© UNICEF/UNI766263/FilippovUkraine Teenager: Die 14-jährige Alina steht vor einem beschädigtem Wohnhaus
Kinder weltweit

Krieg, Angst, Flucht: Kinder und Jugendliche aus der Ukraine berichten

Dort wo Bomben fallen, hört Kindheit auf. Der Krieg in der Ukraine hat verheerende Auswirkungen auf das Leben der Kinder und Teenager – auf ihre Gesundheit, ihre Bildung und ihre Zukunftschancen. In diesem Blog teilen Kinder und Jugendliche ihr Geschichten.


von Stefanie Hack

"Das hier ist unser Zuhause. Meine Eltern arbeiten hier. Wir können nicht so einfach die Stadt verlassen. Aber wir haben darüber gesprochen“, berichtet die 14-jährige Angelina aus der Stadt Dobropillia, die im Osten der Ukraine in der Nähe der Front liegt. Vor Kurzem kam es dort zu einem schweren Angriff, bei dem mehrere Menschen ihr Leben verloren und Wohnhäuser schwer beschädigt wurden. Auf ihrem Weg zum Wasserholen kommt Angelina nun täglich an den Ruinen vorbei.

Ukraine Teeneger: Die 14-jährige Angelina steht vor einem beschädtigten Wohnhaus

Angelina (14) steht vor einem Wohnhaus, das bei einem Raketenangriff zerstört wurde. Bei dem Angriff wurden elf Menschen getötet und 50 weitere verletzt, darunter auch sieben Kinder.

© UNICEF/UNI766261/Filippov

Wie ist das Leben für ukrainische Kinder und Jugendliche im Krieg?

Der seit mehr als drei Jahren andauernde Krieg in der Ukraine hat das Leben von Kindern und Teenagern wie Angelina grundlegend verändert. Im Osten des Landes sind es inzwischen sogar mehr als elf Jahre, in denen die Menschen schwerer Gewalt ausgesetzt sind.

Blog

Jahrestag Ukraine-Krieg: Die Kinder brauchen unsere Unterstützung mehr denn je!

Für die Kinder bedeutet der Krieg einen Ausnahmezustand. Ihr Aufwachsen ist durch Angriffe, Flucht und Angst geprägt. Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser geraten immer wieder unter Beschuss. Kinder werden bei Angriffen verletzt oder sogar getötet. An vielen Orten fehlt es an Lebensmitteln und Trinkwasser und durch regelmäßige Stromausfälle haben viele Menschen keinen Zugang zu Wärme, Gas oder dem Internet. Viele Mädchen und Jungen konnten seit Jahren nicht mehr regelmäßig am Präsenzunterricht teilnehmen.

Oft sehen Familien keine andere Möglichkeit, als ihre Heimat zu verlassen und vor der Gewalt zu fliehen. Das heißt für Kinder und Teenager, ihr Zuhause zurückzulassen und sich schweren Herzens von Familienangehörigen, Freunden und der gewohnten Umgebung zu verabschieden.

Angriffe, Minen und Blindgänger: Kinder und Jugendliche sind täglich durch Gewalt bedroht

Für viele Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind schwere Angriffe fast zum Alltag geworden. Sie haben sich daran gewöhnt, bei Luftalarm in Kellern, unterirdischen Bunkern oder U-Bahn-Stationen Schutz zu suchen. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 wurden mehr als 2.500 Kinder getötet oder verletzt.

Und auch wenn es keine Angriffe gibt, lauern ständig und überall Gefahren. Die Ukraine zählt inzwischen zu den am stärksten mit Minen verseuchten Ländern. Fast ein Drittel des Landes ist mit Minen und anderen Sprengstoffen verseucht.

Nazar (13): "Wir wussten nicht, dass die Gegend vermint war“

Nazar lebt in Nikopol im Südosten der Ukraine. Nach der Schule wollte er nur einen kleinen Spaziergang mit einem Freund machen. "Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, wo genau wir waren. Mein Freund hat einen Gegenstand gefunden. Er trat nichtsahnend dagegen“, berichtet der 13-Jährige. Plötzlich explodierte der Gegenstand – es war eine Mine. Die Jungen wussten nicht, dass in der Gegend Minen verstreut waren.

Ukraine Teenager: Nazar steht mit Hilfe seiner Gehhilfe langsam auf

Der 13-jährige Nazar macht mit seiner Gehhilfe erste, vorsichtige Schritte. Nachdem er infolge der Explosion einen Teil seines Fußes verloren hat, muss er das Laufen langsam wieder lernen. 

