Kinder weltweit

COVID-19 verschärft die Bildungskrise für Kinder in Krisen- und Konfliktregionen

Seit Wochen erleben wir in Deutschland und weltweit aufgrund der Covid-19-Pandemie eine Krise unbekannten Ausmaßes. Neben gesundheitlichen und sozioökonomischen Auswirkungen der Krise gibt es auch verheerende Auswirkungen für den Bildungsbereich. Auch wenn in Deutschland die Schulen langsam wieder öffnen, können weltweit noch über 1,2 Milliarden Lernende derzeit nicht zur Schule gehen.


von Lydia Berneburg

Eine doppelte Krisensituation für Kinder im zentralen Sahel

Doch was bedeutet die Covid-19-Pandemie eigentlich für die 75 Millionen Kinder und Jugendlichen, die schon vor der Pandemie aufgrund von Konflikten und Krisen, entweder einem hohen Risiko ausgesetzt waren, keinen Zugang zu Bildung zu haben oder bereits keinen Zugang hatten? Und was bedeutet es für Kinder, wenn unklar ist, ob Schulen wieder öffnen oder ihnen durch die Pandemie die Hoffnung genommen wird, überhaupt jemals zur Schule zu gehen?

Gerade für Kinder in Krisen- und Konfliktregionen bedeutet Schule weitaus mehr als für viele Gleichaltrige in wohlhabenden Gesellschaften: Die Schule ist für diese Kinder ein Ort, wo sie ihre wichtigste Mahlzeit einnehmen, wo sie Zugang zu sauberem Wasser haben, wo sie wichtige Informationen über Hygiene erhalten, wo sie an Gesundheitsprogrammen teilnehmen können und wo sie spezielle Unterstützung oder Schutz erhalten. Ein Ort zum Lernen und somit die Chance auf eine Zukunft. Ein Ort inmitten des Konflikts oder einer Krise, an dem ein wenig Normalität und Kindheit möglich ist.

Burkina Faso: Ein Mädchen schaut traurig in die Ferne.

Aufgrund von Unsicherheiten in Burkina Faso kann die 15-jährige Latifatou ihre Schule nicht weiter besuchen.

© UNICEF/UNI280371/Tremeau

Der zentrale Sahel: Bereits vor Covid-19 eine Bildungskrise

Eine Konfliktregion, die vor großen Herausforderungen steht, ist der zentrale Sahel, zu dem Burkina Faso, Mali und Niger gehören. Eine Region, die durch Konflikte, zunehmende Unsicherheiten und eine hohe Anfälligkeit für die Folgen des Klimawandels geprägt ist.

Die Zahl der Kinder, die aufgrund der Unsicherheiten aus ihrer Heimat fliehen mussten, hat sich in der Region innerhalb eines Jahres insgesamt verdoppelt und lag Ende letzten Jahres bei 670.000. Allein in Burkina Faso hat sich die Anzahl sogar verfünffacht. Bereits ohne Berücksichtigung der Folgen von Covid-19 schätzt UNICEF, dass dieses Jahr fast fünf Millionen Kinder im zentralen Sahel auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.

Die Bildungssituation in der Region war bereits vor Covid-19 alarmierend: In Burkina Faso, Mali und Niger konnten Ende 2019 mehr als die Hälfte der 8- bis 14-jährigen Kinder (acht Millionen) nicht zur Schule gehen. In fast drei Jahren ist die Zahl der Schulschließungen in den drei Ländern von insgesamt 500 auf fast 3.500 angestiegen. Tendenz weiter steigend: Ende Februar waren allein in Burkina Faso fast 2.500 Schulen geschlossen.

Burkina Faso: Drei Schüler sitzen lächelnd an einer Wand.

Nur 20 Prozent aller Schüler und Schülerinnen in Niger schließen die Sekundarstufe I ab.

© UNICEF/UN0317996/Frank Dejongh

Angriffe auf Bildungseinrichtungen haben deutlich zugenommen – eine der weltweit zunehmenden schweren Kinderrechtsverletzungen. Allein im Sommer und Herbst 2019 wurde von 20 direkten Angriffen auf Bildungseinrichtungen im zentralen Sahel berichtet. Drohungen gegenüber Schulen, Lehrkräften und Lernenden gibt es regelmäßig. Auch der Zugang zu Bildung in den umliegenden Ländern, in Zentral-und Westafrika, ist aufgrund von Unsicherheiten keine Normalität für viele Kinder.

Die Bildungskrise verschärft sich durch Covid-19 im Sahel

Durch Covid-19 verfestigt und verschlimmert sich diese katastrophale Tendenz noch. Fragile Bildungssysteme werden weiter erschüttert. Das Ausmaß und die Folgen sind noch nicht abzuschätzen.

