Statement

„Die Zukunft der ukrainischen Kinder ist in Gefahr - Der Krieg muss aufhören“

Statement von Omar Abdi, Stellvertretender Exekutivdirektor von UNICEF, vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 12.5.2022

New York/ Köln

„Es ist gerade einmal einen Monat her, dass UNICEF den UN-Sicherheitsrat zuletzt über die Lage in der Ukraine informiert hat. Mit jedem Tag, der vergeht, werden mehr ukrainische Kinder den Schrecken dieses Krieges ausgesetzt.

Ein Junge in der Ukraine macht seine Hausaufgaben in der U-Bahnstation.

Der zwölfjährige Dmytro macht in einer U-Bahnstation nahe Charkiw seine Hausaufgaben am Laptop.

© UNICEF/UN0634265/Gilbertson VII Photo

Allein im vergangenen Monat wurden nach Angaben der Vereinten Nationen fast 100 Kinder getötet, und wir gehen davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen wesentlich höher sind. Noch mehr Kinder wurden verletzt und mussten schwere Verletzungen ihrer Rechte ertragen, Millionen weitere wurden vertrieben. Nach wie vor werden Schulen angegriffen und für militärische Zwecke genutzt. Und die Wasser- und Abwasserinfrastruktur wird beschädigt. Der Krieg in der Ukraine bedeutet, wie alle Kriege, eine Kinderschutz- und Kinderrechtekrise.

Angriffe auf Schulen in der Ukraine

Im vergangenen Monat unterrichtete UNICEF den UN-Sicherheitsrat nach dem Angriff auf den Bahnhof von Kramatorsk – einem Angriff auf Familien, die vor der Gewalt auf der Flucht waren, und der die Arbeit unseres Teams vor Ort unterbrochen hat, dringend benötigte humanitäre Hilfe zu leisten. Wir kommen heute zusammen nach einem weiteren schrecklichen Angriff, diesmal auf eine Schule in Luhansk – ein weiteres deutliches Beispiel für die Missachtung von Menschenleben in der Zivilbevölkerung. Heute trauern noch mehr Familien um ihre Angehörigen.

Es ist auch eine deutliche Erinnerung daran, dass in der Ukraine heute auch die Bildung von Kindern unter Beschuss steht. Im Februar kam das Schuljahr zum Stillstand, als der Krieg ausbrach. Bis letzte Woche waren mindestens 15 der 89 von UNICEF unterstützten Schulen in der Ostukraine seit Beginn des Krieges beschädigt oder zerstört worden, also jede sechste. Hunderte von Schulen im ganzen Land wurden Berichten zufolge von schwerer Artillerie, Luftangriffen und anderen explosiven Waffen in Wohngebieten getroffen, während weitere Schulen als Informationszentren, Schutzräume, Versorgungszentren oder für militärische Zwecke genutzt werden – mit langfristigen Auswirkungen auf die Rückkehr der Kinder in die Schule.

Diese Angriffe müssen aufhören. Alle Parteien müssen ihrer rechtlichen und moralischen Verpflichtung nachkommen, die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur zu schützen, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte zu achten und sicherzustellen, dass die Rechte der Kinder gewahrt werden.

Im Jahr 2021 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 2601, in der Angriffe auf Schulen verurteilt und alle notwendigen Schutzmaßnahmen zur Wahrung des Rechts auf Bildung gefordert werden. Die „Safe Schools“-Erklärung legt dar, was erforderlich ist, um den Schutz von Bildung in Konflikten zu verbessern. Was wir jetzt brauchen, ist den Mut, die Disziplin und den politischen Willen, diese Worte in die Tat umzusetzen.

Bildung: Rettungsanker für Kinder

Schulen sind ein Rettungsanker für Kinder, insbesondere in Konflikten. Schulen sind ein sicherer Ort, an dem Routinen Schutz und so etwas wie Normalität bieten. Schulen sind auch wichtige Informationskanäle für die Aufklärung über die Risiken von tödlichen Gefahren durch Blindgänger und Minen. Und sie stellen die Verbindung zu wichtigen medizinischen und psychosozialen Diensten her.

Die Lehrer*innen, Schulleiter*innen, Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und andere Fachleute sind genauso vom Konflikt in der Ukraine betroffen. Es ist wichtiger denn je, sie zu unterstützen, damit sie bleiben und weiter ihrer so wichtigen Arbeit nachgehen können.

Wir müssen auch für kreative, vielseitige und flexible Lösungen sorgen, die Low- und High-Tech-Methoden kombinieren, um alle Kinder zu erreichen und dazu beizutragen, dass das Lernen so kurz wie möglich unterbrochen ist. Mitte März haben mehr als 15.000 Schulen in der Ukraine den Unterricht wiederaufgenommen, zumeist durch Fernunterricht oder hybrid.

Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft setzt mit Unterstützung von UNICEF und Partnern alles daran, die ukrainischen Kinder zu erreichen, und fördert unter anderem den Online-Unterricht vom Kindergarten bis zur 11 Klasse. Außerdem unterstützen wir eine digitale Kampagne zur Aufklärung über die Gefahren von Sprengstoffen wie Minen oder Blindgängern und stellen entsprechende Bildungsmaterialien zur Verfügung. Fernunterricht kann jedoch nur eine vorübergehende Lösung sein. Die Erfahrungen der Pandemie zeigen, wie wichtig es ist, dass Kinder in einem schulischen Umfeld mit Gleichaltrigen und ihren Lehrer*innen lernen.

Dank der EU-Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes Geflüchteter aus der Ukraine nehmen Regierungen und Gemeinden in den Nachbarländern Kinder in die nationalen Schulsysteme und alternative Bildungswege auf. Dies trägt dazu bei, die Kontinuität des Lernens der Kinder zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass sie das Schuljahr abschließen können. Schätzungsweise 3,7 Millionen Kinder in der Ukraine und im Ausland nutzen Online- und Fernunterrichtsangebote. Es gibt jedoch nach wie vor enorme Hindernisse, darunter Kapazitäts- und Ressourcenbeschränkungen sowie Sprachbarrieren. Hinzu kommt, dass Eltern und ihre Kinder nicht immer an einem Ort bleiben.

Wir müssen alles tun, um diejenigen zu erreichen, die am meisten gefährdet sind, zurückgelassen zu werden. Für die jüngsten Kinder kann der Zugang zu Bildung besonders schwierig sein: Schätzungen zufolge besuchen weniger als fünf Prozent der geflüchteten Kinder im Vorschulalter einen öffentlichen Kindergarten. Kinder mit Behinderungen brauchen Zugang zu integrativen Diensten und Hilfsmitteln sowie gezielte Programme, die ihre besonderen Bedürfnisse abdecken, einschließlich Rehabilitationsmaßnahmen.

Im vergangenen Monat haben wir kleine Momente der Erleichterung erlebt, als Kinder und andere Zivilistinnen und Zivilisten aus Mariupol und anderen Orten an der Frontlinie in relativ sichere Gebiete evakuiert wurden. Humanitäre Helfer*innen haben Millionen von Menschen im ganzen Land mit Gesundheits- und Bildungsmaßnahmen, Wasser und lebenswichtigen Gütern sowie mit Informationen, Beratung und psychosozialer Unterstützung erreicht.

Not der Kinder lindern – Krieg in der Ukraine beenden

Wir wissen jedoch, dass die Situation für Kinder und ihre Familien in den vom Konflikt betroffenen Gebieten ohne Zugang zu humanitärer Hilfe weiterhin düster ist. Kinder und Eltern berichten uns von einer 'Hölle auf Erden', in der sie hungern, aus schlammigen Pfützen trinken und sich vor ständigem Beschuss und Bombardierungen schützen mussten, während sie auf der Flucht Bomben, Kugeln und Landminen ausweichen mussten.

Der Krieg in der Ukraine hat auch verheerende Auswirkungen auf die am stärksten gefährdeten Kinder weltweit, da die Preise für Nahrungsmittel und Brennstoffe weltweit auf ein Allzeithoch gestiegen sind. Kinder, die bereits von Konflikten und Klimakrisen in der ganzen Welt betroffen sind - von Afghanistan über den Jemen bis hin zum Horn von Afrika - zahlen nun einen tödlichen Preis für einen weiteren Krieg weit weg von ihrer Haustür. Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine werden weiterhin auf der ganzen Welt spürbar sein.

Die ukrainischen Kinder wurden aus ihren Häusern gerissen, von ihren Angehörigen getrennt und sind dem Krieg direkt ausgesetzt. Ihre Schulen wurden zerstört, und die für ihr Überleben und ihr Wohlergehen wichtige Infrastruktur, einschließlich Krankenhäusern und Wasser- und Abwassersystemen, wird durch die Kämpfe verwüstet.

Die ukrainischen Kinder sagen uns, dass sie wieder mit ihren Familien zusammenkommen und in ihre Gemeinden zurückkehren wollen, um zur Schule zu gehen und in ihren Vierteln zu spielen. Kinder beweisen große Widerstandskraft, aber das sollten sie nicht müssen. Sie haben in diesem Krieg bereits einen schrecklich hohen Preis gezahlt. Wir müssen alles tun, um sicherzustellen, dass der Krieg sie nicht auch ihre Zukunft kostet.

Als humanitäre Organisationen werden wir alles tun, um die Not der vom Krieg betroffenen Kinder zu lindern - um ihnen Sicherheit, Stabilität und Schutz zu geben. Aber das wird nicht ausreichen. Letztlich brauchen die Kinder ein Ende dieses Krieges - ihre Zukunft steht auf dem Spiel.“

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Rudi Tarneden (UNICEF/Dirk Gebhardt)

Rudi TarnedenAbteilungsleiter Presse / Sprecher

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