© UNICEF/UNI775894/Pashkina

Nazar wurde an Fuß und Bein verletzt, sein Freund am Oberkörper. Ihre Handys wurden durch die Explosion weggeschleudert, aber Nazar schaffte es, trotz der Verletzungen durch den Schlamm zu kriechen, sein Handy zu greifen und Hilfe zu rufen.

Seit der Explosion ist Nazar in einem Krankenhaus in Kharkiw. Nur zweimal konnte er für einen Besuch nach Hause kommen. Ein Teil seines Fußes musste aufgrund der schweren Verletzungen amputiert werden. "Der erste Monat war hart. Nazar hat aufgehört zu sprechen“, erzählt seine Mutter Yevheniia. Insgesamt 14 Operationen musste er sich unterziehen. Zunächst konnte er nur sitzen oder liegen. Mithilfe einer Gehhilfe, die er von UNICEF bekommen hat, lernt er langsam wieder zu laufen.

"Ich liebe es, Fußball zu spielen. Ich habe immer Fußball gespielt“, erzählt Nazar. Nun muss sich der Junge erst mal auf seine Heilung konzentrieren.

Ukraine Teenager: Nazars Mutter versorgt sein verletztes Bein

Nazars Mutter Yevheniia versorgt sein verletztes Bein, das von Narben gezeichnet ist.

© UNICEF/UNI775841/Pashkina

Die UNICEF-Kolleg*innen in der Ukraine standen seit Nazars Unfall an der Seite der Familie. Nazars Mutter hat Bargeldhilfen erhalten. Nazar hat neben der Gehhilfe und Krücken auch ein Tablet bekommen, um online am Unterricht teilzunehmen.

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Minenspürhund Patron ist mehr als ein Freund – er ist ein Held

UNICEF klärt in der Ukraine in Zusammenarbeit mit dem Katastrophenschutz in Schulen über die Risiken, Gefahren und den Umgang mit Minen auf. Auch Minenspürhunde, die eine wichtige Rolle bei der sicheren Entfernung von Minen haben, sind Teil des Programms und kommen mit in die Schulen.

Ukraine-Krieg: Hund Patron hilft mit UNICEF, Kinder vor Minen zu schützen

Ukraine-Krieg: Hund Patron hilft mit UNICEF, Kinder vor Minen zu schützen.

© UNICEF/UN0761514/Boyko

Familien haben keinen Strom, kein Wasser und keine Heizung

Bei den schweren Angriffen in der Ukriane wird immer wieder kritische Infrastruktur, wie zum Beispiel Energie-und Wassernetzwerke, getroffen und beschädigt. Das bedeutet für den Alltag vieler Familien, dass der Strom ausfällt, sie keinen Zugang zu sauberem Wasser oder dem Internet haben.

Yana (14): "Wir lebten drei Monate lang ohne Strom“

Ukraine Teenager: Yana (14) holt mit einem Eimer Wasser aus einem Brunnen

Yana (14) schöpft Wasser aus einem Brunnen in der Nähe ihres zerstörten Hauses in ihrem Dorf in der Region Mykolaiv.

© UNICEF/UNI739394/Filippov

Das Haus von Yanas Familie in der Region Mykolaiv wurde bei Angriffen schwer beschädigt. "Durch den Beschuss ist der Strom ausgefallen. Insgesamt hatten wir drei Monate keinen Strom und mussten einen Generator benutzen. Irgendwann gab es wieder Strom, aber wir hatten noch immer kein fließendes Wasser. Wir holen Wasser aus einem Brunnen und erhitzen es mit einer Gasflasche, um zu baden oder die Wäsche zu waschen“, erzählt das Mädchen.

Die Angst und der Stress durch den Krieg haben bei Yana zu Sehproblemen geführt, mit denen sie nach wie vor kämpft. Durch die anhaltende Gewalt, fehlende Sicherheit und den Ausfall wichtiger Infrastruktur infolge von Angriffen wachsen zahlreiche Kinder in der Ukraine nicht unter stabilen Lebensbedingungen auf.

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Humanitäre Hilfe – was ist das eigentlich?

UNICEF ist überall im Land – auch in den Frontgebieten – im Einsatz, um Familien wie die von Yana mit wichtigen Hilfsgütern zu versorgen. Unsere Kolleg*innen verteilen zum Beispiel Trinkwasser, Hygieneartikel oder Winterkleidung, damit die Kinder in den kalten Wintern und beim Ausfall von Heizsystemen nicht frieren.

Ukraine: Ein Mädchen packt Kleidung aus einem Karton aus

Ein Mädchen packt Winterkleidung und Decken aus einem Karton aus. 

