© UNICEF/Syria 2017/RostkowskiSyrien-Krieg: Syrischer Junge im zerstörten Aleppo
Kinder weltweit

Der Schutz von Kindern ist nicht verhandelbar – aber die G20 können für Kinder handeln

Wenn die Welt aus den Angeln gerät, gehören Gipfeltreffen zum spärlich ausgestatteten Werkzeugkasten der Politik, um an den großen Schrauben zu drehen und vielleicht, gemeinsam, ein paar Dinge in Ordnung zu bringen.


von Christian Schneider

Wenn die Weltgemeinschaft – ist sie denn noch so zu nennen – uneins ist in der Bewertung der globalen Krisen und in der Frage, welches Werkzeug richtig ist, dann gewinnt der ganz große Gipfel besonders an Bedeutung.

Die Zukunft der Kinder ist eine gemeinsame Verpflichtung der G20

Das ist der Fall, wenn die Regierungsdelegationen aus 19 Staaten und der Europäischen Union zum G20-Gipfel in Hamburg zusammentreffen. Die G20 stehen für drei Viertel des Welthandels und fast zwei Drittel der Weltbevölkerung – auch wenn längst nicht alle Bewohner dieser Staaten ihre Meinung dort vertreten sehen.

Für das jüngste Drittel der Menschheit, die über zwei Milliarden Kinder und Jugendlichen auf der Welt, ist von enormer Tragweite, was die Staats- und Regierungschefs unter dem Motto „Eine vernetzte Welt gestalten“ beschließen.

Syrien-Krieg: Syrischer Junge im zerstörten Aleppo

Kinder wie dieser syrische Junge im zerstörten Aleppo brauchen von den G20-Staats- und Regierungschefs dringend ein Signal in Richtung einer friedlicheren Zukunft.

© UNICEF/Syria 2017/Rostkowski

Denn die furchtbaren Konflikte – von Syrien, Irak, über den Südsudan und den Jemen, Somalia und den Norden Nigerias bis hin zur Ukraine –, wachsende Gewalt durch Terrorismus, die Folgen des Klimawandels, Hunger, Pandemien – all diese von der Bundeskanzlerin auf die Tagesordnung gerufenen Krisen treffen immer und vor allem: die Kinder.

Und die Kinder der Welt, auch wenn kaum eins von ihnen an die ermüdenden Verhandlungen einiger tausend erwachsener Delegierter in Hamburg denken wird, können von den Mächtigen der Welt erwarten, dass sie Verantwortung übernehmen.

Nothilfe Syrien: Junge mit Heft inmitten von Trümmern

Bild 1 von 7 | Syrien: Ohne Schule fehlt Kindern wie diesem Jungen die Zukunftsperspektive. Sie drohen Teil einer „verlorenen Generation“ ohne Chancen zu werden.

© UNICEF/UN029875/Al-Issa
Irak: Kinder in der Nähe der umkämpften Stadt Mossul

Bild 2 von 7 | Irak: In heftig umkämpften Städten wie Mossul sitzen Kinder zwischen den Fronten fest. Sie sind in Lebensgefahr. UNICEF ruft alle Konfliktparteien dringend dazu auf, Kinder bestmöglich zu schützen.

© UNICEF/2017/Irak/UN057851/Romenzi
Südsudan: Eine Gruppe steht um ein Lagerfeuer

Bild 3 von 7 | Südsudan: Bürgerkrieg, Dürre und damit verbundene Ernteausfälle sind Ursachen der dortigen Hungerkrise. Die Zahl der Menschen, die nicht genug zu essen haben, liegt derzeit bei sechs Millionen.

© UNICEF/Siegfried Modola
Jemen Cholera-Ausbruch: Zwei Jungen in einem Krankenhaus in Sana'a

Bild 4 von 7 | Jemen: Im weiter eskalierenden Bürgerkrieg fehlt es den Menschen an sauberem Wasser, Nahrung, Medikamenten und Schutz. Aktuell ist auch noch die für Kinder lebensgefährliche Cholera ausgebrochen.

© UNICEF/UN065871/Alzekri
Hunger in Somalia: Eine Mutter pflegt ihren an Cholera erkrankten Sohn

Bild 5 von 7 | Somalia: Nach neuesten Schätzungen wird sich die Zahl der akut mangelernährten Kinder in diesem Jahr auf mehr als 1,4 Millionen erhöhen. Dies bedeutet einen Anstieg um 50 Prozent gegenüber Anfang 2017.

© UNICEF/2017/Mackenzie Knowles
Nigeria: Awana und seine Familie

Bild 6 von 7 | Nigeria: Viele Familien mussten vor dem Terror durch Boko Haram fliehen und alles zurücklassen. Alleine 4,4 Millionen Kinder brauchen dringend Obdach und müssen mit Nahrung versorgt werden.

