Meinung

Warum der Weltkindertag wichtig ist – ein Kommentar


von Christian Schneider

Heute ist Weltkindertag. Wie steht es um die Kinder auf der Welt?

Gute Nachrichten finden meistens weniger Widerhall, aber: Es gibt sie, die schönen Erfolgsmeldungen über die Situation der Kinder.

Und die wichtigste möchte ich mit Ihnen teilen, weil sie für uns alle bei UNICEF, in anderen Organisationen im Einsatz für Kinder und für mich persönlich vielleicht die wichtigste ist: Uns allen zusammen ist es gelungen, die weltweite Kindersterblichkeitsrate auf einen neuen Tiefstand zu senken.

Gerettetes Kinderleben in Millionenhöhe – ich bin sicher, Sie stimmen mir bei der Bewertung dieser Nachricht zu.

Mutter und Kind in Somalia

Die weltweite Kindersterblichkeit sinkt seit Jahren. In Somalia (Foto) ist die Überlebens-Chance statistisch am schlechtesten.

© UNICEF/UN0199866/Rich

Aber zu unserer Verantwortung bei UNICEF gehört es eben auch, auf die andere Seite hinzuweisen, auf die wirklich sehr schlechten Nachrichten aus Sicht der Kinder.

Kinder in Idlib und anderen Kriegsgebieten: Angst als ständiger Begleiter

In den letzten Wochen habe ich, wie viele von uns, mit größter Sorge die Entwicklungen im syrischen Idlib beobachtet. Rund eine Million Kinder leben schätzungsweise in dem Gebiet, in dem eine massive Eskalation der Kämpfe drohte und weiter droht. Im Moment scheint der erwartete Großangriff auszubleiben, vielleicht gibt es Erleichterung für die vielen Not leidenden und verängstigten Menschen. Aber für eine Entwarnung ist es gewiss zu früh.

Die Angst der Kinder, von denen viele nach über sieben Jahren Krieg nicht einmal mehr eine Erinnerung an den Frieden haben, diese Angst vor neuen Bomben, neuem Beschuss bleibt ihr ständiger Begleiter. Viele der Mädchen und Jungen wurden bereits sechs oder sieben Mal auf der Suche nach Schutz und Sicherheit vertrieben, sagen uns unsere Kolleginnen und Kollegen in Syrien.

Geflüchtete Kinder in syrischem Zeltlager

Kinder in einem Zeltlager im Norden von Idlib im September 2018. Viele Kinder sind bereits mehrfach geflohen.

© UNICEF/UN0236557/Watad

Nicht nur in Idlib, auch an anderen Orten des Landes gehen die Kämpfe weiter. Und nicht nur in Syrien: Auch in anderen Ländern der Welt wie Jemen oder Südsudan zerstören Konflikte auf brutalste Weise das Leben und die Zukunftsaussichten von Kindern.

Weltkindertag: Rechte der Kinder in Erinnerung rufen

Zum heutigen Weltkindertag habe ich, trotz so vieler Fortschritte der vergangenen Jahre – siehe oben –, den Eindruck: Rücksichtslose Gewalt gegen Kinder, die Inkaufnahme grenzenlosen, jahrelangen Leids sind in den aktuellen Krisengebieten der Erde zum Standard geworden. Kriegsparteien jeder Couleur opfern selbst verbindliche völkerrechtliche Regeln und grundlegende Rechte der Kinder ihren militärischen Interessen. Und zielen sogar bewusst auf Kinder, wie auch immer sie das mit ihrer Menschlichkeit vereinbaren können.

So rauben wir Millionen Kindern ihre Kindheit und lassen eine Jugendgeneration heranwachsen, die von Angst, Gewalt und Hoffnungslosigkeit geprägt ist. Deshalb sind Tage wie der Weltkindertag, an denen wir die Rechte der Kinder in Erinnerung rufen und auf ihre Lage aufmerksam machen, so wichtig.

Denn jedes Kind auf der Welt braucht und hat das Recht auf eine Kindheit, die diesen Namen verdient. Alle Eltern auf der Welt wünschen sich für ihre Kinder, dass sie sicher und geborgen aufwachsen. Umgeben von der Familie und Freunden, mit einem festen Dach über dem Kopf, ausreichender Nahrung, mit der Möglichkeit, zu lernen und zu spielen. Mit anderen Worten: Eine möglichst unbeschwerte Kindheit.