© UNICEF/UNI491248/Filippov

Verpasster Unterricht: Die Bildung von Kindern ist bedroht

Seit dem Beginn des Krieges vor mehr als drei Jahren wurden über 1.600 Schulen in der Ukraine zerstört oder beschädigt. Der Krieg hat tiefgreifende Folgen für die Bildung von Kindern und Teenagern: Fast 40 Prozent lernen nur noch online oder in einer Mischung aus Präsenz-und Fernunterricht. Regelmäßig kommt es zu Stromausfällen und dann ist auch der Onlineunterricht nicht mehr möglich. Im Durchschnitt ergibt sich inzwischen ein Bildungsrückstand von zwei Jahren im Lesen und einem Jahr im Rechnen. Besonders in den Regionen nahe der Front ist das Lernen für viele Kinder und Jugendliche eine große Herausforderung.

Ukraine Teenager: David (14) steht in den Ruinen seiner Schule

Der 15-jährige David steht in den Trümmern, die einmal seine Schule waren.

© UNICEF/UNI739384/Filippov

David (15): "Von meinem Klassenzimmer ist nichts mehr übrig“

Das, was sie oben auf dem Bild hinter David sehen, war einmal seine Schule. Von ihr sind nichts als Trümmer geblieben. "Mein Klassenzimmer war im zweiten Stock. Es ist nichts mehr davon übrig. Ich wünschte wirklich, es würde eine neue Schule gebaut werden. Wahrscheinlich werde ich nie wieder auf einer Schulbank sitzen und die Schule online abschließen müssen. Aber ich hoffe, dass meine beiden jüngeren Brüder eine ordentliche Ausbildung machen können“, erklärt David.

In seiner Freizeit hilft der 15-Jährige seinem Vater bei der Reparatur ihres Hauses, das auch schwer beschädigt wurde. Seine Familie ist aufgrund schwerer Gewalt aus ihrem Dorf im Süden der Ukraine geflohen, kehrte aber vor etwa einem Jahr zurück, um dabei zu helfen, die Gemeinde wiederaufzubauen.

Die UNICEF-Teams in der Ukraine arbeiten unermüdlich daran, dass Kinder und Jugendliche trotz des Krieges weiter lernen können. Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine helfen dabei, Schulen und Lernzentren wiederaufzubauen und Schutzräume einzurichten, in denen die Kinder betreut werden. Sie statten Schulen mit Unterrichtsmaterialien aus und unterstützen die Behörden dabei, Millionen Kinder mit Online-Lernangeboten zu erreichen.

Ukraine: Schüler*innen lernen in einem Klassenzimmer eines Bunkers

Nach einem Luftangriffsalarm setzen diese Schüler*innen den Unterricht in einem Schutzraum eines Bunkers fort. 

© UNICEF/UNI772992/Smoliyenko

Kriegstrauma für Kinder: Mentale Folgen durch den Krieg

Der anhaltende Krieg hinterlässt auch unsichtbare Spuren bei Kindern und Jugendlichen. Die ständige Angst vor Angriffen, der Verlust von nahestehenden Menschen, der fehlende Austausch mit Freunden, weil Schulunterricht nicht möglich ist – all das hat schwere Auswirkungen auf ihre Seele. Und je länger der Krieg andauert, desto schwerwiegender sind seine Folgen.

Viele Kinder und Jugendliche kämpfen mit Angstzuständen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Fast ein Drittel der jungen Menschen hat UNICEF berichtet, sich so traurig und hoffnungslos zu fühlen, dass sie ihren üblichen Aktivitäten nicht mehr nachgehen.

Timofi (11): "Ich möchte, dass der Krieg aufhört“

Timofiis ehemaliger Kindergarten im Dorf Partyzanske in der Region Mykolaiv wurde bei einem Granatenbeschuss zerstört – so wie fast alle Gebäude in seinem Dorf.

Ukraine Teenager: Timofii steht auf einem zerstörten Kindergarten in seinem Heimatdorf

Timofii (11) steht auf einem zerstörten Kindergarten in seinem Heimatdorf in der Region Mykolaiv.

© UNICEF/UNI739372/Filippov

"Es ist schwer hier. Ich habe keine Freunde. Die Schule wurde zerstört, der Kindergarten wurde zerstört. Alle sind weg, und außer meinem Bruder gibt es niemanden, mit dem ich spielen kann. Ich möchte unbedingt in eine normale Schule gehen und dass der Krieg aufhört“, sagt der Elfjährige.

Mit dem, was Timofii erlebt hat, ist er nicht allein. Viele Kinder und Teenager in der Ukraine haben gesehen, wie ihre Heimatdörfer angegriffen und Häuser zerstört wurden. Wie Freunde geflohen sind oder sie selbst ihr Zuhause verlassen mussten. Sie erleben Dinge, die kein Kind je erleben sollte.

