen wollen, lassen Sie es impfen", sagt Jemina.

© UNICEF/UN0650266/Wenga
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Bild 3 von 3 | Jeminas Bein ist seit ihrer Polio-Infektion gelähmt.

© UNICEF/UN0650265/Wenga

Was ist Polio beziehungsweise Kinderlähmung und wie wird die Krankheit übertragen?

Poliomyelitis (als Polio abgekürzt) ist eine hoch ansteckende akute Infektionskrankheit, die das zentrale Nervensystem angreifen und zu schweren Behinderungen oder zum Tod führen kann. Das Virus kann in das Gehirn und Rückenmark einer infizierten Person eindringen und zu unterschiedlichen Krankheitsverläufen führen. Typisch sind vor allem die bleibenden Lähmungen, die der Polio-Erreger hervorrufen kann. Übertragen wird die Krankheit über Schmierinfektionen von Mensch zu Mensch. Eine von 200 Infektionen verursacht dauerhafte Lähmungen, die vor allem in den Beinen auftreten. Die Krankheit kann tödlich verlaufen, wenn die Atemmuskulatur betroffen ist. Da insbesondere Kinder unter fünf Jahren gefährdet sind, wird Polio auch als „Kinderlähmung“ bezeichnet.  

Ist Polio für Erwachsene gefährlich?

Zwar sind Kinder besonders gefährdet, aber auch Erwachsene können sich mit dem Virus anstecken, wenn sie keinen ausreichenden Impfschutz haben. Wie bei Kindern kann die Krankheit bei Erwachsenen zu Lähmungen führen, denn es gibt keine Medikamente zur Behandlung und Polio ist nicht heilbar.

Verbreitung von Polio

Wurde Polio ausgerottet?

Die gute Nachricht ist: Die gefährliche Kinderlähmung ist fast ausgerottet – Impfungen sei Dank. Seit 1988 sind die weltweiten Polio-Fälle um 99,9 Prozent zurückgegangen. 1988 wurden noch 350.000 Fälle in 125 Ländern gemeldet; 2021 waren es sechs offiziell registrierte Fälle.   

Zwei der drei wilden Poliovirus-Stämme konnten erfolgreich ausgerottet werden. Typ 2 wurde 2015 als ausgerottet zertifiziert und im Oktober 2019 wurde die Ausrottung des wilden Polio-Typs 3 bestätigt. Typ 1 der wilden Poliovariante ist nur noch in zwei Ländern endemisch: Afghanistan und Pakistan. Wir stehen also kurz davor, die Krankheit vollständig auszurotten. 

In welchen Ländern gibt es noch Polio?

Pakistan und Afghanistan sind die letzten beiden verbliebenen Länder der Welt, in denen die Krankheit endemisch ist, das heißt, dass sie dort fortwährend auftritt. In Pakistan wurden in diesem Jahr 20 Fälle der wilden Polio registriert.

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Afghanistan meldete 2022 bisher zwei Fälle von wilder Polio (Stand: Oktober 2022). Ende 2021 wurden mit Unterstützung der Behörden die landesweiten Impfkampagnen gegen Polio nach dreieinhalbjähriger Unterbrechung wiederaufgenommen. Während der Kampagnen im November und Dezember 2021 und im Januar 2022 wurden 2,6 Millionen Kinder geimpft.

Ein Kleinkind bekommt eine Schluckimpfung gegen Polio.

Der drei Monate alte Sajjad Ali aus Pakistan wird gegen Polio geimpft.

© UNICEF/UN0324716/Zaidi

Neben Afghanistan und Pakistan traten in den vergangenen Monaten auch Polio-Fälle in Ländern auf, die jahrzehntelang poliofrei waren, wie zum Beispiel in Malawi, Israel und den USA.

Warum es wieder zu neuen Polio-Fällen kommt

Trotz der immensen Fortschritte bei der weltweiten Ausrottung der Kinderlähmung erhalten Millionen Kinder noch immer keine Impfung. Ursachen für die Verzögerungen oder Unterbrechungen von Impfkampagnen sind zum Beispiel Konflikte oder zuletzt die Corona-Pandemie.

Während der Corona-Pandemie kam es zu einer viermonatigen Aussetzung der Polio-Kampagnen in mehr als 30 Ländern. Millionen Kinder konnten keinen Impfschutz bekommen. Beispielsweise verpassten 2021 6,7 Millionen mehr Kinder die dritte Dosis der Impfung gegen Polio im Vergleich zu 2019.  Die (neue) Ausbreitung erinnert uns daran, dass Kinder in allen Ländern so lange gefährdet sind, bis alle Formen von Polio verschwunden sind. Wir müssen nun alles tun, um dieses Ziel zu erreichen.  

Polio in Deutschland

Deutschland ist seit den 1990er-Jahren frei von Polio. 1992 wurden die letzten beiden importierten Fälle registriert. Da die Krankheit bis zur Einführung der Polio-Impfung in den 1960er-Jahren aber weit verbreitet war, gibt es auch heute noch polio-infizierte Menschen in Deutschland, die unter den Spätfolgen ihrer Virus-Erkrankung leiden. 

Die Polio Impfung

Was ist die Polio-Impfung und welche Impfstoffe gibt es?

Es gibt zwei Polio-Impfstoffe: den oralen und den inaktivierten Impfstoff. Beide sind wirksam und sicher und werden weltweit in unterschiedlichen Kombinationen eingesetzt, je nach den örtlichen epidemiologischen und programmatischen Gegebenheiten, um den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.