Sollte das nicht selbstverständlich sein?

An diesem Weltkindertag sind meine Gedanken besonders bei den Kindern in einigen Konfliktregionen, die sicher zu den härtesten Orten zum Aufwachsen gehören. Zum Beispiel bei den Kindern im Jemen, wo vor kurzem bei einem Angriff auf einen Schulbus auf einen Schlag zahlreiche Kinderleben ausgelöscht wurden. Seit 2015 wurden fast 2.400 Kinder im Jemen getötet sowie rund 3.600 verletzt.

Junge inmitten der Trümmer seines ehemaligen Klassenzimmers

Junge in den Trümmern seines Klassenzimmers in Saada/ Jemen. UNICEF hat neben der Schule Zelte aufgestellt, um den Unterricht fortzusetzen.

© UNICEF/UN073959/Clarke for UNOCHA

Allein 2017 wurden weltweit insgesamt über 10.000 Kinder getötet oder verletzt, mit zunehmender Tendenz zum Beispiel im Irak und in Myanmar. Und das sind nur die Fälle, die dokumentiert werden konnten. In Konflikten zeigt sich das Schlechteste, zu dem Menschen fähig sind: Kinder werden vergewaltigt, von bewaffneten Gruppen rekrutiert, entführt. Schulen und Krankenhäuser werden angegriffen, Kindern wird lebenswichtige Nothilfe vorenthalten.

Insgesamt mehr als 21.000 solch schwerer Menschenrechtsverletzungen gegen Kinder haben die Vereinten Nationen 2017 in einer Reihe von Ländern dokumentiert. Besonders erschütternd finde ich die Brutalität und Skrupellosigkeit, mit der auch Schulen inzwischen immer wieder Ziel von Angriffen sind. In Afghanistan. Im Jemen. In Syrien. Im Südsudan. In Nigeria. Die Folgen sind nicht nur für die einzelnen Kinder und ihre Familien verheerend, sondern für die ganzen Gesellschaften.

104 Millionen Kinder, die in einem von Krieg oder Naturkatastrophen betroffenen Land aufwachsen, gehen neuesten Schätzungen nach nicht zur Schule. Das ist jedes dritte Kind in diesen Ländern.
Aber bitte: All das schockiert uns zu Recht. Aber es darf uns eben gerade nicht sprachlos machen.

Einsatz für Kinderrechte in Deutschland

Für alle, die sich jetzt fragen, was denn mit den Kindern in Deutschland ist: Natürlich haben wir auch sie im Blick und setzen uns für sie ein. Auch bei uns in Deutschland liegt einiges im Argen, und wir werden nicht müde werden, für bessere Chancengerechtigkeit einzutreten und auf die eklatante Armutssituation viel zu vieler Kinder hierzulande aufmerksam zu machen.

#kindheitbrauchfrieden: Auch viele Jugendliche engagieren sich für UNICEF.
© UNICEF/DT2018-60694/Sebastian Bänsch

Dennoch haben die heute in Deutschland aufwachsenden Kinder – auch meine Kinder – das große Glück, in Frieden und Wohlstand aufzuwachsen, wie es für Generationen vor ihnen noch nicht denkbar war. Nicht mehr und nicht weniger wünsche ich mir für alle Kinder.

Wenn Sie das auch so sehen, würde ich mich freuen, wenn Sie mit uns den Appell von Alexander Gerst, Sido und Andreas Bourani teilen: Lasst uns gemeinsam die Erde zu einem besseren Ort für Kinder machen. Für jedes Kind.

Afghanistan: UNICEF-Geschäftsführer mit Schülerinnen in einem Learning Center | © UNICEF
Autor*in Christian Schneider

Christian Schneider ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Komitees für UNICEF, ein Schwerpunkt der Arbeit ist seit Jahren die Situation von Kindern in Krisenregionen. Er hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Publizistik studiert und war vor der Zeit bei UNICEF als Journalist für verschiedene Tageszeitungen tätig.