Blog

"Dank des Spilno-Zentrums habe ich jetzt eine Freundin"

UNICEF erreicht Kinder und Jugendliche überall in der Ukraine mit psychosozialen Angeboten. Beispielsweise unterstützen wir die Einrichtung von sogenannten Spilno-Zentren. Dort können Kinder lernen, spielen oder mit Psycholog*innen sprechen. Die Zentren geben den Kindern ein Stück Normalität im Kriegsalltag zurück.

Wie Kinder und Jugendliche sich trotz des Krieges in ihren Gemeinden engagieren

Kinder und Jugendliche in der Ukraine erleben alles andere als eine normale Kindheit. Sie leben in ständiger Angst und Sorge, anstatt einfach Kind sein zu können. Und doch zeigen sie eine enorme Widerstandskraft und versuchen, an ihren Plänen und Träumen für die Zukunft festzuhalten.

So auch der 16-jährige Nazarii aus Saporischschja im Südosten des Landes: Jeden Tag sieht auch er die Zerstörung in seiner Stadt. Der Krieg in der Ukraine hat ihn verändert. Und dennoch hat er einen Traum:

"Ich habe den großen Traum, mein Land umzugestalten, damit es allen Herausforderungen gewachsen ist. Natürlich ist das auch ein globales Ziel. Aber um global etwas zu erreichen, muss man im Lokalen beginnen.“ Genau das tut Nazarii, indem er sich im UNICEF Upshift-Programm engagiert. Er möchte das Bewusstsein Gleichaltriger für soziale Probleme schärfen und sie für ehrenamtliche Arbeit, Aktivismus, internationale Möglichkeiten und Projektmanagement sensibilisieren.

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Nazarii (links) mit seinen Mistreiter*innen. Mithilfe des Upshift-Programms können Teenager selbst Projekte umsetzen. Sie organisieren Veranstaltungen für andere Jugendliche oder Kinder, entwickeln Kurse für Kinder mit Förderbedarf oder setzen sich für den Umweltschutz ein.

© UNICEF Ukraine

Das Upshift-Programm vermittelt jungen Menschen grundlegende Fähigkeiten wie Problemlösung, Zusammenarbeit und Kommunikation und befähigt sie, ihre Kompetenzen zu erkennen und auszubauen. Mithilfe des Programms können sie soziale Initiativen in ihren Gemeinden starten.

"Das Upshift-Programm hat mir auch sehr bei meiner eigenen Entwicklung geholfen. Ich habe diese große Motivation, etwas zu verändern“, erzählt Nazarii.

UNICEF steht weiter an der Seite der Kinder und Jugendlichen in der Ukraine. Sie brauchen Schutz und Unterstützung, um Lernstoff nachzuholen und zu lernen, um die schrecklichen Erfahrungen des Krieges zu verarbeiten und trotz aller Herausforderungen ihre Zukunft zu gestalten. Dafür setzen sich unsere Kolleg*innen überall im Land und jeden Tag ein.

Vielen Dank an alle, die unsere Arbeit für die Kinder in der Ukraine unterstützen!

Als Nothilfe-Pate Ukraine langfristig helfen

Die Kinder aus der Ukraine brauchen langfristige Hilfe. Bleiben Sie als UNICEF Nothilfe-Patin / -Pate an ihrer Seite und helfen Sie u.a., traumatisierte Kinder zu betreuen und die Grundversorgung mit Medikamenten und Trinkwasser in der Ukraine zu sichern. Vielen Dank!

Gleichzeitig bleiben Sie flexibel: Sie können Ihr Engagement jederzeit beenden.

Info

   

Krieg bedroht Kinder heute in einem alarmierenden, nie dagewesenen Maß: 2023 haben die Vereinten Nationen in Kriegs- und Konfliktgebieten so viele schwere Kinderrechtsverletzungen verzeichnet wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg.

In unserem Blog widmen wir uns immer wieder der Situation von Kindern im Krieg und blicken auf die für Kinder gefährlichsten Orte. Doch wir teilen auch gute Nachrichten und zeigen, wie wir von UNICEF dank unserer Unterstützer*innen Kindern wirksam helfen können. Lesen Sie zum Beispiel, wie es ist, jetzt Kind in Gaza oder im Sudan zu sein oder wie ehemalige Kindersoldaten und Kindersoldatinnen mit UNICEF-Hilfsprogrammen eine neue Chance im Leben bekommen.

Auf unserer Webseite finden Sie auch weitere, übergreifende Informationen zum Thema "Kindheit im Krieg."

Stefanie Hack (1)
Autor*in Stefanie Hack

Stefanie Hack arbeitet als Redakteurin mit dem Fokus Nothilfe. Im Blog schreibt sie über die weltweite Arbeit von UNICEF und entwicklungspolitische Themen.