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Bei der Schluckimpfung handelt es sich um einen Lebendimpfstoff, der lebende, aber abgeschwächte Polio-Viren enthält, die noch vermehrungsfähig sind und mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Kontaktpersonen können sich daran infizieren und bilden im Normalfall selbst Antikörper gegen das Virus. Die orale Polio-Impfung ist kostengünstig und einfach zu verabreichen, aber sehr wirksam. Nur zwei Tropfen des Impfstoffs, verabreicht über vier Dosen, immunisieren ein Kind gegen Polio.

In Deutschland wird ein Impfstoff mit inaktivierten („tote“) Polio-Viren in Form einer Spritze verabreicht. Kinder werden schon als Säuglinge gegen Kinderlähmung geimpft. Sie erhalten den Impfstoff erstmals im Alter von acht Wochen, die zweite und dritte Dosis ebenfalls noch im ersten Lebensjahr. Nach diesen drei Impfdosen haben sie eine vollständige Grundimmunisierung. Im Vorschulalter und als Jugendliche benötigen sie Auffrischungsimpfungen. Der Impfschutz durch die Polio-Impfung hält danach etwa zehn Jahre an.

Was ist der Unterschied zwischen "wilder Polio" und der so genannten "Impf-Poliomyelitis"?

Als wilde Polio" bezeichnet man das natürlich vorkommende Polio-Virus. Die so genannte "Impf-Poliomyelitis" dagegen ist die Form der Erkrankung, die unter sehr speziellen Bedingungen durch die orale Polio-Impfung selbst ausgelöst werden kann. Sie kommt nur dann vor, wenn zu wenige Menschen innerhalb einer Gemeinschaft einen Impfschutz haben und wenn sie darüber hinaus in schlechten hygienischen Verhältnissen leben. Der Grund: Wenn Kontaktpersonen, die sich an den abgeschwächten Polio-Viren infizieren, die über den Stuhl ausgeschieden werden, keine Antikörper bilden, kann das Virus mutieren und damit neue Polio-Infektionen auslösen. Nicht der orale Polio-Impfstoff ist also das Problem, sondern die zu geringe Impfquote in einer Region.

Wie wird Polio behandelt?

Bislang gibt es kein Medikament zur Behandlung von Polio. Kinderlähmung ist nicht heilbar und kann nur durch eine Impfung vorgebeugt werden. Deshalb ist es so wichtig, jedes Kind in jedem Land der Welt mit dem Polio-Impfstoff vor der gefährlichen Krankheit zu schützen.

* Eine Dosis Impfstoff kostet 20 Cent.

Was unternimmt UNICEF im Kampf gegen Polio?

Die Globale Initiative zur Ausrottung von Polio

Die Globale Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung (Global Polio Eradication Initiative, GPEI) wurde 1988 mit dem Ziel gegründet, jedes Kind in jedem Land mit dem Polio-Impfstoff zu schützen. Die GPEI wird von nationalen Regierungen geleitet und von sechs Partnern unterstützt – UNICEF, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Rotary International, die U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC), die Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF), und die Impfallianz GAVI. Die GPEI ist die weltweit größte Initiative im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Im Rahmen ihrer aktuellen Strategie hat sich die GPEI vorgenommen, jährlich 370 Millionen Kinder gegen Polio zu impfen. 

Die Rolle von UNICEF in der GPEI

UNICEF organisiert die Beschaffung und Verteilung von über einer Milliarde Dosen von Polio-Impfstoffen jährlich und beschafft Gefrierräume, Kühlräume, Kühlschränke, Kühlboxen oder Temperaturüberwachungsgeräte, sodass Impfstoffe sicher gelagert und transportiert werden. UNICEF-Mitarbeitende schulen Gesundheitspersonal im Umgang mit der Kühlkette, damit Impfstoffe während des langen Transportes und der Lagerung sicher sind. UNICEF hilft außerdem dabei, jährlich etwa 400.000 Kinder zu impfen.

Uganda_UN0634694

Oneka Alfred (rechts) und sein Kollege Businge Solomon bereiten sich auf ihre Haus-zu-Haus-Impfungen vor. Die Impfstoffe werden in mit Kühlakkus gepolsterte Impstoffträger gelegt, damit sie gekühlt bleiben.

© UNICEF/UN0634694/Tibaweswa

Erfolge im Kampf gegen Polio

Seit dem Start der Globalen Initiative zur Ausrottung von Polio 1988 wurden mehr als 2,5 Milliarden Kinder geimpft, die Zahl der an Polio erkrankten Menschen ist um 99,9 Prozent zurückgegangen und zwei der drei Typen des wilden Polio-Virus wurden ausgerottet. Während der Corona-Pandemie hat sich darüber hinaus gezeigt, welche Bedeutung die für Polio-Impfungen geschaffene Infrastruktur, Personal und Know-how auch für die Bekämpfung anderer Gesundheitsnotfälle haben.

  • 900.000
    poliobedingte Todesfälle

    wurden verhindert

  • 2,5 Mrd
    Kinder welweit

    wurden gegen Polio geimpft

  • 99 %
    weniger Polio-Fälle

    gibt es seit 1988

Und noch eine gute Nachricht zum Schluss

Bei einer internationalen Geberkonferenz im Rahmen des Weltgesundheitsgipfels im Berlin vom 17. bis 18. Oktober 2022 wurden 2,6 Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen Polio mobilisiert. Das ist ein wichtiger Beitrag, um die letzten Hürden auf dem Weg zur Ausrottung der Kinderlähmung zu überwinden. Mit angemessenem politischen und finanziellen Engagement können wir eine Welt erreichen, in der kein Kind mehr durch Polio bedroht ist.

Stefanie Hack (1)
Autor*in Stefanie Hack

Stefanie Hack schreibt im Blog über entwicklungspolitische Themen und die weltweite Arbeit von UNICEF.