Fest steht, dass diesen Kindern nicht nur der Zugang zu Bildung und damit zu möglichen Zukunftschancen fehlt, sondern auch der Zugang zu Gesundheitsprogrammen, zu psychosozialer Unterstützung, sauberem Wasser und Verpflegung. Dies gefährdet die psychische Gesundheit von Kindern.

Hinzukommt, dass Kinder ohne die Möglichkeit zur Schule zu gehen, einem höheren Risiko ausgesetzt sind, Opfer von Gewalt, Missbrauch und Frühverheiratung zu werden, früh schwanger zu werden oder schon in jungen Jahren arbeiten zu müssen. Eine Folge dessen ist, dass die Wahrscheinlichkeit für diese Kinder steigt, ihren Bildungsweg nicht fortsetzen zu können. Bestehende Ungleichheiten können sich verschärfen, beispielsweise, wenn bereits vulnerable Gruppen Hilfsangebote nicht wahrnehmen können. Der Zugang zu Bildung ist gerade in Krisen- und Konfliktregionen wie im zentralen Sahel für Kinder überlebenswichtig.

Jedes Kind hat das Recht auf Bildung. Ich liebe es, zur Schule zu gehen. Denn so kann ich später einen Job finden. Und ich kann die Angst vor den bewaffneten Gruppen vergessen.

Naybla, 13 Jahre, aus Burkina Faso
Burkina Faso: Mädchen sitzt im Dunkeln und lernt mit einer Lampe.

Kindheit in der Corona-Pandemie

Möchten Sie mehr über die Folgen der Pandemie für Kinder weltweit erfahren und darüber, wie UNICEF hilft? Hier finden Sie immer die aktuellsten Corona Infos im UNICEF Blog.

Jedes Kind, auch im zentralen Sahel, hat das Recht auf Bildung

Gerade jetzt müssen bestehende Programme fortgesetzt und verstärkt werden, damit die Schwächsten Zugang zu Bildung haben. Kein Kind darf zurückgelassen werden. UNICEF hat als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie ein umfangreiches, koordiniertes und schnell verfügbares Hilfsprogramm im Bildungsbereich aufgesetzt. Neben der unmittelbaren Unterstützung stärkt UNICEF nachhaltig Bildungssysteme, um Kindern langfristig den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Auch Kindern in (langandauernden) Konflikten und Krisen. Nur so kann Ziel 4 der Agenda 2030 erreicht werden: Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung für alle.

Burkina Faso: Junge sitzt auf dem Boden und lernt per Radio.

Hussaini (14 Jahre) lernt über Bildungsprogramme per Radio, weil seine Schule im Norden Burkina Fasos bei Angriffen zerstört wurde.

© UNICEF/UN0335956/Bindra

UNICEF setzt alle Kräfte daran, dass jedes Kind lernen kann

UNICEF arbeitet mit Regierungen zusammen und unterstützt sie in der Krisenbewältigung und Notfallplanung im Bildungsbereich und bei der Vorbereitung auf Schulschließungen und -öffnungen. UNICEF versorgt Schulen mit Hygienematerialien und Informationen zu Hygienemaßnahmen, um sie zu sicheren Orten zu machen. Damit das Lernen auch bei Schulschließungen fortgesetzt werden kann, hat UNICEF innovative Formate für den Fernunterricht und pädagogische Angebote für das Lernen am PC sowie über das Radio, Fernsehen und andere Plattformen entwickelt und setzt diese in einer Vielzahl von Ländern um.

In Mali unterstützt UNICEF aktuell das Bildungsministerium in der Notfallplanung und Krisenbewältigung zu Covid-19. Ziel ist es, das Lernen und auch den Kinderschutz während der Schulschließung aufrechtzuerhalten und sich auf die Wiedereröffnung von Schulen vorzubereiten. UNICEF hat dazu Lernprogramme entwickelt, die im Radio laufen und die Kinder mit und ohne vorherige Schulerfahrung im Lesen, Schreiben und Rechnen schulen.

Auch in Niger arbeitet UNICEF mit dem Bildungsministerium zusammen, um Pläne und Maßnahmen zu entwickeln, damit das Lernen und der Schutz der Kinder weiterhin gewährleistet ist – auch für vertriebene und migrierte Kinder.

Ich träume davon, dass alle Kinder in Mali zur Schule gehen können.

Amadou, 18 Jahre, aus Mali
Mali: Ein 18-jähriger Junge lächelt freundlich in die Kamera.

» Auf unserer internationalen Website finden Sie Informationen zur aktuellen Situation und UNICEFs Arbeit vor Ort und zu Angriffen auf Bildung (#EducationUnderAttack).

Lydia-Berneburg
Autor*in Lydia Berneburg

Lydia Berneburg arbeitet zu kinderrechtlichen Themen in der politischen Arbeit von UNICEF.