© UNICEF/UN044651/Commins
Ukraine-Konflikt: Dasha in der Vorratskammer, die auch als Schutzraum dient

Bild 7 von 7 | Ukraine: Viele Dörfer sind weiter Ziel von Angriffen der Konfliktparteien. Kinder müssen sich in Kellern verschanzen, um in Sicherheit zu sein. Sie leben in ständiger Angst und benötigen psychosoziale Hilfe.

© UNICEF/UN058455/Kozalov

Fluchtursachen bekämpfen heißt Frieden schaffen

Dafür ist es aus Sicht von UNICEF höchste Zeit. Denn heute wächst fast jedes neunte Kind in einer Krisenregion auf. Etwa 28 Millionen Kinder mussten ihre Heimat verlassen – gezwungen durch die Kriege der Erwachsenen. Das sind mehr als zwei Mal so viele Jungen und Mädchen wie alle Kinder hier bei uns in Deutschland, auf der Flucht, oft seit Jahren. Fast ebenso viele Kinder, die noch in den Konfliktgebieten ausharren, können dort keine Schule mehr besuchen – und verlieren Tag für Tag ein wichtiges Stück Kindheit, ein Stück Zukunft.

Wenn einer Gruppe von Kindern in den Tagen des G20-Gipfels unsere größte Sorge gilt, dann sind es die verzweifelten, entwurzelten Kinder im Krieg und auf der Flucht.

Die G20 behandeln deren Schicksal unter der Flagge „Fluchtursachen bekämpfen“.

Das darf aber nicht gelesen werden als „Flucht bekämpfen“. Denn es wäre fatal, wenn hinter dem Streit um Verantwortlichkeiten und dem immer lauteren Ruf nach mehr Abschottung, Sicherheit und Beschränkung von Migration der Hilfeschrei der Flüchtlinge nicht mehr hörbar wäre. Die wirkungsvollste Bekämpfung der Fluchtursachen von Millionen Familien bleibt: unablässige, wirkungsvolle Diplomatie, um endlich Frieden in all den Kriegsregionen herbeizuführen.

Und die große Verantwortung der G20 ist es, den Schutz der Kinder aus diesen Regionen zu stärken, wo auch immer sie sich gerade auf ihrer gefährlichen Reise aufhalten: noch in der Heimat, in der Nachbarschaft (und die zehn Länder mit der größten Zahl an Flüchtlingen liegen alle in Afrika und in Asien) oder in den aufnehmenden Ländern.

Kinder auf der Flucht: Mary erzählt von ihrem Martyrium auf dem Weg nach Italien

Ein Beispiel für viele tragische Fluchtgeschichten: Mary (*Name geändert) erzählte uns vom Martyrium ihrer Reise aus Nigeria nach Italien. Sie wurde verschleppt, vergewaltigt, gefangen gehalten und zur Prostitution gezwungen.

© UNICEF/UN061191/Gilbertson VII Photo

Die G20-Staaten müssen dringend mehr tun: für jedes Kind – weltweit

Derweil dreht sich die Spirale der Gefahr für Kinder weiter: Jüngste UNICEF-Berichte zeigen, dass weltweit 300.000 Kinder und Jugendliche unbegleitet und getrennt von ihren Eltern als Flüchtlinge oder Migranten unterwegs sind. Immer entsetzlicher werden die Berichte über Gewalt durch skrupellose Menschenhändler und Schlepper. Und rechnet man nur die wenigen verlässlichen Zahlen zusammen, die wir über den stillen Tod der Kinder haben, so stirbt auf der gefährlichen Route über das Mittelmeer nach Italien durchschnittlich jeden Tag ein Kind. Jeden Tag ein Mädchen, ein Junge, voller Hoffnung, voller Angst.

G20: Gerettete Flüchtlingskinder in Griechenland

Diese drei Kinder haben die Flucht über das Mittelmeer überlebt. Doch durchschnittlich stirbt jeden Tag ein Kind auf der gefährlichen Route.

© UNICEF/NYHQ2015-2555/Gilbertson

Wenn wir uns also im Namen der Kinder an die G20 wenden, dann lautet der dringende Appell, die Kinder viel wirksamer als bisher vor Ausbeutung und Gewalt zu schützen, sie vor gefährlichen, oft überfüllten Gefängnissen mit Erwachsenen zu bewahren, das Zusammensein ihrer Familie zu sichern und ihnen, endlich, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung zu geben, überall. Damit aus der Flucht für die Kinder doch ein Aufbruch in die Zukunft werden kann, hoffentlich auch in ihrer Heimat.

Denn jedes Kind ist ein Kind. Und der Schutz von Kindern ist nicht verhandelbar.

Afghanistan: UNICEF-Geschäftsführer mit Schülerinnen in einem Learning Center | © UNICEF
Autor*in Christian Schneider

Christian Schneider ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Komitees für UNICEF, ein Schwerpunkt der Arbeit ist seit Jahren die Situation von Kindern in Krisenregionen. Er hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Publizistik studiert und war vor der Zeit bei UNICEF als Journalist für verschiedene Tageszeitungen tätig.